Erkenne dich selbst. So lautet die erste Maxime am Eingang des Appolontempels von Delphi. Das ist auch die erste Maxime in Bezug auf Führung, denn nur wer sich selbst führen kann, kann andere führen. Führung beginnt immer mit Selbstführung.
All that we are is the result of what we have thought. The mind is everything. What we think we become.
Buddha
Führung ist eine Frage der inneren Haltung. Doch welche Haltung ist das und was bedeutet es, sich selbst gut zu führen? Ein guter, aber im Westen leider weniger bekannter, Wertekanon findet sich im Buddhismus im sogenannten Dasavidha-rājadhamma, den zehn Tugenden eines Herrschers:
- Wohltätigkeit (Dāna). Führung endet nicht an den Mauern der Organisation, sondern übernimmt vielmehr Verantwortung darüberhinaus für die Gesellschaft.
- Sittlichkeit (Sīla). Echte Autorität ist keine Frage der Position, sondern des vorbildlichen moralischen Verhaltens, denn Führung beruht mehr auf Nachahmung als auf Unterordnung.
- Uneigennützigkeit (Pariccāga). Führung heißt, andere erfolgreich zu machen. Während unser Handeln heute oft von der auf das Ego zentrierten Frage „Was habe ich davon, dass es die anderen und die Gemeinschaft gibt?“ geleitet wird, geht es vielmehr um die entgegengesetzte Fragestellung: „Was hat die Gemeinschaft davon, dass es mich gibt?“
- Aufrichtigkeit (Ājjava). Vertrauen ist das Fundament moderner Führung. Freiwillig und mit ganzem Herzen folgen wir nur, wem wir vertrauen. Und Vertrauen basiert neben Empathie und Logik ganz wesentlich auf Authentizität.
- Sanftmütigkeit (Maddava). Gute Führung bedeutet, hoffnungsvoll an seine Arbeit zu gehen und Hoffnung bei den Mitarbeitern zu wecken.
- Selbstbeherrschung (Tapa). Egomanen an der Spitze sind Gift für das Miteinander. Eine Angstkultur führt zwar zu Gehorsam, untergräbt aber langfristig Selbstdisziplin und Kreativität.
- Nicht-Ärger (Akkodha). Führung schafft Sicherheit. Vertrauen und Kooperation gedeihen am besten in einem Klima der psychologischen Sicherheit.
- Gewaltlosigkeit (Avihimsa). Führen heißt weniger denn je anleiten und kontrollieren, sondern „dem Leben dienen, Leben hervorlocken in den Menschen, Leben wecken in den Mitarbeitern.“ (Anselm Grün)
- Nachsichtigkeit (Khanti). Wie ein guter Gärtner gestaltet Führung geduldig einen Rahmen, in dem das Leben sich entfalten kann. „Beharrlich im Bemühen, bescheiden in der Erfolgserwartung“ (Götz W. Werner)
- Verträglichkeit (Avirodhana). Führung schätzt die Vielfalt und fördert die Selbstorganisation und Emergenz. Sie behindert nicht den dadurch entstehenden Fortschritt.
Auch nach über 2.000 Jahren eignen sich diese zehn Tugenden bestens als moralisches Fundament für menschliche Führung.
Führung ist Dienstleistung – und kein Privileg. Die Dienstleistung für den Mitarbeiter besteht darin, ihm die Möglichkeiten zu bieten, sich selbst zu entwickeln.
Bodo Janssen in Impulse 7. Oktober 2016