Wie isst man einen Elefanten? Genau: In kleinen Scheiben. Mit dieser Salami-Taktik werden große Aufgaben beherrschbar. Viele erkennen den iterativ-inkrementellen Charakter agiler Methoden wie Scrum und fühlen sich daher an dieses Elefanten-Carpaccio erinnert – ein Trugschluss, dem die grundsätzliche Verwechslung von Kompliziertheit und Komplexität zugrunde liegt.
Die Salamitaktik hat ihre Berechtigung, um Aufgaben, die zwar groß und kompliziert, aber ansonsten gut verstanden sind, Schritt für Schritt abzuarbeiten. Ein Flugzeug oder ein Auto zu bauen fällt in diese Kategorie. Ein solches Problem kann zerlegt und analysiert werden. Und das gewünschte Ergebnis kann dann aus Komponenten zusammengesetzt werden. Jedenfalls ist das heute so mit langjähriger Erfahrung aus Flugzeug- bzw. Automobilbau.
The art of simplicity is a puzzle of complexity.
Douglas Horton
Zu Zeiten der Gebrüder Wright oder eines Gottlieb Daimler stellten sich diese Aufgaben aber noch völlig anders dar. Damals waren das komplexe Probleme, deren Lösung nicht durch rationales Durchdringen erfolgte, sondern durch Lernen mittels Versuch und Irrtum. Auf die Frage eines Reporters, wie es sich denn anfühle, tausend mal zu scheitern, antwortete Thomas Edison einst: „Ich bin nicht 1.000 Mal gescheitert. Die Glühbirne war eine Erfindung in 1.000 Schritten.“
Agilität bedeutet in erster Linie Flexibilität. Diese Anpassungsfähigkeit ergibt sich tatsächlich aus einem Vorgehen in kleinen Schritten. Idealerweise ist jeder dieser Schritte ein kleines Experiment mit dem Ziel etwas mehr über das Problemfeld und die Lösungsmöglichkeiten zu lernen. So wie die untere Sequenz in der obigen Zeichnung von Henrik Kniberg. Jeder Schritt ergibt ein benutzbares Produkt, mit dem Erfahrungen gesammelt werden können. Das ist etwas völlig anderes als Elefanten-Carpaccio, wo man erst am Ende feststellt, ob der mühsam zusammengesetzte Elefant lebensfähig ist.
Success is not final, failure is not fatal: it is the courage to continue that counts.
Winston Chrurchill
Der gängige Einwand, dass es doch nicht effizient sei, erst ein Skateboard, einen Roller, ein Fahrrad und ein Motorrad vor dem Cabrio zu bauen, ist genauso berechtigt wie lehrreich. Tatsächlich ist dieses Vorgehen nicht effizient, wenn klar ist, dass der Kunde das Cabrio braucht und will und klar ist, wie Cabrios grundsätzlich gebaut werden. Dann kann diese immer noch komplizierte Aufgabe mittels Zerlegung rational durchdrungen und effizient gelöst werden.
If all you have is a hammer, everything looks like a nail.
Abraham Maslow
Oft ist aber nicht klar, welches Produkt oder welcher Service morgen benötigt wird und wie ein mögliches Geschäftsmodell dafür aussieht. Oder es ist unklar, wie die beste technische Lösung dafür aussieht – so wie bei Edison, Daimler oder den Wright Brüdern. Oder alles zusammen. Viel unnötiges Leid entsteht daraus, dass das ganze Arsenal zur effizienten Lösung komplizierter Aufgaben auf ein eigentlich komplexes Problem angewendet wird. Also: bitte kein Elefanten-Carpaccio mehr, wenn eigentlich Agilität benötigt wird.
15 Kommentare
Guten Morgen Marcus, ich finde Deine Artikel einfach klasse. Und ich freue mich jedes Mal über eine neue Mail von Dir, inzwischen die Erfahrung habend, dass Deine Gedanken a) mit meiner Arbeit im Lean Management korrelieren und b) mich in meinem Denken und Handeln als PM inspirieren wie bestätigen. Daher ein großes Danke für Deine bisherigen Gedanken, in Vorfreude auf Deine künftigen. :-) Herzliche Grüße Michael
Guten Morgen, Michael! Herzlichen Dank für dein liebes Feedback. Es freut mich wirklich sehr!
