Welche Verantwortung tragen Organisationen für die Gesellschaft? Reicht es, wenn sie ihren jeweiligen Zweck möglichst gut erfüllen oder tragen sie auch darüberhinaus Verantwortung? Wer kümmert sich um das Ganze, wenn sich jeder nur um seins kümmert? Angesichts der drängenden gesellschaftlichen Herausforderungen unserer Zeit, allen voran der drohenden Klimakatastrophe, gehen diese Fragen uns alle mehr denn je an. Sie sind aber keineswegs neu, sondern wurden bereits von Peter Drucker ausführlich und eindeutig beantwortet: Führung endet nicht an den Mauern der Organisation, sondern übernimmt Verantwortung darüberhinaus für die Gemeinschaft.
Der Zweck der Organisation und ihre Verantwortung
Auch wenn es sich bisweilen beim Blick in die Wirtschaftsnachrichten so anfühlt, der Zweck von Unternehmen ist es nicht, Profit zu machen oder gar den Profit zu maximieren. Peter Drucker hat dazu diese schöne Analogie benutzt: Profit ist wichtig für das Überleben der Organisation in der selben Weise wie Sauerstoff für den Menschen wichtig ist. Dennoch besteht das erfüllte Leben eben nicht nur aus Atmen um des Atmens willen. Und genauso besteht der Zweck der Organisation nicht aus Profit um des Profits willens.
Profit for a company is like oxygen for a person. If you don’t have enough of it, you’re out of the game. But if you think your life is about breathing, you’re really missing something.
Peter F. Drucker
Was ist aber der Zweck von Unternehmen? Peter Drucker ist da auch recht eindeutig. Dieser Zweck liegt immer außerhalb und damit in der Gesellschaft und er besteht im Wesentlichen darin, Kunden zu haben und zu halten. Der Kunde entscheidet letztlich, ob das Unternehmen seinen Zweck erfüllt.
To know what a business is, we have to start with its purpose. Its purpose must lie outside of the business itself. In fact, it must lie in society, since business enterprise is an organ of society. There is only one valid definition of business purpose: to create a customer.
Peter F. Drucker, Management Rev Ed
Die Schlussfolgerung, dass der Kunde als Zweck jegliches Mittel heiligt, ist nun aber zu kurz gedacht. So einfach können sich Unternehmen nicht aus der Verantwortung stehlen. Nicht alles, was dem Kunden dient, ist erlaubt und vertretbar. Dies gilt insbesondere für den Umgang mit den eigenen Mitarbeitern. Deswegen musste sich Amazon die letzten Jahre über immer wieder Vorwürfen zur Ausbeutung stellen, wurden und werden Apple immer wieder Missstände bei Foxconn vorgeworfen und die Textilindustrie hat immer noch ein riesiges Problem mit ihren Sweatshops.
Genauso wenig lässt sich die Verantwortung für mögliche negative Auswirkungen der Produkte insbesondere für Gesellschaft und Umwelt vollständig auf den Kunden abwälzen (er hatte ja schließlich die Wahl!). Besonders schädliche Produkte sind, obwohl es Kunden gäbe, deshalb ganz verboten, wie beispielsweise Drogen, oder nur unter mehr oder weniger strengen Rahmenbedingung erhältlich, wie Alkohol, Tabak, Waffen und vieles mehr. Andere Produkte müssen zur Unterstützung des Entscheidung des Kunden entsprechend deutlich und einheitlich gekennzeichnet werden, beispielsweise mit dem EU-Energielabel (und besonders wenig effiziente Produkte wie Glühbirnen werden dann ganz verboten).
Society or the economy can put any business out of existence overnight. The enterprise exists on sufferance and exists only as long as society and the economy believe that it does a job, and a necessary, useful, and productive one.
