Die agile Transformation als einen möglichst reibungsfreien Übergang von einem heutigen in ein künftiges Organisationsmodell zu betrachten, ist eine genauso beliebte wie fundamental falsche Annahme, die für das Scheitern vieler Transformationen verantwortlich ist und sein wird. Weder lässt sich der gewünschte Zielzustand ausreichend genau beschreiben – und auch Modelle wie SAFe, LeSS, Nexus und Co. dürfen keinesfalls als Blaupausen verstanden werden – noch gibt es diesen Zielzustand im Sinne eines dann für gewisse Zeit stabilen Modells überhaupt. Das Ziel einer agilen Transformation ist eine hochgradig anpassungsfähige Organisation und das beinhaltet auch und gerade die kontinuierliche Anpassung der Strukturen und Prozesse an eine sich immer schneller verändernde Umwelt. Form follows function.
Shapeshifters are the ultimate form of agility. They adapt to their environment, every day.
Jurgen Appelo
So banal und abgedroschen es auch klingt: Der Weg ist das Ziel. Egal wie beeindruckend und nachahmenswert die Modelle von Spotify und anderen Vorreitern auch erscheinen, sie sind nur Momentaufnahmen und damit bestenfalls Inspirationen. Sie sind insbesondere nicht die Essenz dessen, was diese Organisationen im Kern anpassungsfähig und erfolgreich macht. Das ist vielmehr deren Fähigkeit die Strukturen und Prozesse als Variable zu sehen und zu nutzen, um sich schneller als andere an veränderte Marktbedingungen und Chancen anpassen zu können.
Strategie ist ein zunächst leerer Handlungsraum, begrenzt durch Prinzipien. Er wird für den unbekannten Teil des Weges benötigt. Für den bekannten Teil genügt ein Plan, gebildet aus Regeln.
Gerhard Wohland
Dieser treffenden Unterscheidung von Gerhard Wohland zwischen Plan und Regeln, die beschreiben, was zu tun ist, und Strategie und Prinzipien, die nur beschreiben was erreicht oder vermieden werden muss, folgend, kann es für eine agile Transformation keinen Plan und keine Regeln geben, weil der Weg allein schon wegen des prinzipiell nicht präzise fassbaren Ziels unbekannt ist. Wichtig ist also einen leeren Handlungsraum aufzuspannen und mit Prinzipien (die Prinzipien hinter dem agilen Manifest sind dafür ein sehr guter Startpunkt) zu begrenzen, um der kontinuierlichen Transformation den nötigen Freiraum zu geben. Genau das widerstrebt aber vielen großen Organisationen, die es gewohnt sind mit Prozessen, Rollen und Regeln zu steuern. Selbst wenn dieser Freiraum für den Aufbruch zunächst und zähneknirschend gewährt wird, für das Ziel soll bitte schön wieder alles in Form von agilen Prozess- und Vorgehensmodellen geordnet sein und dann eben klar beschrieben sein, wie Scrum hier im Detail funktioniert. Das ist auch verständlich und in gewissem Maße auch sinnvoll, weil damit die Zusammenarbeit geregelt wird ohne sie ständig neu verhandeln zu müssen. Die Gefahr dabei ist freilich, dass der leere Handlungsraum – und damit die Anpassungsfähigkeit – immer weiter schrumpft, weil es dann plötzlich nicht mehr erlaubt ist, Kanban auszuprobieren, weil ja Scrum in genau dieser Ausprägung vorgeschrieben ist.
2 Kommentare
Hmm. Das klingt jetzt aber sehr abstrakt. Wenn Prinzipien den „Handlungsraum“ begrenzen, sind es dann nicht auch Regeln? Ich verstehe schon, was du sagen willst, aber ich finde diese Umschreibung mit dem Handlungsraum ist nicht gerade Verständnisfördernd.
Ja, ist ein bisschen abstrakt. Aber Prinzipien beschreiben eher was nicht gemacht werden darf und begrenzen dadurch den Handlungsraum, während Regeln beschreiben was zu tun ist.