Früher oder später kommt jeder Projektleiter in die Situation, ein Projekt in einer Krise zu übernehmen. Man wird als Retter in der Not gerufen, mit Vorschusslorbeeren versehen, als Wunderwaffe sogleich ins Projektgeschehen geworfen – und dort verbrannt. Über den Unterschied zwischen Kanonenfutter und Krisenmanager oder warum man nicht auf schnell fahrende Züge aufspringen sollte.
Ein laufendes Projekt zu übernehmen ist immer eine Herausforderung. Umso mehr, wenn nicht alles optimal läuft oder wenn gar nichts mehr läuft und das Projekt in einer echten Krise steckt. Wer sich nun, geschmeichelt von der Ehre als Retter auserkoren worden zu sein und getrieben von Erfolgsdruck, kopfüber in die operative Hektik stürzt, begeht einen folgenschweren Fehler.
Ohne Frage fühlt es sich gut an, zur Hilfe gerufen zu werden. Und natürlich hilft man gerne. Dann aber bitte richtig und nachhaltig! In vielen Fällen hat der Hilfesuchende aber leider eine klare Vorstellung, wie er sich helfen lassen möchte und insbesondere wie er sich nicht helfen lassen möchte. Meist fällt diese Vorstellung dann in die Kategorie „Same, same, but different!“ Es soll sich also so wenig wie möglich ändern, aber doch alles anders und besser werden. Willkommen in der Welt der Actionhelden und Adrenalin-Junkies: Projektmanagement Bruce Willis Style.
Die reinste Form des Wahnsinns ist es, alles beim Alten zu lassen und gleichzeitig zu hoffen, dass sich etwas ändert.
Albert Einstein
Es gibt Gründe, warum ein Projekt in die Krise gerutscht ist. Und diese Gründe sind vielfältig und vielschichtig. Darum steht zu Beginn jedes Engagements in einem Krisenprojekt eine Analysephase, um zum Kern der Probleme vorzudringen.
In der Analysephase herrscht tendenziell eher Unruhe, Ungeduld, Druck, möglicherweise Angst. Dies sind destruktive Bewusstseinszustände, die einerseits erhöhte Ineffizienz zur Folge haben und andererseits die Gefahr mit sich bringen, dass Fehlentscheidungen getroffen werden. Und Fehlentscheidungen sind alle Entscheidungen, die den unangenehmen Zustand der Krise (…) schnell beenden sollen (…). Ziel dieser Fehlentscheidungen: so schnell wie möglich weitermachen wie bisher. Weil diese Entscheidungen aber nur die Symptome behandeln, verhindern sie, dass nachhaltige Lösungen an der Wurzel der Ursache entstehen.
TurnAround-PM
Auftraggeber, die glauben, dass diese Phase unnötig sei und man demnach sofort loslegen könne, um auf keinen Fall noch mehr Zeit zu verlieren, sind in der Regel selbst Teil des Problems. Gesucht ist dann meist keine echte Hilfe, sondern nur ein etwas kräftigerer Hamster um das Rad schneller zu drehen. Hier heißt es hart bleiben und seine Bedingungen für eine Übernahme des Projekts klar zu vertreten bis zur Ablehnung des Auftrags. Nicht verhandelbar an erster Stelle dieser Bedingungen steht eine individuell anzupassende Übergangs- und Analysephase.
Manchmal kann es ratsam sein, die Aktivitäten im Projekt in dieser Phase komplett zu stoppen oder auf ein Minimum zu reduzieren. Manchmal können die Aktivitäten wie geplant und unter alter Führung noch eine Weile bis zur Übergabe fortgeführt werden. Ziel ist jedenfalls ein möglichst großer Spielraum, um zum Kern der Probleme vorzudringen und wirkungsvolle Lösungen zu finden. Wer diese Chance zur Besinnung und Analyse an dieser Stelle verpasst, wird sie im Projektverlauf nie wieder bekommen.
Eine Krise ist ein produktiver Zustand. Man muss ihr nur den Beigeschmack der Katastrophe nehmen.
Max Frisch
Artikelbild: starmanseries bei flickr.com (CC BY 2.0)
6 Kommentare
Ja, das mit der Analysephase ist so eine Sache.
Egal, wie hoch die Flammen schlagen, und wie sehr die Stakeholder nach der Feuerwehr rufen – erstmal gilt: Bestandsaufnahme, Maßnahmeplanung, Buy-In der Entscheider.
Und zwar in der Reihenfolge.
Wie Du schreibst, ist eine Projektunterbrechung zur Neuformierung eigentlich das Beste.
Aber manchen Auftraggebern verlassen schon bei diesem Vorschlag der Mut und die Geduld.
Das haben wir alle schon erlebt.
