Am Handlauf in den Entscheiderkreis – Netzwerke und Gefährten

Was mein­te Mark bloß mit die­ser Fra­ge? Wie­so woll­te er wis­sen wel­chen „Auf­trag“ T. hat­te? Es soll­te doch nur ein klei­ner Erfah­rungs­aus­tausch sein. T. ging es ein­fach dar­um, ein Netz­werk von Gleich­ge­sinn­ten knüp­fen und sich regel­mä­ßig mit Kol­le­gen aus­zu­tau­schen, die wie er kei­ne Lust mehr auf schwer­ge­wich­ti­ge Soft­ware­ent­wick­lung im Was­ser­fall­mo­dell hat­ten. Men­schen, die hier oder woan­ders schon das Poten­ti­al agi­ler Soft­war­ent­wick­lung erfah­ren hat­ten. Oder auch nur Men­schen, die die Defi­zi­te des bis­he­ri­gen Vor­ge­hens in der heu­ti­gen schnell­le­bi­gen Zeit ver­stan­den hat­ten. Fünf­zehn Jah­re nach Ver­öf­fent­li­chung des agi­len Mani­fests kann man sich das auch mal als Kon­zern trau­en. Dar­über woll­te er reden. Und nicht über die Legi­ti­ma­ti­on die­ses Ansin­nens durch einen offi­zi­el­len Auf­trag von höhe­rer Stelle.

Jetzt ver­stand T. auch bes­ser, war­um sein Grup­pen­lei­ter letz­te Woche in ihrer Rück­spra­che so vor­sich­tig auf sei­ne Idee reagier­te. „Stell das lie­ber erst mal in der Grup­pen­run­de vor. Und danach dann in der Abtei­lungs­run­de.“ Wie so oft fühl­te sich T. über­be­hü­tet. Sicher­lich war das alles gut gemeint von sei­nem Grup­pen­lei­ter; genau­so wie die all­ge­gen­wär­ti­gen Schil­der mit der Auf­for­de­rung, den Hand­lauf auf der Trep­pe zu benut­zen. Gut gemeint und bestimmt auch sinn­voll, aber auch ent­mün­di­gend. Er woll­te bit­te wie ein Erwach­se­ner behan­delt wer­den, selbst ent­schei­den und selbst auch die Risi­ken tra­gen. So war er das gewohnt.

Es ging ja auch um gar nichts beson­ders Auf­re­gen­des. Nie wäre ihm in den Sinn gekom­men, sei­nen Grup­pen­lei­ter wegen eines sol­chen Aus­tauschs mit Gleich­ge­sinn­ten um Erlaub­nis zu fra­gen. In der Rück­spra­che hat­te er es auch nur neben­bei erwähnt. Noch weni­ger wäre es ihm in den Sinn gekom­men, dass es dafür irgend­ei­nes Auf­trags oder irgend­ei­ner ande­ren Erlaub­nis bedür­fen könn­te. Er woll­te es ein­fach aus­pro­bie­ren und wenn es für die Teil­neh­mer ein Gewinn war, wür­de die Run­de wach­sen und wenn nicht, dann wür­de er eben etwas ande­res versuchen. 

Inter­es­sier­te Kol­le­gen gab es ja genug ver­streut über die gan­ze IT und dar­über­hin­aus. Das wuss­te T. aus zahl­rei­chen Dis­kus­sio­nen im Enter­pri­se Social Net­work, das zwar immer noch mehr oder weni­ger einer Geis­ter­stadt glich, der T. aber immer wie­der durch teil­wei­se auch pro­vo­kan­te Bei­trä­ge und Kom­men­ta­re Leben zu ent­lo­cken ver­such­te. Man­che kann­te er schon von frü­her und ande­re lern­te er beim Kaf­fee im Anschluss an die Dis­kus­sio­nen im Enter­pri­se Social Net­work ken­nen. Und bestimmt gab es noch viel mehr sol­che Kol­le­gen, die er noch gar nicht kann­te. Jeden­falls woll­te er genau mit sol­chen enga­gier­ten Men­schen ein mög­lichst brei­tes Netz­werk knüp­fen, um gemein­sam für die mehr Agi­li­tät zu sorgen.

