Kurzfristig hat die Corona-Pandemie die Arbeitswelt kräftig aufgerüttelt. Die spannende Frage ist jetzt in dieser Endphase der Pandemie, ob der Impuls ausreichend war, um langfristig die Arbeitswelt zu revolutionieren oder wenigstens zu renovieren. Was wird bleiben von Remote Work und Homeoffice, wenn wir gelernt haben mit diesem Virus zu leben wie mit anderen auch? Werden wir dann einfach wieder zum Status quo und in unsere präpandemischen Großraumbüros zurückkehren? Und warum sollten wir das eigentlich tun?
Viele Wissensarbeiter kennen nun beide Extreme einer Skala, auf der wir nun nach Lösungen suchen müssen. Vor Corona fand „echte“ Arbeit nur im Büro statt, während Homeoffice die tolerierte Ausnahme für Mitarbeiter ohne Karriereambitionen war. Zu Hause zu arbeiten war damals immer ein wenig anrüchig und verdächtig. Seit eineinhalb Jahren arbeiten nun die meisten Wissensarbeiter vornehmlich im Homeoffice oder gleich ganz woanders. Es funktioniert für viele je nach Lebensphase und Wohnsituation erstaunlich gut. Remote works hieß deshalb schon letztes Jahr die Blogparade hier.
Unterscheide ohne zu trennen – verbinde ohne zu egalisieren
Herbert Pietschmann
Nicht von der Hand zu weisen und mittlerweile lieb gewonnen sind zudem die Vorteile einer vorrangig verteilten Arbeitsgestaltung. Wer weniger Zeit auf dem Weg zwischen Home und Office verbringt, hat mehr Zeit für Work und Life. Und wenn Home gleich Office, ist Work gleich Life. Aus Work-Life-Balance wird Work-Life-Integration. Und das ist gut so, denn das Familienleben findet eben nicht nur vor 7:30 Uhr und nach 18:30 Uhr statt. Keine wirklich bahnbrechende Erkenntnis, aber gerade für viele Männer doch eine ganz neue Erfahrung.
Das Büro als der Ort, wo die Akten lagern und daher dort die Arbeit stattfinden muss, gibt es so schon lange nicht mehr. Über die letzten Jahrzehnte wurde die Arbeit immer digitaler. Trotzdem war der Zugriff auf diese digitalisierte Arbeit anfangs nur im Büro möglich, weil nur dort die Infrastruktur, der PC, das Netzwerk, der Zugang zum Mainframe, etc. war. All das ist mit flächendeckend schnellem Internet (in D vielleicht noch nicht ganz so schnell und nicht ganz so flächendeckend, aber das ist eine andere eher traurige Geschichte) nun seit 10 bis 15 Jahren auch passé. Es gibt also rein technisch in vielen Fällen gar keinen Grund mehr das Büro aufzusuchen. Die Arbeit an sich kann fast an jedem beliebigen Ort mit Internet erledigt werden.
Also tritt nun eine andere Funktion des Büros in den Vordergrund. Wir Menschen sind nicht nur Maschinen für Wissensarbeit, sondern soziale Wesen. Wir unternehmen gerne etwas gemeinsam und wir inspirieren uns gegenseitig. Der wichtigste Ort im Büro war deshalb vielleicht immer schon die Cafeteria. Die dort stattfindenden zufälligen Begegnungen und das mal kurze und mal längere Gespräch ist oft der entscheidende Zündfunke für eine neue Idee oder wenigstens das Schmiermittel für einen reibungsfreien Ablauf der Arbeit.
Alles wirkliche Leben ist Begegnung.
Martin Buber
Vor Corona war diese soziale Komponente des Büros als Ort der kreativen menschlichen Begegnung zwar geschätzt und angenehm, aber eher als schmückendes Beiwerk gesehen. Jetzt, wo wir alles digitalisiert haben und an jedem Ort mit Internetanschluss arbeiten können, stellen wir fest, dass uns genau diese soziale Komponente fehlt oder wenigstens leidet. Menschliche Begegnungen lassen sich nur schwer digitalisieren.
