Hofnarren: Eine bedrohte Art

Hof­nar­ren oder Orga­ni­sa­ti­ons­re­bel­len laden ein zum Nach­den­ken, Umden­ken und Anders­den­ken und bewah­ren die Orga­ni­sa­ti­on und die Macht­ha­ber vor Hybris und Träg­heit. Aber braucht es das wirk­lich in der Kri­se? Ist das Kunst oder kann das weg? 

Ursprüng­lich waren Hof­nar­ren gar kei­ne lus­ti­gen Unter­hal­ter, son­dern „eine sozia­le Insti­tu­ti­on zuläs­si­ger Kri­tik.“ (Wiki­pe­dia). Durch ihre Nar­ren­frei­heit stan­den sie außer­halb der höfi­schen Hier­ar­chie und waren ganz bewusst von den gesell­schaft­li­chen Nor­men am Hof ent­bun­den. Es war ihnen dadurch erlaubt, auf sub­ti­le und wit­zi­ge Wei­se die Macht­ha­ber zu kri­ti­sie­ren und zum Nach­den­ken und Umden­ken anzu­re­gen. Sie waren das per­so­ni­fi­zier­te Memen­to mori, das vor Über­mut und Selbst­ge­fäl­lig­keit schüt­zen sollte.

Was wir brau­chen, sind ein paar ver­rück­te Leu­te; seht euch an, wohin uns die Nor­ma­len gebracht haben.

Geor­ge Ber­nard Shaw

So inter­pre­tiert haben Hof­nar­ren auch in der Neu­zeit einen Wert, der weit über die rei­ne Unter­hal­tung hin­aus­geht. Gera­de in Zei­ten der Ver­än­de­run­gen brau­chen Orga­ni­sa­tio­nen die­se intel­li­gen­te Pro­vo­ka­ti­on und Irri­ta­ti­on. Hof­nar­ren oder Orga­ni­sa­ti­ons­re­bel­len laden ein zum Nach­den­ken, Umden­ken und Anders­den­ken und bewah­ren die Orga­ni­sa­ti­on dadurch vor Hybris und Trägheit.

Lei­der drängt sich jetzt, wo es für vie­len Orga­ni­sa­tio­nen eng wird, dem einen oder ande­ren eher tra­di­tio­nell gepräg­ten Mana­ger aber doch schnell die Fra­ge auf „Ist das Kunst oder kann das weg?“ Schließ­lich müs­sen in der Kri­se doch die Rei­hen geschlos­sen wer­den und alle an einem Strang zie­hen, um nur zwei gern ver­wen­de­te Nar­ra­ti­ve die­ser schwie­ri­gen Zeit zu benutzen.

So ver­ständ­lich der kurz­sich­ti­ge Wunsch nach Geschlos­sen­heit, Effi­zi­enz und letzt­lich Gehor­sam in der Kri­se ist, so schäd­lich ist er den­noch auf lan­ge Sicht. Mit dem glei­chen Argu­ment könn­te man in schwie­ri­gen Zei­ten die Gewal­ten­tei­lung im Staat außer Kraft set­zen und essen­ti­el­le Frei­heits­rech­te der Bür­ger und der Pres­se mas­siv ein­schrän­ken. Dar­auf reagie­ren vie­le Men­schen und mit­un­ter auch Gerich­te zu Recht sehr emp­find­lich. (Dass sich das wie­der­um aller­lei obsku­re und mit­un­ter gefähr­li­che Grup­pie­run­gen zunut­ze machen, ist genau­so pro­ble­ma­tisch, aber das ist ein ande­res Thema.)

I dis­ap­pro­ve of what you say, but I will defend to the death your right to say it.

Eve­lyn Bea­tri­ce Hall (aus ihrer Bio­gra­fie über Vol­taire und daher fälsch­li­cher­wei­se oft Vol­taire direkt zugeschrieben) 

Natür­lich ist Mei­nungs­frei­heit läs­tig. Natür­lich irri­tie­ren Orga­ni­sa­ti­ons­re­bel­len und Hof­nar­ren. Genau das ist ihr Job. Und natür­lich stört das die Geschlos­sen­heit. Und das ist gut so. Im Staat genau­so wie im Kon­zern. Die geis­ti­ge Mono­kul­tur aus Kon­for­mi­tät und Kon­sens ist zwar kurz­fris­tig ange­nehm für den Kapi­tän auf der Brü­cke aber lang­fris­tig eher Teil des Pro­blems als Teil der Lösung. Gera­de jetzt braucht es drin­gen­der denn je Diver­si­tät und Dis­sens, um nicht nur die Kri­se zu über­le­ben, son­dern auch das Über­mor­gen der Orga­ni­sa­ti­on noch zu erleben.