Ein weiterer Dank von mir, Marcus.
Ich erkläre das den Kollegen meist so:
„ein Auto zu bauen ist kompliziert, eins zu entwerfen ist komplex.“
Eine besondere Herausforderung ist dabei „reverse engineering“.
Man lernt dabei aus einer Antwort, zu der man die Frage nicht mit Gewissheit kennt.
Ich habe das einst hier angedeutet:
https://up2u.blog/42
Viel Spaß dabei!
Vielen Dank, lieber Alexander!
.. und Elefanten isst man natürlich gar nicht! ;-)
Auf keinen Fall!
Ich stimme fast zu. :) Wir haben sehr oft die Situation, dass in Veränderungsprozessen die Komplexität unterschätzt wird. Unser systemischer Ansatz der lernenden Organisation setzt ebenfalls Flexibilität und Agilität voraus. Um die Menschen handlungsfähig zu machen, ist Elefanten-Carpaccio schon sinnvoll – einfach um klar zu machen, wie vielschichtig eine bestimmte Situation ist. Darüber begreifen die Menschen oft erst, was bestimmte Aktionen überhaupt im System auslösen können und werden dadurch offener für einen zielführenden Austausch und eigene Anpassungen im folgenden Prozess.
Ich bin ein großer Fan eines systemischen Ansatzes. Aber ich würde nicht sagen, dass das dann Elefanten-Carpaccio ist. Das ist mehr eine Systemvariable nach der anderen in Isolation zu betrachten um die Zusammenhänge zu verstehen, also quasi den Elefanten erst am Schwanz und dann am Rüssel zu ziehen und ihm schließlich gegen das Bein zu treten oder so.
Hallo Marcus,
danke für deinen Beitrag. Ich reagiere darauf spät, da ich ihn jetzt erst lese und ihn ehrlich gesagt nicht verstehe. Ich finde das Bild vom Elephant Carpaccio irgendwie falsch, da es den Eindruck erweckt, dass der ganze Elefant in Einzelteile zerlegt iterativ zusammengebaut wird. Die Idee dahinter ist ja eine andere (zumindest habe ich so das Game kennengelernt und durchgeführt).
Wenn wir erst „am Ende feststellen, ob der mühsam zusammengesetzte Elefant lebensfähig ist“, wie du geschrieben hast, ist das für mich Waterfall. Hier gibt es einen Wurf und der Wert wird validiert. Ziel des Games ist es ja sich an der Knowledge-Aquisition Curve entlang zu hangeln. Je kleiner die Stories, desto höher die Wahrscheinlichkeit dass wir auf dem richtigen Weg sind, Wert zu schöpfen. Die Kurve ist ja auch in drei Phasen unterteilt – Pay to learn, build business value, trim or polish. In der ersten Phase geht es ja auch darum, ob wir das richtige bauen und bauen können. Das beinhaltet zum einen eine Interne Begutachtung der Möglichkeite, und dann auch eine Validierung. Also der idee von Henrik Kniberg entsprechend, denn es ist ja möglich, dass wir ab einem bestimmten Punkt der Kurve feststellen, dass wir keinen Elefanten brauchen, sondern ein Kamel. Dann würde von der ursprünglichen Kurve eine neue Kurve entstehen, die noch mehr Wert schöpft (nicht sicher, ob ich das verständlich beschreibe ;-)). Das ist ja im Sinne der Agilität.
Also kurzum: ich gehe mit allen Punkten, die du oben beschreibst mit. So wie ich Elephant Carpaccio kennen gelernt habe, unterstützt es aber genau das. Einzig das Bild ist irritierend. Allein das Bild betrachtet, würde es ja auch keinen Unterschied machen, ob man vertikal oder horizontal schneitdet, denn man könnte ja annehmen, dass das einzige Ziel ist, den Elefanten zusammenzubauen. Denke das Bild wurde benutzt, um zu symbolisieren, dass große Anforderungen klein geschnitten werden können.
Die Inhalte des Workshops mit dem Bild der Mona Lisa würde ich würde ich kaufen ;-)
Hast du andere Erfahrungen mit EC gemacht?
