Hier bin ich Mensch, hier darf ich neugierig sein!

Die Digi­ta­li­sie­rung ver­drängt mensch­li­che Arbeits­kraft aus der Wert­schöp­fung. Sie setzt damit nur fort, was Robo­ter und Auto­ma­ti­sie­rung schon lan­ge zuvor begon­nen haben. Davon kann man sich bedroht füh­len, man kann es aber auch als Chan­ce sehen. Durch die Digi­ta­li­sie­rung rücken näm­lich ein­zig­ar­tig mensch­li­che Fähig­kei­ten und damit der Mensch jen­seits der blo­ßen Arbeits­kraft end­lich wie­der in den Fokus. In die­sem Sin­ne: Bleibt neugierig!

Wir waren alle ein­mal neu­gie­rig. Wir wur­den so gebo­ren. Mei­ne Kin­der fra­gen stän­dig nach dem War­um und hin­ter­fra­gen alles und jeden. Und das ist gut so. Noch bes­ser wäre es, wenn wir die­se Neu­gier nicht im Lau­fe der Zeit able­gen wür­den oder aberzo­gen bekä­men: Frag‘ nicht immer so viel!

The important thing is not to stop ques­tio­ning. Curio­si­ty has its own reason for existence. 

Albert Ein­stein

Die Schu­le ver­stärkt die­se Ten­denz. Anstatt die ange­bo­re­ne Neu­gier zu nut­zen und zu för­dern, geht es meist dar­um, Fak­ten­wis­sen und Fähig­kei­ten zuerst zu ver­mit­teln und dann zu prü­fen. Wäre die Schu­le auf Neu­gier aus­ge­rich­tet, wür­den die Schü­ler die Fra­gen stel­len und mit Beglei­tung der Leh­rer die Ant­wor­ten erar­bei­ten. Meis­tens ist es aber umge­kehrt: die Leh­rer stel­len Fra­gen und die Schü­ler geben auf Basis gelern­ten Wis­sens die Antworten.

Der Geist ist nicht wie ein Gefäß, das gefüllt wer­den soll, son­dern wie Holz, das ledig­lich ent­zün­det wer­den will.

Plut­arch

Das Schul­sys­tem folgt aber auch nur dem Prin­zip von Ange­bot und Nach­fra­ge. Die Wirt­schaft brauch­te und ver­lang­te über vie­le Jahr­zehn­te hin­weg genorm­tes Men­schen­ma­te­ri­al gemäß Stel­len­be­schrei­bung und „dum­me Fra­gen stel­len“ stand da nicht drin. Im Gegen­teil, Quer­den­ker stö­ren nur den Ablauf. Wenn auch glück­li­cher­wei­se meist nicht so dras­tisch for­mu­liert, vie­ler­orts galt im Prin­zip der Aus­spruch von Vil­os Cohaa­gen im Film Total Recall: „Wer hat Ihnen befoh­len zu den­ken?! Ich gebe Ihnen gar nicht genug Infor­ma­tio­nen, daß es sich lohnt zu den­ken. Sie wer­den nur das tun, was man Ihnen befiehlt!“

In the beginner’s mind the­re are many pos­si­bi­li­ties, but in the expert’s the­re are few.

Shun­ryu Suzuki

So sozia­li­siert und aus­ge­bil­det erklärt sich die Angst vor Auto­ma­ti­sie­rung, Digi­ta­li­sie­rung und künst­li­cher Intel­li­genz auch sofort. Natür­lich hat der Mensch, der zum Zahn­räd­chen im Getrie­be einer Orga­ni­sa­ti­ons­ma­schi­ne redu­ziert wur­de, jetzt völ­lig zu Recht Angst, dass die­se Funk­ti­on ein Algo­rith­mus über­neh­men wird. Dar­in liegt aber auch die Chan­ce, dass der Mensch im Unter­neh­men wie­der mehr als Mensch ent­fal­ten kann statt nur genorm­te Arbeits­kraft zu sein: Hier bin ich Mensch, hier darf ich neu­gie­rig sein!

Stu­dy hard what inte­rests you the most in the most undi­sci­pli­ned, irrever­ent and ori­gi­nal man­ner possible.

Richard Feyn­mann

Viel­leicht kön­nen Maschi­nen und Com­pu­ter irgend­wann bes­se­re Ant­wor­ten fin­den und Pro­ble­me bes­ser lösen als Men­schen, mit ihrer ange­bo­re­nen Neu­gier kön­nen aber nur Men­schen die rich­ti­gen Fra­gen stel­len. Genau die­ses stän­di­ge Hin­ter­fra­gen ist die ent­schei­den­de mensch­li­che Kern­kom­pe­tenz in einer Welt, die sich immer schnel­ler ver­än­dert. Wir müs­sen nun „nur“ noch Orga­ni­sa­tio­nen so umbau­en und füh­ren, dass die­se Neu­gier auch aus­rei­chend zur Ent­fal­tung kommt.

Some­thing is wrong if workers do not look around each day, find things that are tedious or bor­ing, and then rewri­te the pro­ce­du­res. Even last month’s manu­al should be out of date.

Tai­i­chi Ōno

Genau die­se Ermäch­ti­gung der „ein­fa­chen“ Arbei­ter zum neu­gie­ri­gen Hin­ter­fra­gen war und ist eine wesent­li­che Säu­le des Toyo­ta-Pro­duk­ti­ons­sys­tems, das von Tai­i­chi Ōno maß­geb­lich geprägt und wei­ter­ent­wi­ckelt wur­de. Toyo­ta gelang es dadurch, die Pro­duk­ti­vi­tät deut­lich zu stei­gern und nicht nur zur ame­ri­ka­ni­schen Kon­kur­renz aus Detroit auf­zu­schlie­ßen, son­dern sie zu über­run­den. Die Neu­gier der Men­schen in der Orga­ni­sa­ti­on zu nut­zen war damals ein ent­schei­den­der Wett­be­werbs­vor­teil und wird es im Zuge der Digi­ta­li­sie­rung noch viel mehr sein. Bleibt neugierig!

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Von Marcus Raitner

Hi, ich bin Marcus. Ich bin der festen Überzeugung, dass Elefanten tanzen können. Daher begleite ich Organisationen auf ihrem Weg zu mehr Agilität. Über die Themen Führung, Digitalisierung, Neue Arbeit, Agilität und vieles mehr schreibe ich seit 2010 in diesem Blog. Mehr über mich.

2 Kommentare

Nur ganz kurz, aber trotz­dem mit gro­ßer Begeis­te­rung. Ein dickes Lob für die guten Texte!!!

Es steckt viel Lebens­er­fah­rung hin­ter der Weis­heit, aus­drück­lich zustimme. 

Vie­len lie­ben Dank und ein wei­ter so.

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