Change und Change-Management war gestern. Heute wird transformiert. Eine digitale Transformation für die Geschäftsmodelle, weil Daten das neue Öl sind. Eine agile Transformation für die Organisation und ihre Abläufe, weil Flexibilität und Schnelligkeit gefragt sind in Zeiten von großer Unsicherheit. Leider hat sich oft nur die Bezeichnung geändert und wo groß Transformation drauf steht ist eigentlich ganz klassisches – und sehr tayloristisches – Change-Mangement drin. Darum haben Patentrezepte und Blaupausen gerade Hochkultur: einfach mal LeSS oder SAFe einführen oder Spotify kopieren und fertig ist die agile Transformation. Der Charakter der Transformation als ein natürlicher Entwicklungsprozess eines komplexen Systems wird dadurch ignoriert zu Gunsten eines Musters, das zwar bisher auch nur leidlich funktioniert hat, aber wenigstens bekannt ist und gut steuerbar erscheint: Die Organisation und die Menschen darin einfach umbauen wie so eine komplizierte Maschine. Begleitet freilich von allerlei Change-Theater, denn man muss die Menschen ja irgendwie „mitnehmen“. Eine erfolgreiche Transformation aber, die diesen Namen verdient, basiert auf Visionen statt Blaupausen. Sie wird idealerweise getragen von allen und geführt mit Empathie, Vertrauen und Geduld.
Empathie
People don’t resist change. They resist being changed!
Peter Senge
So digital die Transformation auch daherkommen mag, im Kern geht es immer um die Menschen. Der Mensch muss daher im Mittelpunkt jeder Transformation stehen. Der Mensch als Mensch mit seinen Fähigkeiten, Hoffnungen und Ängsten und nicht der Mensch als Mittel und Rädchen im Getriebe einer maschinengleichen Organisation. Genau deshalb ist das Manifest für menschliche Führung als Antwort auf die neue Rolle von Führung in Zeiten der Transformation entstanden. Und es ist kein Zufall, dass es den Menschen in den Mittelpunkt stellt.
Führung beginnt mit Selbstführung und der eigenen Selbstwahrnehmung: Nur wer sich selbst führen kann, kann andere führen. Das ist die Grundlage für echte Empathie, also „Fähigkeit und Bereitschaft, Empfindungen, Gedanken, Emotionen, Motive und Persönlichkeitsmerkmale einer anderen Person zu erkennen und zu verstehen.“ (Wikipedia). Ohne Empathie bleibt jede Transformation kaltes und seelenloses Change-Theater, zelebriert um den Umbau der Organisations-Maschinerie für die betroffenen Rädchen verträglicher zu gestalten.
Vertrauen
Vertrauen ist eine Oase des Herzens, die von der Karawane des Denkens nie erreicht wird.
Khalil Gibran
Im Kern ist jede Transformation eine Reise mit ungewissem Ausgang. Die Vision von digitalen Geschäftsmodellen oder einer agilen Organisation oder beidem ist der Nordstern und weist die Richtung. Das Was und Wie muss im Detail aber erst erkundet und erprobt werden. Und dazu braucht es nicht ein paar wenige Manager sondern die Weisheit, Erfahrung und Kreativität aller Betroffenen. Es geht also darum, Neugier, Mut und Kreativität zu fördern. Es geht darum, sich überraschen zu lassen. Und es geht darum, Fehlversuche auszuhalten und gemeinsam zu lernen. All das basiert auf Vertrauen. Vertrauen in die Motivation und Fähigkeiten der Menschen.
Geduld
Die Eile ist das Gegenteil der Geduld: Ungeduldig sucht sie zu beschleunigen, was eigentlich seine Zeit braucht.
Jürgen Dahl
In unserer auf kurzfristige Zahlen und Erfolge ausgerichteten Wirtschaft ist uns die Tugend der Geduld ein wenig abhanden gekommen. Auf der anderen Seite braucht alles seine Zeit und gerade natürliche Prozesse können nicht beschleunigt werden: Auch neun Frauen schaffen ein Kind nicht in einem Monat, um das Bild aus Fred Brooks grandiosem Buch „The Mythical Man-Month“ zu bemühen. Und Tomaten wachsen nicht schneller, wenn ein Manager sie überwacht und motiviert. Alles braucht seine Zeit. Diese banale Erkenntnis steht am Anfang jeder nachhaltigen Transformation. Es gibt keine Abkürzungen, Patentrezepte und Blaupausen. Der Schlüssel zu einer erfolgreichen Transformation ist es, den Druck kurzfristige Erfolge zu liefern auszuhalten und den Menschen empathisch und vertrauensvoll den Raum und die Zeit zu geben, gemeinsam zu lernen und zu wachsen.