Hallo Tom, danke für deinen Kommentar. Ich lerne gerade, dass es offensichtlich ein Spiel dieses Namens gibt, in dem es darum geht Stories richtig und möglichst klein (dünn wie beim Carpaccio) zu schneiden. Da bin ich komplett dabei und das Spiel liest sich gut. Und insofern verstehe ich das Bild bei Henrik Kniberg ja auch, nur habe ich das Bild vom Elefanten-Carpaccio hier anders benutzt, nämlich so wie es mir oft unterkommt. Etwas großes wird klein geschnitten und Scheibe für Scheibe gegessen (bearbeitet). Und erst am Ende gibt es Feedback.
Hallo Marcus,
wie immer, sehr gelungener Artikel. Wenn es um das Thema Komplexität und Lebendigkeit geht, dann verweise ich gerne auf Heinz von Förster, der Lebendigkeit auch gerne durch Alchemie erklärt. Ich ergänze dazu gerne noch, dass man einen Elefanten zwar gerne in seine Teile zerlegen kann (analysieren), man zerstört dadurch aber die Lebendigkeit und Komplexität. Wenn man versucht, die Teile des Elefanten wieder zusammenzusetzen, dann bleibt der Elefant tot: Was tot ist kann nicht wieder lebendig gemacht werden.
Damit erkläre ich, dass die Salamitaktik und den Elefanten in kleine Teile zu zerteilen (zu teilen und zu analysieren) unter Komplexität sinnlos ist. Anstatt zu analysieren hilft eher die Kontemplation und dann achtsam versuchen und irren und weiter versuchen und reflektieren und lernen.
Liebe Grüße
Björn
Vielen Dank, Björn. Diese Erklärung nutze ich auch öfters! Ist aber gerade in ingenieurslastigen Domänen schwierig (insbesondere, weil die meist eben mit nicht lebendigem zu tun haben.)
Hallo Markus, ich bin gerade zufällig auf Deiner Website gelandet und habe das Elefanten-Carpaccio gelesen :-) Vielen Dank für diesen sehr erhellenden und lustig zu lesenden Text! Ich bin Scrum Master bei einem sehr großen IT-Unternehmen und versuche mich daran, dort wirksam zu sein. Keine leichte Aufgabe und jeder Input dieser Art ist mir besonders willkommen!
Sehr herzliche Grüße
Bettina
Interessantes Thema! Ich hatte gerade das Elephant Carpaccio mit Alistair Cockburn und wurde von Kollegen auf diesen Artikel aufmerksam gemacht.
Der Unterschied Komplex und Kompliziert wird wirklich oft nicht beachtet, wenn entschieden wird Scrum anzuwenden.
Es gibt einen weiteren Aspekt, der oft untergeht und beim Elephant Carpaccio aus meiner Sicht im Vordergrund steht: Wertmaximierung der getanen Arbeit bzw. Minimierung wertloser Arbeit. Durch den Ansatz Schritt für Schritt etwas aufzubauen das bei jedem Schritt funktioniert, kann man jederzeit abbrechen oder umschwenken oder frühzeitig in den Markt/zum Kunden starten. Und man ist in der Lage auf den Markt zu reagieren, also Dinge wegzulassen, ein anderes Feature vorzuziehen, etc. Das spart direkt Geld und Zeit. Das ist die Basis von agiler Entwicklung. Das funktioniert natürlich nicht, wenn Projekte von vornherein auf X Jahre inklusive Spezifikation zu Beginn usw. ausgelegt sind. Und was da nicht alles spezifiziert wird! Vieles wird dann gegen Ende von Zeit und Budget doch immer verhandelt. Mir wäre es lieber das passiert laufend gesteuert und am Wert orientiert als in Form eines „Projektendkampfs“ bei dem es viele Verlierer gibt.
Aber ja, das „Scheibchenschneiden von Elefanten“ ist markig aber leider irreführend.
Gute Ergänzung. Richtig agiles Vorgehen ist eigentlich gelebte Risikominimierung. Auch wenn es vielleicht ineffizient anmutet Zwischenstände zu bauen und zu veröffentlichen, die eigentlich nicht dem geplanten Ziel entsprechen, ist dies eine gute Investition in Risikoabsicherung.