Insofern ist das Management in Krisenprojekten ein extrem undankbarer Job, der wirklich Hartnäckigkeit und Geduld bis zum Masochismus erfordert.
Prominentestes Beispiel:
Projekt BER;
Krisenmanager: Horst Amann;
Geduldsfaden gerissen bei: Hartmut Mehdorn.
Abbruch in der Bestandsaufnahme, während der Maßnahmenplanung zur Rettung des Projektes.
Danke für Deinen Kommentar, Thilo! Eigentlich wüssten wir alle, was richtig wäre. Aber in der Praxis haben dann nur wenige die nötige Hartnäckigkeit und Überzeugungskraft.
Moin,
ich habe die letzten 14 Jahre oft rote Projekte übernommen. Meist ist es nötig nicht nur die verursachenden Fehler zu finden (und auszumerzen) sonder auch, viel schlimmer für den Kunden das Projekt neu zu planen und ggf. auch neu aufzusetzen.
In der Analyse- und Re-Planingsphase kommt man meist – es sei denn man will weiter Geld verbrennen – um eine Unterbrechung nicht herum.
Nur in einem Fall in meinem Leben war dies nicht nötig, weil man durch den Beginn einer neues Phase das Projekt in der eingeplanten Zeit zwischen den Releasen neu strukturieren konnte. Was aber praktisch das gleiche war.
Sponsoren/Auftraggeber, die diese Wahrheit nicht anerkennen können, fahren ihr Projekt dann wissentlich an die Wand!
Ein weiterer Vorteil der Projektunterbrechung ist die Möglichkeit nach der Analyse und des Re-Plannings ehrlich entscheiden zu können, ob das Projekt noch fortgeführt wird oder ob die Sunk costs nicht die kaufmännisch bessere Option sind.
Was falsch lief kann man nicht verbessern, wenn man ein „Weiter so!“ lebt.
Jens
Moin, Jens! Vielen Dank für Deinen Kommentar. Genau so verhält es sich meiner Erfahrung nach. Und dennoch wird in der Praxis von verschiedenen mehr oder weniger mächtigen Stakeholdern oft massiver Druck aufgebaut gegen eine Projektunterbrechung und saubere Analyse mit anschließender Neuorganisation. Da gilt leider einmal mehr der Spruch: „Haben keine Zeit die Säge zu schärfen, müssen sägen.“ Ich bevorzuge da meist das weise „Wenn Du es eilig hast, gehe langsam.“
Wieder ein klasse Beitrag von Dir, Marcus.
Ich habe auch ein Projekt eines Neukunden aus einer mehr oder weniger größeren Krise übernommen. Bevor überhaupt nachhaltiger Erfolg sichtbar war, vergingen Monate. Zeit, in der ich den Auftraggeber immer wieder Mut zusprechen und absolutes Vertrauen aufbauen musste. Eine ungewisse Investition für den Kunden, bei der ich mich immer wieder verteidigen musste. Genau wie Thilo es auch schreibt, braucht es Mut und Geduld. Ohne dabei die eigene Kompetenz in Frage stellen zu lassen.
Es ist sicher auch nicht einfach, Aufgaben zu übertragen, wenn das Baby bereits in den Brunnen gefallen ist. Aus Sicht eines Auftraggebers kostet es wohl noch etwas mehr Nerven, wenn der Erfolg auf sich warten lässt.
Wir wissen ja, dass es richtig ist, was wir tun. In diesem Falle ist die eigentlich Arbeit eher Routine für uns. Überzeugungsarbeit und Vertrauensaufbau ist meiner Meinung nach die größte Herausforderungen bei Krisenprojekten.
So mühsam solche Übernahmen mit Altlasten auch sind, es ist doch ein unbeschreibliches Gefühl, wenn dann die eigenen Aufgaben Früchte tragen, oder?
Beste Grüße
Steve
Danke für Deinen Kommentar und Dein Lob, Steve! Es ist oft ein Problem der falschen Erwartungshaltung. Der Auftraggeber wähnt sich bei Übergabe in der Krise an einen neuen Projektleiter bereits am Tiefpunkt und erwartet daher, dass es sofort besser wird. In der Praxis muss man es aber tatsächlich für den Auftraggeber gefühlt erst Mal noch schlimmer machen indem man eben nicht sofort aufspringt sondern vieles stoppt und in Ruhe analysiert und geordnet neu startet. Das erfordert auch und in erster Linie ein konsequentes Erwartungsmanagement und viel Geduld. Wenn dann die Maßnahmen Früchte tragen, ist die Freude tatsächlich groß. Oder mit den Worten von Hannibal aus der Serie A‑Team: „Ich liebe es, wenn ein Plan funktioniert!“