Diversität und Dissens mehr als Konformität und Konsens

Dies ist die zwei­te The­se des Mani­fests für mensch­li­che Füh­rung. Auch die­se The­se ver­dient eine genaue­re Betrach­tung, ver­wen­det sie doch Begrif­fe über deren Wert man unter­schied­li­cher Auf­fas­sung sein kann. In die­sem zwei­ten Teil der Erläu­te­run­gen zum Mani­fest für mensch­li­che Füh­rung geht es des­halb ganz zen­tral um den Begriff der Diver­si­tät weni­ger im klas­si­schen sozio­lo­gi­schen Sin­ne der Chan­cen­gleich­heit von Men­schen unter­schied­li­chen Geschlechts, Alters, Her­kunft, usw. son­dern eher im Sin­ne von Indi­vi­dua­li­tät, Per­sön­lich­keits­struk­tu­ren und Pro­blem­lö­sungs­ver­hal­ten. Die­se Viel­falt von unter­schied­lich Denk- und Lösungs­mus­tern mün­det natür­lich in Dis­sens und Dis­kurs. Das ist ein unbe­que­mer Pro­zess, der aber bes­se­re Lösun­gen ver­spricht als all­zu har­mo­ni­sches Grup­pen­den­ken. Die Auf­ga­be von Füh­rung ist es, die­se Diver­si­tät bewusst ein­zu­set­zen und zu för­dern sowie eine Kul­tur des kon­struk­ti­ven Dis­sens anzustreben.

Die Diver­si­ty oder zu deutsch Diver­si­tät hat sei­nen Ursprung in der Bür­ger­rechts­be­we­gung in den USA, bei der es um die Durch­set­zung der Bür­ger­rech­te für Afro­ame­ri­ka­ner ging. Seit­her ist Diver­si­tät ein beach­te­tes und umkämpf­tes The­ma in vie­len Orga­ni­sa­tio­nen und in der Gesell­schaft im All­ge­mei­nen. Ver­stan­den wird dar­un­ter in der Regel die gleich­be­rech­tig­te Teil­ha­be von Men­schen unter­schied­li­cher Her­kunft, unter­schied­li­chen Geschlechts, unter­schied­li­cher Reli­gi­on, unter­schied­li­chen Alters, etc. Inso­fern wird Diver­si­tät meist als Chan­cen­gleich­heit und Abwe­sen­heit von Benach­tei­li­gun­gen ver­stan­den. Das ist genau­so wün­schens­wert wie eigent­lich selbst­ver­ständ­lich, bleibt so aber zu sehr an der Ober­flä­che und mög­li­cher­wei­se wirkungslos.

At the BMW Group, “diver­si­ty” and “equal oppor­tu­ni­ties” refer to a holi­stic con­cept for hand­ling work­force diver­si­ty: Employees’ uni­que­ness and indi­vi­dua­li­ty are important values and con­tain poten­ti­al for the indi­vi­du­al employee as well as for the com­pa­ny as a whole.
BMW Group

Was nützt näm­lich die per­fek­te Diver­si­tät im Sin­ne der übli­chen Dimen­sio­nen Alter, Geschlecht, Her­kunft, usw. wenn die Orga­ni­sa­ti­ons­kul­tur kom­plett auf Kon­for­mi­tät und Kon­sens aus­ge­rich­tet ist? Dann gäbe es zwar viel­leicht genau­so vie­le Frau­en wie Män­ner in Füh­rungs­po­si­tio­nen (was wün­schens­wert wäre), die aber unab­hän­gig von ihrem Geschlecht alle ins glei­che Ras­ter fal­len, weil die Kul­tur und die Beur­tei­lungs­sys­te­me nur die­sen einen Typus von Füh­rungs­kraft för­dern kön­nen. Es geht also um mehr als Chan­cen­gleich­heit. Es geht bei Diver­si­tät um eine Kul­tur in der die Unter­schied­lich­keit der Men­schen, wie sie über Din­ge den­ken, wie sie Pro­ble­me lösen, wel­che Erfah­run­gen sie mit­brin­gen und wel­che Wer­te sie prä­gen einen hohen Stel­len­wert hat.