Erst wenn der letz­te Hof­narr ent­las­sen, die letz­te Gras­wur­zel­be­we­gung auf­ge­löst, der letz­te Frei­raum eli­mi­niert ist, wer­det ihr mer­ken, dass man mit Gehor­sam das Über­mor­gen nicht gestal­ten kann.



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Von Marcus Raitner

Hi, ich bin Marcus. Ich bin der festen Überzeugung, dass Elefanten tanzen können. Daher begleite ich Organisationen auf ihrem Weg zu mehr Agilität. Über die Themen Führung, Digitalisierung, Neue Arbeit, Agilität und vieles mehr schreibe ich seit 2010 in diesem Blog. Mehr über mich.

6 Kommentare

Hof­narr ist kei­ne orga­ni­sa­tio­na­le Kate­go­rie. Wah­re Hofnarren*närrinnen sind nicht Mit­glie­der von Orga­ni­sa­tio­nen, weil in Orga­ni­sa­tio­nen pri­mär Arbeits­leis­tung ver­langt wird. Betrieb­li­che Ver­bes­se­rungs­vor­schlä­ge sind Bei­werk, für das man einen „war­men Hän­de­druck“ erhält. Die wah­ren und ein­zi­gen Hofnarren*närrinnen haben sich in der bun­ten­Zunft der Orga­ni­sa­ti­ons­be­ra­ter und Pro­pa­gan­dis­ten für das bes­se­re, glück­li­che­re, fried­vol­le und erfolg­rei­che Leben zusam­men­ge­fun­den. Sie allein besit­zen die Frei­heit, glaub­wür­dig zu gel­ten und Erfolg zuha­ben, zu leben ‑oder zu schei­tern. Nur sie dür­fen ‚Uner­hör­tes‘ sagen und dabei nicht die Orga­ni­sa­ti­on infra­ge stellen.
Sie­he: Fuchs, Peter (2005): Hof­nar­ren und Orga­ni­sa­ti­ons­be­ra­ter – Zur Funk­ti­on der Nar­re­tei, des Hof­nar­ren­tums und der Orga­ni­sa­ti­ons­be­ra­tung. [b]. In: Peter Fuchs: Kon­tu­ren der Moder­ni­tät. Sys­tem­theo­re­ti­sche Essays II. hrsg. von Marie-Chris­tin Fuchs. Bie­le­feld: tran­script Ver­lag, S. 17 – 36

Vie­len Dank für die­ses Zitat, lie­ber Frank. Ja, viel­leicht ist es wirk­lich so und ich mühe mich am fal­schen Ort ganz umsonst ab …

Ich wür­de da stark wider sprechen…
Ich glau­be sogar, dass sol­che Rol­len nur von einem fest Mit­glied einer Orga­ni­sa­ti­on aus­ge­füllt wer­den können.
Zu oft habe ich erlebt, dass exter­ne Bera­ter (mögen sie noch so gut gewe­sen sein) eben doch nur einen kurz­fris­ti­gen Impuls geben konnten.
Eine Rol­le wie die ange­spro­che­nen Hofnarren*närrinnen soll­ten so etwas aber dau­er­haft machen und nicht einmalig…

Gruß

In mei­nem Bei­trag “Insti­tu­tio­na­li­sier­tes Feed­back: Von Skla­ven, Hof­nar­ren & ande­ren CEO-Flüs­te­rern” habe ich mich damit aus­ein­an­der­ge­setzt. Was unter­schei­det Cae­sar, Augus­tus und Kon­stan­tin von einem heu­ti­gen Top-Mana­ger? Nun, deren Bröt­chen­ge­ber, die römi­sche res publi­ca, hat­te dafür Sor­ge getra­gen, dass ihnen im Moment größ­ten Tri­um­phes eine Art Coach zur Sei­te stand: Unmit­tel­bar hin­ter dem Tri­um­pha­tor stand ein Skla­ve auf dem Tri­um­ph­wa­gen, der sei­nem Herrn nicht nur die Kro­ne übers Haupt hielt, son­dern ihm, sei­nem Coa­chee, auch etwas flüs­ter­te: Respi­ce post te, homi­nem te esse memen­to. Zu Deutsch: „Sieh dich um, den­ke dar­an, dass auch du nur ein Mensch bist“. Die Auf­ga­be die­ses Mah­ners war es also zu ver­hin­dern, dass der Tri­um­pha­tor über­schnapp­te, und die­ser muss­te im Gegen­zug so stark sein, die Ermah­nung aus­zu­hal­ten. Wer aber beschützt die CEOs von heute?

Die (evtl. vor­han­de­nen eige­nen) Kids die frei­tags demons­trie­ren gehen. Wobei das auch nicht immer hilft. AKK hat in einem Inter­view nach dem Rezo-Deba­kel ange­kün­digt dass sie künf­tig ihren 21-jäghri­gen Sohn zu Inter­netth­men kon­sul­tie­ren wird.

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