Das postpandemische Büro wird also viel mehr als früher zum Ort der inspirierenden menschlichen Begegnungen. Weniger Menschen als früher werden das Büro rein zum Arbeiten aufsuchen und auch nicht, um die Arbeit zu koordinieren. All das lässt sich virtuell viel einfacher und angenehmer bewerkstelligen. Der wichtigste Grund für einen Besuch im Büro wird gerade nach dieser Zeit der sozialen Distanz die Begegnung und der Austausch mit Kollegen sein. So wie früher am Ende eines Bürotags die Erschöpfung dominierte, sollte es künftig die Inspiration sein. Das Büro hat als reine Legebatterie für Wissensarbeiter jedenfalls ausgedient.
Gefragt sind jetzt Gestaltungskonzepte, die Lust auf Begegnungen machen und gemeinsame Kreativität fördern. Ein guter Anfang wäre vielleicht eine zentrale Cafeteria für lose Gespräche mit Ecken oder Räumen mit Whiteboards und Flipcharts in unmittelbarer Nähe für die spontane Vertiefung von Gesprächen. Vielleicht gibt es dann in der Nähe dieser modernen Agora auch größere Räume, wo an bestimmten Tagen Trainings, Vorträge oder ähnliches geboten ist. Ein attraktives Konzept, so dass sich der Weg ins Büro lohnt, weil für inspirierende Begegnungen gesorgt ist, könnte jedenfalls auch so manche sich anbahnende Vorschrift zu zeitweisen Anwesenheit im Büro ersetzen.
Titelbild von Kaleidico bei Unsplash.
Ein Kommentar
Hier in der Region Braunschweig ist SIEMENS ein Vorreiter. Neben VW und vor allem VW Financial.
Schon vor der Pandemie wurde viel (teure) Bürofläche von SIEMENS abgemietet und umgestellt auf nur noch ein Zentrum.
In der Pandemie nun wird der ganze Konzern umgestülpt und das verstetigen. Aus der Braunschweiger Zeitung:
„Wir haben gesehen, wie produktiv und effektiv das mobile Arbeiten sein kann. Da haben sich einige Vorurteile in Luft aufgelöst“, sagt Jochen Wallisch, ein führender Manager im globalen Personalbereich von Siemens.
Einen harten Anspruch auf das Homeoffice gibt es allerdings nicht. Sowohl der Mitarbeiter als auch sein Vorgesetzter müssen zustimmen. Das Management will den Kulturwandel aber unterstützen. So betont der designierte Siemens-Chef Roland Busch, die Basis des Modells sei „eine Weiterentwicklung unserer Unternehmenskultur. Damit verbunden ist auch ein anderer Führungsstil, der sich an Ergebnissen orientiert, nicht an der Präsenz im Büro.“
Wallisch erwartet reges Interesse: „Wir gehen davon aus, dass das Angebot auf breite Akzeptanz und Nutzung treffen wird“, sagt er. „Ein Großteil der Beschäftigten begrüßt grundsätzlich zwei bis drei Tage mobiles Arbeiten pro Woche – und zwar über alle Länder hinweg.“ Weltweit sollen 140.000 Mitarbeiter von dem Beschluss profitieren, davon rund 45.000 in Deutschland. Insgesamt hat der neue Siemens Konzern – ohne das abgespaltene Siemens Energy gerechnet – rund 240.000 Mitarbeiter. https://www.braunschweiger-zeitung.de/wirtschaft/article229527050/Siemens-macht-Homeoffice-fuer-140 – 000-Mitarbeiter-moeglich.html
Letztlich werde die Einsparungen durch Abmieten, Verkauf und Unterhalt eigener Gebäude etc. ganz harte €-Faktoren schaffen und für die Vorreiter damit auch einen Kostenvorsprung. Das Controlling wird zum Treiber werden, aber natürlich eher nicht zum Gestalter der neuen Arbeitswelt. Das muss (wie so oft), gegen das Controlling erstritten werden.
Dazu ist der der Artickel ein guter Kick-off.