Eine sol­che Kul­tur in der die Indi­vi­dua­li­tät und die Ein­zig­ar­tig­keit der Men­schen geschätzt wer­den – und damit ein­her­ge­hend der Dis­sens und der Dis­kurs – hat dann die klas­si­sche sozio­lo­gi­sche Diver­si­tät in oben genann­ten und bekann­ten Dimen­sio­nen zur Fol­ge. Die Diver­si­tät ist also eher als Merk­mal einer sol­chen Kul­tur zu sehen oder höchs­tens als not­wen­di­ge, aber nicht hin­rei­chen­de Vor­aus­set­zung. Ent­schei­dend ist was die Kul­tur mit die­ser Hete­ro­ge­ni­tät macht: Nor­men oder För­dern? Die­se zwei­te The­se des Mani­fests für mensch­li­che Füh­rung, „Diver­si­tät und Dis­sens mehr als Kon­for­mi­tät und Kon­sens“, meint also genau, nach einer för­der­li­chen Kul­tur zu stre­ben und Rah­men­be­din­gun­gen zu schaf­fen in denen die Indi­vi­dua­li­tät wert­ge­schätzt wird mehr als die Kon­for­mi­tät und in der ein kon­struk­ti­ver Dis­sens als not­wen­di­ger Teil der gemein­sa­men Ent­schei­dungs­pro­zes­se gese­hen wird.

May we never con­fu­se honest dis­sent with dis­loy­al subversion.
Dwight D. Eisenhower

Peter F. Dru­cker rät des­halb auch in sei­nem Buch „The Effec­ti­ve Exce­cu­ti­ve“ kei­ne Ent­schei­dun­gen zu tref­fen ohne vor­her­ge­hen­den Dis­sens. Als Para­de­bei­spiel dafür nennt er Alfred P. Slo­an, der angeb­lich in einer Sit­zung sei­nes obers­ten Füh­rungs­krei­ses gesagt haben soll: „Mei­ne Her­ren, ich sehe, dass wir alle einer Mei­nung bei die­ser Ent­schei­dung sind.“ Als alle zustim­mend nick­ten, fuhr er fort: „Des­halb schla­ge ich vor, dass wir die Dis­kus­si­on in die­ser Sache bis zur nächs­ten Sit­zung ver­ta­gen, damit wir uns die nöti­ge Zeit neh­men, um unter­schied­li­cher Mei­nung zu sein und wenigs­tens etwas Ver­ständ­nis gewin­nen, um was es bei der Ent­schei­dung geht.“



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6 Kommentare

Sabine 1. März 2018 Antworten

Lie­ber Mar­cus, genau mit die­sem The­ma beschäf­ti­ge ich mich seit eini­ger Zeit und bin genau in die­sem Moment in Vor­be­rei­tung auf mei­nen Bei­trag auf dem http://www.talentmanagementforum.de ein Inter­view dazu gege­ben. Hin­ter­grund: Ich betreue das FK Pro­gramm eines hid­den Tech­no­lo­gie Cham­pi­on „irgend­wo in Deutsch­land“. Auf Wunsch des Kli­en­ten ist der Ein­stieg der von ihren FK gewähl­ten Kan­di­da­ten ein Assess­ment Cen­ter, bei dem wir auch den MBTI Test durch­füh­ren. Dar­aus bau­en wir für die 3 12er Grup­pen, die wir betreu­en, soge­nann­te MBTI Häu­ser. Es gibt 16 ver­schie­de­ne Typen, in unse­re Pro­gram­me „gera­ten“ aber, nomi­niert durch ihre FK, fast aus­schliess­lich „IT“ Typen: Intro­ver­tier­te Den­ker. Das ist in Tech­no­lo­gie­un­ter­neh­men nicht unbe­dingt über­ra­schend, bedeu­tet aber im Ergeb­nis, dass wir immer die glei­chen Pro­blem­lö­sungs­stra­te­gien anzie­hen. In einer ein­fa­chen Welt mag das erfolg­ver­spre­chend sein, in einer kom­ple­xen Welt bricht das Unter­neh­men womög­lich irgend­wann das Genick, denn, so mei­ne Hypo­the­se, nur die Diver­si­tät schafft Krea­ti­vi­tät, Geschwin­dig­keit und Inno­va­ti­on. Nun ist es natür­lich ein Höl­len­job, die­se Unter­schied­lich­keit nicht nur zu tole­rie­ren, son­dern sie sogar zu för­dern. Mein lie­ber Kol­le­ge Ulf Pill­kahn sag­te dazu: Ins Team holen wir immer die uns ähn­li­chen und damit beque­men Leu­te. Damit krie­gen wir den Job hin, wer­den aber nicht wirk­lich krea­tiv oder besser…Unsere Auf­trag­ge­ber bei og. Unter­neh­men frag­ten sich und uns: War­um pas­siert uns das? Und wir fan­den her­aus: Weil wir schon im Recrui­ting Pro­zess genau die Kan­di­da­ten iden­ti­fi­zie­ren, die „zu uns pas­sen“. Und zu uns pas­sen heisst halt immer Gleichklang…Herausforderung der Kom­ple­xi­tät aus mei­ner Sicht daher: Arten­schutz und „Sprach­trai­ning“: Hier die Pin­gui­ne, da die Papa­gei­en, und alle zwit­schern gemein­sam – Wun­der­ba­re Welt der Diversität.

