Noch nie war ich ein großer Fan des Begriffs der Work-Life-Balance. Er suggeriert eine Trennung, die ich so nicht bereit bin zu akzeptieren. Wenn etwas die Balance verloren hat, dann doch wohl unser Wirtschaften, wo Arbeit so gestaltet ist, dass sie nur mit entsprechendem Gegengewicht erträglich wird. Lasst uns also nicht nach mehr Work-Life-Balance streben, sondern nach nach einer lebenswerten Arbeitswelt, in der Menschen ihr ganzes Potential zur Entfaltung bringen können anstatt nur Humanresource zu sein. Lasst uns die verschiedenen Lebensbereiche unterscheiden ohne zu trennen.
Jedes Jahr bin ich aufs Neue entsetzt über die Ergebnisse des Gallup Engagement Index. Wir können es uns einfach nicht leisten, dass 70% der Menschen in deutschen Unternehmen nur Dienst nach Vorschrift machen. Das verschwendet kostbare Lebenszeit einerseits und kreatives Potential andererseits.
Die Ursache dieser Verschwendung liegt in der Art und Weise, wie wir Organisationen bisher gebaut haben und wie wir sie betreiben. Wo Menschen nur als Rädchen in einer riesigen seelenlosen Maschine eingesetzt werden, ist Dienst nach Vorschrift die logische Folge. Menschliche Arbeit wird in diesem Paradigma zu einem lästigen Übel, das es zu vermeiden gilt – für den Arbeitgeber genauso, wie für den Arbeitnehmer, wie E.F. Schumacher das in seinem sehr empfehlenswerten Buch „Small is beautiful: Economics as if People Mattered“ (Amazon Affiliate-Link) treffend ausführt:
There is universal agreement that a fundamental source of wealth is human labor. Now, the modern economist has been brought up to consider “labor” or work as little more than a necessary evil. From the point of view of the employer, it is in any case simply an item of cost, to be reduced to a minimum if it cannot be eliminated altogether, say, by automation. From the point of view of the workman, it is a “disutility”; to work is to make a sacrifice of one’s leisure and comfort, and wages are a kind of compensation for the sacrifice. Hence the ideal from the point of view of the employer is to have output without employees, and the ideal from the point of view of the employee is to have income without employment.
E.F. Schumacher, Small is beautiful
In genau diesem Denkrahmen hat das Konzept der Work-Life-Balance seinen Ursprung und eine gewisse Berechtigung. Es beseitigt jedoch nicht die Ursachen des Problems, sondern kuriert nur ein wenig die Symptome, in dem es neben der sinnentleerten und lebensfernen Arbeit Raum schafft für das „richtige“ Leben und die Verwirklichung der individuellen Talente und Hoffnungen.
Unterscheide ohne zu trennen – verbinde ohne zu egalisieren
Herbert Pietschmann
Wie viel mehr Lebensqualität einerseits und Arbeitsergebnisse andererseits wären aber möglich, wenn es gelänge, diese Trennung aufzuheben und der Arbeit wieder Leben einzuhauchen? Seine ernüchternde Analyse kontrastiert Schumacher deshalb auch mit einem ganzheitlichen Blick auf Arbeit:
The Buddhist point of view takes the function of work to be at least threefold: to give a man a chance to utilize and develop his faculties; to enable him to overcome his ego-centeredness by joining with other people in a common task; and to bring forth the goods and services needed for a becoming existence. Again, the consequences that flow from this view are endless. To organize work in such a manner that it becomes meaningless, boring, stultifying, or nerve-racking for the worker would be little short of criminal; it would indicate a greater concern with goods than with people, an evil lack of compassion and a soul-destroying degree of attachment to the most primitive side of this worldly existence. Equally, to strive for leisure as an alternative to work would be considered a complete misunderstanding of one of the basic truths of human existence, namely that work and leisure are complementary parts of the same living process and cannot be separated without destroying the joy of work and the bliss of leisure.
E.F. Schumacher, Small is beautiful
Egal wie gut ausbalanciert, die einzelnen Lebensbereiche lassen sich nicht trennen. Sie sind immer integraler Bestandteil eines einzelnen Menschenlebens. Erst durch ihr harmonisches Miteinander gelingt dieses Leben. Und Organisationen tragen Verantwortung nicht nur für ihre Ergebnisse, sondern auch für die Gesellschaft und insbesondere ihre Mitarbeiter. Anstatt also grundsätzliche Defizite mit ein paar Angeboten zur Work-Life-Balance zu kaschieren wird es Zeit die Prinzipien unseres Wirtschaftens zu hinterfragen und Organisationen und die Arbeit darin menschenwürdiger zu gestalten. Ich habe diesen Traum und bin nicht bereit ihn aufzugeben.
You’ve got to find what you love. And that is as true for your work as it is for your lovers. Your work is going to fill a large part of your life, and the only way to be truly satisfied is to do what you believe is great work. And the only way to do great work is to love what you do. If you haven’t found it yet, keep looking. Don’t settle.
Steve Jobs
2 Kommentare
Hi Marcus,
Klasse Blogbeitrag. Wirklich sehr lesenswert. „Egal wie gut ausbalanciert, die einzelnen Lebensbereiche lassen sich nicht trennen. Sie sind immer integraler Bestandteil eines einzelnen Menschenlebens.“ – genau das ist es!!
Ich finde auch, dass die Trennung von Work und Life nicht nur absolut unmöglich ist, sondern es auch schwachsinnig anmuttet, die Arbeit und das Leben unterbewusst als Gegensatzpaar zu positionieren. Als wäre Arbeitszeit keine Lebenszeit.
Natürlich ist Freizeit wichtig und Balance muss durchaus gefunden werden in Zeitaltern, die mehr denn je zu Burnout und Co neigen, aber ich finde, wenn da ein paar grundlegende Dinge beachtet werden, wie beispielsweise am Samstag mal nur für die Kinder da sein und nicht dauernd in die Firmen-E-Mails zu schauen (Tipps dieser Art stelle ich in meinem eigenen Blogbeitrag zu dem Thema vor: https://ausbilderschein24.de/work-life-balance-optimieren/) , dann ist das bereits die halbe Miete.
In diesem Sinne nochmals danke für den tollen Beitrag. Werde dich bookmarken!
Viele Grüße
Vielen Dank, Dennis. Ich würde sogar noch weiter gehen (frei nach Ricardo Semler): Wir haben zwar gelernt am Wochenende Mails zu beantworten, aber gleichzeitig nicht gelernt unter der Woche auch mal für die Kinder Zeit zu haben. Mir geht es um diese nahtlose Integration und den fließenden Übergang.