Die Kulturveränderung hin zu einer agileren Arbeitsweise betrifft nicht nur und auch nicht in erster Linie das Management und dessen hinderliche Praktiken. Die Aufgabe des Managements ist es einen angstfreien Raum für eine neue auf Vertrauen und Respekt basierende Zusammenarbeit in interdisziplinären Teams zu schaffen. Aber auch dann werden viele Mitarbeiter die Komfortzone Wasserfall, in der sie es sich über Jahrzehnte bequem gemacht haben, nur ungern verlassen. Schon gar nicht in so unsicheren und instabilen Zeiten wie heute.
Eine Schlüsselfähigkeit des 21. Jahrhundert, sowohl auf der Ebene des Individuums als auch auf der Ebene der Organisationen, wird es sein, mit Überraschungen umgehen zu können. „Embrace Change“ wird das im Kontext von Agilität genannt. Unvorhergesehenes sind eine logische Folge einer immer höheren Komplexität und Geschwindigkeit unserer hochvernetzten Welt. In den stabilen und trägen Märkten der Industrialisierung war Unvorhergesehenes eine problematische Ausnahme. Heute ist die Planbarkeit die Ausnahme. Diese Unsicherheit, egal ob bewusst eingestanden oder nur gefühlt, macht zunächst Angst, insbesondere wenn man es lange Jahre anders gewohnt war.
Der natürliche Reflex auf diese Angst ist mehr Planung und mehr Kontrolle. Die bisherige Organisation und die bisherigen Praktiken werden also nicht in Frage gestellt, sondern im Gegenteil mit größerer Akribie und Eifer angewendet und eingefordert. Das erhöht zwar die gefühlte Sicherheit, löst aber nicht das Grundproblem, dass wir lernen müssen, Überraschungen und Irrtümer als Chance zu begreifen. Die ersehnte Stabilität wird zu Starrheit und das ist mittlerweile brandgefährlich.
Die reinste Form des Wahnsinns ist es, alles beim Alten zu lassen und gleichzeitig zu hoffen, dass sich etwas ändert.
Albert Einstein
Im Kontext von IT-Projekten zeigt sich diese Sehnsucht nach mehr Stabilität, dass nicht alle sofort und bereitwillig das bewährte und so schön stabile Wasserfallvorgehen zu Gunsten eines agilen Vorgehens aufgeben können und wollen, selbst wenn sie dürfen und sollen und sie die Vorteile sogar theoretisch verstanden haben. Zwar klingt es irgendwie interessant und sinnvoll, im interdisziplinären Team wirklich miteinander anstatt neben- und nacheinander zu arbeiten, aber wer trägt denn dann die Verantwortung? Im Wasserfallmodell wurde über Jahrzehnte bis ins kleinste Detail geregelt, wer für welchen Abschnitt verantwortlich ist und welche Rolle welchen Beitrag zu leisten hat. Jeder Verantwortungsübergang ist entsprechend abgesichert und langsam: man will ja nichts übernehmen, was einem dann auf die Füße fällt. Jede Rolle hat eine klare Verantwortung und denkt nur im engen Korsett des eigenen Arbeitsauftrags. Das ist zwar weder effektiv noch effizient, bietet aber viel Stabilität und Sicherheit für den Einzelnen.
Don’t be afraid to fail. Don’t waste energy trying to cover up failure. Learn from your failures and go on to the next challenge. It’s ok to fail. If you’re not failing, you’re not growing.
H. Stanley Judd
Solange Überraschungen und Irrtümer als erklärungsbedürftige Planabweichungen und nicht als Chance gesehen werden, wird das Bedürfnis nach Sicherheit überwiegen. Wieso mit einem neuen Modell mit Mitarbeitern ganz anderer Abteilungen auf Basis von Vertrauen und Respekt zusammenarbeiten, um gemeinsam in einem komplexen Umfeld ein unklares Ziel bestmöglich zu erreichen? Und dann sieht dieses Modell wegen der prinzipiellen Unsicherheit auch noch vor, dass man in kurzen Abständen immer wieder unfertige Zwischenstände vorzeigt und sich über Kritik daran freut. Und das ohne die Gewissheit des üblichen Cover-Your-Ass-Spiels. Wieso also etwas riskieren?
Learning is not compulsory… neither is survival.
W. Edwards Deming
3 Kommentare
Hallo Marcus,
bin zwar ein wenig zögerlich, möchte aber dennoch noch einen Kommentar „wagen“:
Nach Winfried Berner gibt es eine Art Grundgesetz der Kulturveränderung:
“
Menschen verhalten sich völlig sinnvoll und logisch
– vor dem Hintergrund ihrer Wahrnehmung und Beurteilung der Realität
und vor dem Hintergrund ihrer persönlichen Ziele, Werte und Interessen.
“
VGL:
http://www.umsetzungsberatung.de/unternehmenskultur/kulturveraenderung.php
ME bedeutet das nicht nur, dass man ‑im Idealfall- mit Nutzen ;o), Empathie und der Schaffung von Akzeptanz eine Unternehmenskultur verändert (und damit die Organisation entwickelt), sondern auch, dass die Rahmenbedingungen (und damit das Management / die Führung) einen viel größeren Einfluß darauf haben, als man vielleicht vermutet. (Klassisch sticht ja „Ober“ einfach „Unter“…)
Man kann eine Situation ändern, indem man die treibenden Kräfte verstärkt oder die bremsenden Kräfte abschwächt.
Den größeren Sinn macht es natürlich die bremsenden Kräfte abzuschwächen – da man sonst „mit angezogener Handbremse“ fährt ;o) .
Last but not least gehen Menschen ME ein Risiko nur dann ein,
wenn sie einen Nutzen/Sinn darin sehen und ein positives Ergebnis erwarten. Lernen hingegen geschieht (bei den Meisten) „automatisch“.
So bleibt also nicht die Frage OB die Menschen einer Organisation lernen, sondern WAS sie lernen
– und wie sich durch das Gelernte die Haltung und Organisation entwickelt.
Wird sie bereiter mit Überaschungen umzugehen -> mutiger und felxibler vielleicht – oder eben nicht?
Agilität benötigt eben auch entsprechende Bedingungen.
Einen guten Start in die Woche
wünschend,
Bernd
Danke für Deinen Kommentar, Bernd! In dem Zusammenhang mit Kulturveränderung gefällt mir immer die Culture Map von Dave Gray. Dort findest Du auch genau den Bezug zu den Verhaltensweisen, die man abschwächen oder stärken muss um eine Veränderung herbeizuführen. Und ja, ich wollte das Management auf gar keinen Fall von ihrem Beitrag zur Veränderung freisprechen, sondern aufzeigen, dass es insgesamt stimmig sein muss.
Das es insgesamt stimmig sein muss (oder atm ist),
sehe ich auch so, Marcus!
Danke für Dein Feedback und den Link zur Culture Map!
Den Ansatz ‑das Ganze- wie einen Garten zu betrachten, gefällt mir.…