Marcus Raitner 6. März 2018 Antworten

Schön gesagt, lie­be Sabi­ne. Dan­ke für die­ses sehr rea­le Bei­spiel. Es beginnt tat­säch­lich schon beim Recrui­ting, aber auch Leis­tungs­be­wer­tung- und Beför­de­rung tun dann ein Übriges …

x-1 2. März 2018 Antworten

Diver­si­tät in einem neu­en Licht – sehr inter­es­sant, vie­len Dank.

Kur­zer Nach­trag zu „Dann gäbe es zwar viel­leicht genau­so vie­le Frau­en wie Män­ner in Füh­rungs­po­si­tio­nen (was wün­schens­wert wäre)“:
Ich den­ke eine Gleich­ver­tei­lung rela­tiv zur Grund­ge­samt­heit inner­halb einer Orga­ni­sa­ti­on ist ein fai­rer Richt­wert. Die Tat­sa­che, dass eine „unglei­che“ Aus­prä­gung gera­de in tech­nisch gepräg­ten Orga­ni­sa­tio­nen vor­herrscht, liegt ver­mut­lich haupt­säch­lich dar­an, dass die Ver­tei­lung der Grund­ge­samt­heit (=alle poten­ti­ell zur Ver­fü­gung ste­hen­de Men­schen) erst mal so gege­ben ist.

Marcus Raitner 6. März 2018 Antworten

Fair ist das eine (und die Ver­tei­lung in der Grund­ge­samt­heit viel­leicht ein guter Maß­stab), den­noch kann es gera­de in tech­nisch gepräg­ten Fel­dern Sinn machen ganz bewusst mehr von ande­res den­ken­den Men­schen anzu­zie­hen, weil sich dadurch bes­se­re Lösun­gen ergeben.

kritischer Denker 16. September 2020 Antworten

Je weni­ger wir gemein­sam haben, des­so stär­ker sind wir.
honk honk

Nirmalo 14. Juni 2023 Antworten

Mar­cus: „Dis­sens mehr als … Konsens“

Ja, der Kon­sens ist fein, aber man soll­te ihm miß­trau­en. Oft stinkt er, weil er nicht ehr­lich ist.

Ansons­ten sor­gen sie bei­de, der Dis­sens und der Kon­sens, als Paar für eine leben­di­ge Entwicklung.

Per­ma­nen­ter Kon­sens… ist Sta­gna­ti­on, kommt dem Tod nahe.
Per­ma­nen­ter Dis­sens… ist Leben­dig­keit, ist Rei­bung, ist Krieg. 

Bei­de For­men für sich allein sind nicht gesund.

Der Dis­sens mischt auf, bringt Neu­es, bringt Ener­gie ein, sorgt für Dynamik.

Und ja, der ehr­li­che Dis­sens (im Sin­ne des Herrn Eisen­hower) ist von höhe­rem Wert als der Kon­sens. Ehr­lich in dem Sin­ne, daß er nicht Selbst­zweck ist oder Ego-Inter­es­sen dient, son­dern der Ent­wick­lung der Sache för­der­lich ist.

Unehr­li­cher Dis­sens = destruk­ti­ve Reibung
Ehr­li­cher Dis­sens = kon­struk­ti­ve Reibung

Eine hei­te­re Sommerzeit
wünscht Nirmalo

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