Zu ande­ren The­men exis­tier­ten doch schon mehr oder weni­ger dich­te und mehr oder weni­ger offi­zi­el­le Gras­wur­zel­be­we­gun­gen und Netz­wer­ke, zu denen sich T. eben­falls hin­ge­zo­gen und teil­wei­se zuge­hö­rig fühl­te. Sabi­ne und Robert hat­ten sich bei­spiels­wei­se vor­ge­nom­men, die Kul­tur der Orga­ni­sa­ti­on grund­le­gend zu trans­for­mie­ren und bau­ten ein gro­ßes Netz­werk quer durch alle Berei­che er Orga­ni­sa­ti­on auf. Sogar eine Men­tor auf obers­ter Füh­rungs­ebe­ne hat­ten sie dafür. Oder Anton, Ines und Jür­gen, die uner­müd­lich ver­such­ten, allen die Vor­zü­ge des ver­netz­ten Arbei­tens im Enter­pri­se Social Net­work schmack­haft zu machen. Je tie­fer T. Dis­kus­si­on für Dis­kus­si­on und Kon­takt für Kon­takt so in die Hin­ter­büh­ne und den Unter­grund der Orga­ni­sa­ti­on ein­drang, des­to mehr sol­che Netz­wer­ke und Bewe­gun­gen und deren Anfüh­re­rin­nen und Anfüh­rer lern­te er ken­nen – und schätzen.

Die­se Men­schen und ihr Enga­ge­ment für eine Ver­än­de­rung war auch das ein­zi­ge, das T. noch hielt. Klar, sei­ne Vor­ge­setz­ten waren zwar zufrie­den mit sei­ner Arbeit. Sehr sogar. Und so hat­te er auch die Pro­be­zeit pro­blem­los über­stan­den. Der Kon­zern hät­te umge­kehrt die Pro­be­zeit bei T. aber fast nicht über­stan­den. Viel­leicht hät­te er doch gleich wie­der gehen sol­len. Zwei Mal führ­te T. in sei­nen ers­ten Mona­ten im Kon­zern Gesprä­che mit ande­ren, deut­lich klei­ne­ren Fir­men. In die IT-Dienst­lei­tung und IT-Bera­tung woll­te er aber irgend­wie auch nicht wie­der zurück. Zu lan­ge hat­te er das schon gemacht. Es war schon gut, jetzt einen fes­ten Arbeits­ort zu haben und nicht jedes hal­be Jahr ein neu­es Pro­jekt irgend­wo. Bes­ser jeden­falls für sein Familienleben.

Auch ohne den for­ma­len Auf­trag war der ers­te Aus­tausch sehr ergie­big. Die Erfah­run­gen waren bei allen ähn­lich. Es war seit eini­gen Jah­ren theo­re­tisch mög­lich IT-Pro­jek­te agil durch­zu­füh­ren, die­se Opti­on glich aber mehr einem beschwer­li­chen Tram­pel­pfad wohin­ge­gen das Vor­ge­hen im Was­ser­fall aus­ge­baut war wie eine Auto­bahn. Ent­spre­chend weni­ge wag­ten es, die­se Auto­bahn zu verlassen. 

Eini­ge die­ser Pio­nie­re saßen nun am Tisch und berich­te­ten, wo die­se theo­re­ti­sche Mög­lich­keit hier schnell an prak­ti­sche Gren­zen stieß. Davon gab es mehr als genug, aber den­noch auch Erfol­ge und Licht­bli­cke. Sie wür­den sich wie­der tref­fen, so viel stand fest.

Das war das drit­te Kapi­tel eines Romans über das Leben im Kon­zern mit dem Pro­jekt­ti­tel „Am Hand­lauf in den Ent­schei­der­kreis“ (Kapi­tel 1: Die Bewer­bung und Kapi­tel 2: Run­den und Krei­se). Die­ser Roman ist ein Expe­ri­ment für mich, das von eurem Feed­back lebt. Lohnt es sich die­sen Roman zu schrei­ben? Was könn­te ich bes­ser und was soll­te ich anders machen?



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4 Kommentare

Ville Pellinen 5. September 2019 Antworten

Hi Mar­cus,

Auch ich bin begeis­tert, dan­ke schön!

Ich habe Dich vor kur­zem in Lin­ke­dIn ken­nen­ge­lernt und Dei­ne fun­dier­ten Bot­schaf­ten emp­fin­de ich als wohl­wol­lend-scharf-hin­ter­fra­gend und wert­voll auf vie­len Ebe­nen. Dan­ke noch­mals – und bit­te mei­ne Fra­gen übers Key­note in Lin­ke­dIn ant­wor­ten, weil sie auch die­se The­men dienen ;)