Stop trying to borrow wisdom and think for yourself. Face your difficulties and think and think and think and solve your problems yourself. Suffering and difficulties provide opportunities to become better. Success is never giving up.
Taiichi Ohno
10 Kommentare
Ich verstehe ehrlich nicht, warum Du für Deinen richtigen und guten Beitrag auf Change Management „eindreschen“ musst, lieber Marcus.
Dass die Konzepte des Change Managements von einigen mechanistisch angewendet, Phasenmodelle als Vorgehensmodelle missbraucht und Veränderung als Verfahrenstechnik missverstanden wird, spricht doch nicht gegen die wirksame Begleitung von Veränderungen. Das gleiche lässt sich in der Disziplin Projektmanagement sagen, wo wir doch ‑gemeinsam- für mehr Haltung und weniger mechanistisches Anwenden der (klassischen und agilen) Methoden werben…
Vielen Dank für deinen Kommentar, Olaf. Ich bin absolut für die Begleitung von Veränderung, aber eben richtig. Und das was ich als Change Management wahrnehme ist leider oftmals eher Theater als Unterstützung.
was zunächst ein schlechtes Licht auf die Industrieschauspieler und die Regie wirft.…
In der Tat, Olaf. In der Tat.
Hallo Herr Raitner,
inhaltlich kann ich Ihrem Artikel in der Sachaussage, Menschen im Mittelpunkt, vertrauen …nur recht geben. Was ich erlebe ist allerdings, dass die Unternehmensführer hier noch immer auf der Suche nach Methoden sind, die den „Prozess“ Digitalisierung schnell umgesetzt sehen wollen – nach dem Motto:Lass den Kelch schnell an mir vorüberziehen“. Aussagen wie: Der Mensch steht im Mittelpunkt“ wurde auch früher schon in Hochglanzbroschüren fett gedruckt. Nur gelebt wurde es nicht, weil es grundlegendes Umdenken und Veränderung und Machtverzicht der handelnden Führungspersonen braucht. Das erlebe ich aktuell als große Hürde.
Vielen Dank für Ihren Kommentar. Ich erlebe das leider auch oft anders. Darum schreibe ich ja immer wieder dagegen an …
Herzlichen Dank für diesen Artikel, der Essentielles auf den Punkt bringt.
In meinem eigenen Unternehmen wie in der Arbeit mit unseren Kunden erlebe ich immer wieder: Die Führung mit Empathie, Vertrauen und Geduld gelingt wesentlich besser, wenn Klarheit über gemeinsame Werte besteht und diese Werte auch gelebt werden.
Auf dieser Basis fällt es leichter, „sich überraschen zu lassen“, denn die gemeinsamen zentralen Werte bilden gewissermaßen den Kompass, um Weisheit, Erfahrung und Kreativität sinnvoll einzusetzen.
Stimmt: die gemeinsamen Werte braucht es als solide Basis.
ich habe gerade gelesen, weswegen die Zertifizierung der Einrichtung, in der ich lange und gern gearbeitet habe, mit den neuen Strukturen krank gemacht hat. Als Mitarbeiter habe ich den Prozess nicht begleiten können. Es ist einfach gemacht worden, eine neue Stelle wurde geschaffen, die die Prozesse standardisiert hat und damit kontrollierbar wurde. Dass ist in einer Psychiatrieeinrichtung kontraproduktiv. Da geht es um Menschen und nicht um die Kontrolle der Arbeit. Danke für diesen wichtigen Hinweis.
„People don’t resist change, they resist being changed.“ Diesen Leitsatz von Peter Senge nutze ich immer gerne wenn es um Veränderungsvorhaben geht. Wir sind eben keine Maschinen oder Computer, wo man eben mal ein Update aufspielen kann.