„Alles fließt und nichts bleibt; es gibt nur ein ewiges Werden und Wandeln.“ konstatierte der Philosoph Heraklit einst. In großen Organisationen ist man jedoch meist schon froh, dass der Laden überhaupt irgendwie läuft und man ändert daher freiwillig nichts. Von ewigem Werden und Wandeln kann keinesfalls die Rede sein, eher schon von eherner Starrheit und Stabilität. Stabile Prozesse und eingespielte Abläufe haben definitiv ihren Wert – jedenfalls so lange bis ihre Starrheit zum Problem wird. Und das ist spätestens dann der Fall, wenn es hier und heute nicht mehr ignoriert werden kann, dass morgen anders gearbeitet werden muss als gestern und vorgestern, damit die Organisation das Übermorgen erleben kann.
Wir arbeiten in Strukturen von Gestern mit Methoden von heute an Strategien für Morgen vorwiegend mit Menschen, die die Strukturen von gestern geschaffen haben und das Übermorgen in der Unternehmung nicht mehr erleben werden.
Knut Bleicher
Um den Veränderungsstau zu lösen, schlägt die Stunde des Change-Managements. Mit einem Change-Projekt soll die Organisation vom langjährig stabilen Zustand A in einen ebenso stabilen und danach hoffentlich wieder ebenso lange währenden Zustand B überführt werden. Auf dem Weg dahin wird es ein wenig unordentlich und holprig und es wird ein paar Verluste und Ausfälle geben, aber die Veränderung ist zum Glück die Ausnahme und danach kann endlich wieder in Ruhe gearbeitet werden. So lautet die Logik einer Welt, die geprägt ist von Stabilität und in der die Veränderung folglich immer die Ausnahme vom stabilen Grundzustand ist.
Diese Logik passt, solange es noch ausgedehnte Phasen der Stabilität für die Organisation mit dem, was sie anbietet und in den Märkten, in denen sie sich bewegt gibt. Was aber, wenn die Welt sich so schnell dreht, dass ein Change-Projekt nahtlos an das nächste anschließt oder sich gar überlappt? Spätestens dann sollte klar sein, dass Heraklit recht hatte und die Veränderung nicht mehr die Ausnahme, sondern die Regel ist und wir in unseren Organisationen in der Vergangenheit nur ausnahmsweise recht stabile Umgebungen hatten. Die Zeiten haben sich aber geändert. Das Change-Projekt ist tot, lang lebe der Change.
Spätestens wenn nun der Wandel das einzig Beständige ist, wird Veränderungsarbeit zum integralen Bestandteil von Führung. Es reicht nicht mehr, hauptsächlich den Status quo effizient zu verwalten und ab und zu mit einem Change-Projekt aufzuräumen und für eine Neuausrichtung zu sorgen. Führung ist heute immer beidhändig. Einerseits sorgt Führung hier und heute für Stabilität und Produktivität, andererseits fordert sie permanent den Status quo heraus und treibt die Veränderung kontinuierlich voran.
Zwei wesentliche Aufgaben muss Führung erfüllen, damit die kontinuierliche Veränderung gelingt und die Organisation dadurch flexibler und agiler wird. Erstens muss der Zweck und die Richtung der Veränderung sowie der Maßstab für Fortschritt klar sein: Wo ist Norden, wozu marschieren wir dorthin und wie erkennen wir, dass es vorangeht? Und zweitens braucht es das Empowerment aller betroffenen Mitarbeiter, um die beabsichtigte Veränderung auf täglicher Basis voranzutreiben.
Taiichi Ohno formulierte sein Ziel und gleichzeitig den Maßstab bei Toyota damals so: „Alles, was wir tun, ist, auf die Durchlaufzeit zu achten, und zwar von dem Moment an, in dem wir einen Kundenauftrag erhalten, bis zu dem Moment, da wir das Geld in Empfang nehmen. Wir verkürzen die Durchlaufzeit, indem wir alle Bestandteile eliminieren, die keinen Mehrwert generieren.“ Und gleichzeitig sorgte er dafür, dass jeder Arbeiter trainiert und ermächtigt war, um zu diesem Ziel einen Beitrag zu leisten: „Standards sollten nicht von oben herab vorgeschrieben werden, sondern von den Produktionsmitarbeitern selbst gesetzt werden.“ Im Zentrum von Taiichi Ohno’s Philosophie steht der Mensch als wesentlicher Erfolgsfaktor und auch heute noch ist „Respect for the people“ eine Säule des Toyota-Wegs.
Wenn der Wandel das einzig Beständige ist, wird Arbeit an der Veränderung zur Aufgabe und Pflicht eines jeden. Gute Führung weist und vermittelt die Richtung und gibt einen Rahmen, in dem sich Mitarbeiter befähigt und ermächtigt fühlen kleine und große Beiträge dazu zu leisten. Die Verantwortung für die Veränderung und die Gestaltung der Zukunft kann nicht länger auf ein temporäres Change-Projekt ausgelagert werden, sondern bleibt bei jedem einzelnen Mitarbeiter egal auf welcher Hierarchieebene.
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