Beim Lesen habe ich mich gefragt
1) Was will Mar­cus? Viel­leicht wie JFK gesagt hat: „Der ein­zi­ge Grund eine Rede zu hal­ten ist die Welt zu verändern.“?
2) Was für eine Ein­lei­tung wür­de mir hel­fen die Büh­ne zu set­zen, viel­leicht ein Vor­ge­schmack und Span­nung, viel­leicht auch Hoff­nung, in mei­nen Kopf verführen?
3) Fühlst/analysierst Du auch bewusst Men­schen­bil­der, Beweg­grün­de, (Hid­den) Agen­das, Tak­ti­ken, Spra­che usw. von Mit­men­schen? Wenn ja, die Fühlungen/Analysen wür­de ich lie­ben zu lesen. Und neben­bei hof­fent­lich Lese­rIn­nen gleich ein­la­den so die ver­rück­te Welt ver­ständ­li­cher und erträg­li­cher zu machen und um spä­ter posi­tiv Ein­fluss zu geben.
4) Kennst Du Neu­ro­lea­der­ship und David Rock? Z.B. in „Your Brain at Work: Stra­te­gies for Over­co­ming Dis­trac­tion, Regai­ning Focus, and Working Smar­ter All Day Long “ stellt er auch schön rea­le und „men­schen­taug­li­che“ Arbeits­si­tua­tio­nen gegenüber.
5) „Unse­re stärks­ten Moti­va­tio­nen und Per­sön­lich­keits­merk­ma­le sind das Ergeb­nis unse­rer Grup­pen­er­fah­run­gen, ange­fan­gen bei der Fami­lie.“ und vie­le ande­re Juwe­le von Ed Schein hier: https://www.egonzehnder.com/de/insight/im-gesprach-mit-ed-schein

Super, dass Du wei­ter­machst ;) Wie könn­te ich helfen?

P.S. In mir ent­steht eine Geschich­te über den Pfle­ge­ro­bo­ter Röbi, der uns im Alter unter­stützt. Vor allem men­tal, wach­hal­tend beglei­tend. Der Röbi ist künst­lich-emo­tio­nal-intel­li­gent (affec­ti­ve com­pu­ting+) und könn­te neben­bei locker Coa­chings in Fir­men machen um sie zukunfts- und men­schen­taug­lich zu höhe­ren Bewusstseins/Komplexitätsstufen (Robert Kegan, Ken Wil­ber…) spar­ren. Der Röbi wür­de T. ger­ne kennenlernen :)

Marcus Raitner 5. September 2019 Antworten

Hi Ville, dan­ke für dei­nen vie­len Anre­gun­gen! Mir geht es in ers­ter Linie dar­um zu zei­gen, wie sie ein Mit­ar­bei­ter wie T. im Kon­zern fühlt. Ja, auf dem Weg wird er sicher­lich auch die ande­ren Kol­le­gen und ihre Beweg­grün­de, usw. bes­ser ken­nen­ler­nen und teil­wei­se ver­ste­hen. Eine Ein­lei­tung wür­de es im Buch natür­lich auch geben. Mir hilft dein Feed­back so schon mal sehr. Danke!

Matthias H. 3. Oktober 2019 Antworten

Hal­lo Marcus,

mir gefällt der Stil und es ist defi­ni­tiv unter­halt­sam und ringt sicher­lich vie­len „Büro­tä­ti­gen“ öfter mal ein Schmun­zeln ab!
In kurz: bit­te weitermachen!

Mein Vor­schlag wäre noch eine Art Pro­log, bei dem man die Per­son „T.“ etwas vor­stellt und defi­ni­tiv einen Namen gibt, den man sich bes­ser mer­ken kann, wei­ter­kom­mu­ni­zie­ren etc. Man muss sich mit der Figur ja nich unbe­dingt iden­ti­fi­zie­ren, aber es hat schon Sinn, dass im klas­si­schen Roman die Cha­rak­te­re spe­zi­fi­ziert und benannt wer­den und da oft bereits die zuge­hö­ri­ge Rol­le zumin­dest ange­deu­tet wird.

Traut­man ist z.B. ein Name der mir auf­grund der Beson­der­heit und des Anfangs­buch­sta­bens da wie­der ein­fällt (der Aus­bil­der von Ram­bo)… Der Film ist in die­sem Fall nicht so rele­vant, wohl aber, dass ich den Namen immer noch weiß obwohl ich den Film vie­le Jah­re nicht gese­hen habe.

Bes­te Grü­ße und viel Erfolg beim Weiterschreiben

Marcus Raitner 3. Oktober 2019 Antworten

Vie­len Dank für dein Feed­back, Mat­thi­as. Es gibt bestimmt eine Fort­set­zung. Und wenn jemals ein rich­ti­ges Buch dar­aus wird, gibt es sicher auch einen Pro­log und einer Hin­füh­rung, um T. bes­ser ken­nen­zu­ler­nen. Ob er einen rich­ti­gen Namen bekommt, weiß ich noch nicht (ich erin­ne­re zum Bei­spiel auch sehr gut an K. in den Roma­nen von Kaf­ka und das obwohl er kei­nen Namen hat).

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