Peter F. Drucker, Management Rev Ed
Neben Shareholdern, Mitarbeitern und Kunden gibt es nämlich noch die Gesellschaft als Ganzes, in der die Organisation diese Produkte produziert und vertreibt und in der sie angewendet und entsorgt werden. Dieser Gesellschaft gegenüber haben Organisationen eben auch eine Verantwortung, denn sie existieren letztlich nur, weil die Gesellschaft sie duldet. Und wie schnell die Stimmung in heutiger Zeit kippen kann, zeigt eindrücklich die hitzige Debatte um SUVs in Deutschland (die vielleicht nur hier so hitzig ist, weil das Auto in Deutschland für viele eine heilige Kuh ist, der es nun ans Leder gehen soll).
Primum non nocere
Peter Drucker vergleicht im Kapitel 21 seines Buchs Management Rev Ed (Amazon Affiliate-Link) die Machtverhältnisse unserer Zeit mit dem Pluralismus im Mittelalter, der durch die starke Fokussierung auf Einzelinteressen von verschiedenen unabhängigen Machthabern (Bischöfe, Fürsten, Universitäten, etc.) die übergreifende Gemeinschaft vernachlässigte. Jeder kümmerte sich um seins, aber keiner trug Sorge für die Gemeinschaft darüberhinaus. Dieser Mangel führte laut Drucker dazu, dass im Laufe von 500 Jahren der moderne Staat entstand, wo diese einzelnen Fraktionen in ein großes Ganzes gegliedert und geordnet wurden.
The individual manager, even the chief executive of a giant corporation, has become anonymous, unassuming — just another employee. But together the managers of our institutions — businesses, universities, schools, hospitals, and government agencies — are the leadership groups in the modern society of organizations. As such, they need an ethics, a commitment, and a code. The right one is the code developed more than 2,000 years ago for the first professional leadership group, physicians: “Above all, not knowingly to do harm.”
Peter F. Drucker, Management Rev Ed
Mit dem Aufkommen von großen Industrieunternehmen nahm um 1860 der neue Pluralismus seinen Ursprung. Die Unternehmen gewannen zunehmend an (unabhängiger, weil nicht zentral, sondern vom Markt gesteuerter) Macht und staatliche Organisationen wurden zunehmend privatisiert, so dass heute wieder ein mehr oder weniger unkoordiniertes Nebeneinander von Machthabern wie im Mittelalter herrscht. Zusammen führen die Machthaber dieser verschiedenen Organisationen die moderne Gesellschaft, egal ob ihnen das nun bewusst ist und egal ob sich das wollen oder nicht. Dem antiken Wahlspruch von Ärzten folgend sollten sie also wenigstens der Gemeinschaft nicht wissentlich schaden: Primum non nocere.
Dieser Pluralismus ist grundsätzlich gewünscht und sinnvoll, weil nur durch diese Spezialisierung und Fokussierung Leistung und Fortschritt entsteht – auch das hat die Industrialisierung gezeigt. Diese Fokussierung braucht aber ein Gegengewicht im Engagement und der Verantwortung für die Gesellschaft als Ganzes. Peter Drucker geht deshalb noch einen Schritt weiter und fordert, dass Führung immer auch jenseits der eigenen Mauer stattfinden muss: in Form von Geld, indem sich Unternehmen beispielsweise nicht ihrer Steuerlast entziehen oder sogar noch freiwillig Projekte fördern, in personeller Form, indem Mitarbeiter die Möglichkeit haben, sich für die Gemeinschaft zu engagieren (das braucht faire Bezahlung und flexible Arbeitsmodelle) und in Form von übergreifender Zusammenarbeit an Herausforderungen, die nur gemeinsam bewältigt werden können. Und da wären wir wieder bei den Herausforderungen der drohenden Klimakatastrophe.
Yes, each institution is autonomous and has to do its own work, the way each instrument in an orchestra plays only its own part. But there is also the score, the community. And only if each individual instrument contributes to the score is there music. Otherwise there is only noise.
Peter F. Drucker, Management Rev Ed
2 Kommentare
Da gab’s doch was?
Gemeinwohl-Ökonomie oder so.
Steht sinngemäß sogar in der bayerischem Verfassung (Recht auf Ausübung eines Gewerbes verpflichtet).
Stimmt, lieber Roland. Viele scheinen das aber nicht so genau gelesen zu haben.