Hört auf, Mitarbeiter wie Kinder zu behandeln!“

Vieles wur­de schon geschrie­ben und gesagt über die „art­ge­rech­te Hal­tung“ von Wis­sens­ar­bei­tern im post-indus­tri­el­len Zeit­al­ter (nicht zuletzt auch hier). Rein­hard K. Spren­ger bringt es in sei­nem neu­en Buch „Das anstän­di­ge Unter­neh­men“ (Ama­zon Affi­lia­te-Link) auf die grif­fi­ge For­mel: „Hört auf, Mit­ar­bei­ter wie Kin­der zu behan­deln!“ So banal und selbst­ver­ständ­lich die­se For­de­rung klingt, so trau­rig und ent­mün­di­gend ist die Rea­li­tät in unse­ren Unter­neh­men lei­der immer noch.

Erwach­se­ne Leu­te orga­ni­sie­ren Fami­li­en, sie bau­en Häu­ser, sie über­neh­men Ver­ant­wor­tung in Ver­ei­nen, fäl­len ver­nünf­ti­ge und zukunfts­ori­en­tier­te Ent­schei­dun­gen. Doch in dem Augen­blick, in dem sie durch die Pfor­te des Unter­neh­mens tre­ten, wer­den sie infan­ti­li­siert und ent­mün­digt, dass ich manch­mal fas­sungs­los bin. Man ver­sucht sie zu erzie­hen, etwa durch über­grif­fi­ge Maß­nah­men zur Gesund­heits­för­de­rung, durch Sinn­stif­tung, durch Iden­ti­fi­ka­ti­ons-Gerau­ne, Wohl­fühl-Klim­bim und Füh­rungs­stil-Päd­ago­gik. Und dann wird die­se Ent­mün­di­gung als Für­sor­ge etikettiert.
Rein­hard K. Spren­ger im Inter­view bei Impulse

Über ein hal­bes Jahr­hun­dert sind ver­gan­gen seit Peter F. Dru­cker den Begriff der Wis­sens­ar­beit präg­te und die grund­le­gen­den Unter­schie­de zur vor­herr­schen­den Indus­trie­ar­beit beschrieb. Dru­cker erkann­te sehr früh den grund­le­gen­den Wan­del hin zur Wis­sens­ar­beit und die damit ein­her­ge­hen­den Her­aus­for­de­run­gen für die Unter­neh­men und das Manage­ment als Funk­ti­on und als Disziplin:

The most important, and inde­ed the tru­ly uni­que, con­tri­bu­ti­on of manage­ment in the 20th cen­tu­ry was the fif­ty-fold increase in the pro­duc­ti­vi­ty of the manu­al worker in manu­fac­tu­ring. The most important con­tri­bu­ti­on manage­ment needs to make in the 21st cen­tu­ry is simi­lar­ly to increase the pro­duc­ti­vi­ty of know­ledge work and the know­ledge worker.
Peter F. Drucker

Von die­ser gefor­der­ten Stei­ge­rung der Pro­duk­ti­vi­tät der Wis­sens­ar­bei­ter sind wir im nicht mehr ganz tau­fri­schen 21. Jahr­hun­dert lei­der immer noch weit ent­fernt. Zwar gibt es vie­le Anstren­gun­gen in den Unter­neh­men, die­sen Wan­del inner­halb ihrer bewähr­ten Orga­ni­sa­ti­ons­mus­ter zu voll­zie­hen. Bücher wie das ein­gangs erwähn­te von Rein­hard K. Spren­ger zei­gen aber sehr deut­lich auf, dass Theo­dor Ador­no recht hat­te und es kein rich­ti­ges Leben im fal­schen gibt. Die Unter­neh­men müs­sen einen Para­dig­men­wech­sel wagen, um lang­fris­tig kon­kur­renz­fä­hig im Zeit­al­ter der Wis­sens­ar­beit zu blei­ben. Oder mit den Wor­ten von Albert Ein­stein: „Pro­ble­me kann man nie­mals auf der­sel­ben Ebe­ne lösen, auf der sie ent­stan­den sind.“ Auch die Stei­ge­rung der Pro­duk­ti­vi­tät der Arbei­ter im letz­ten Jahr­hun­dert war nur mög­lich durch den Para­dig­men­wech­sel von der Manu­fak­tur hin zum Tay­lo­ris­mus mit sei­nem hohen Grad an Arbeits­tei­lig­keit und Spezialisierung.

Genau­so wie an der Schwel­le zur Indus­tria­li­sie­rung wird es auch heu­te wie­der not­wen­dig sein, die Zusam­men­ar­beit von Men­schen inner­halb von Orga­ni­sa­tio­nen neu zu erfin­den. In sei­nem groß­ar­ti­gen Buch „Reinven­ting Orga­niza­ti­ons“ (Ama­zon Affi­lia­te-Link) weist uns Fre­de­ric Laloux bereits den Weg. Das vor­herr­schen­de Para­dig­ma unse­rer Indus­trie­un­ter­neh­men beschreibt Laloux als das Maschi­nen­mo­dell: Unter­neh­men wer­den als Maschi­nen gese­hen, die kon­stru­iert, betrie­ben und gewar­tet wer­den müs­sen. In sol­chen Unter­neh­men erfüllt der Mensch die ihm zuge­dach­te Funk­ti­on im Pro­zess und zwar genau die­se Funk­ti­on. Ent­spre­chend wich­tig sind Pro­zes­se, Rol­len, Auf­ga­ben, Kom­pe­ten­zen und Ver­ant­wor­tung. Die Gestal­tung der Pro­zes­se und Rol­len ist, ganz tay­lo­ris­tisch, Auf­ga­be des Manage­ments, eben­so die akti­ve Defi­ni­ti­on des Zwecks und der Zie­le des Unternehmens.

It’s ridi­cu­lous to talk about free­dom in a socie­ty domi­na­ted by huge cor­po­ra­ti­ons. What kind of free­dom is the­re insi­de a cor­po­ra­ti­on? They’re tota­li­ta­ri­an insti­tu­ti­ons – you take orders from abo­ve and may­be give them to peo­p­le below you. There’s about as much free­dom as under Stalinism.
Noam Chom­sky

Dem gegen­über stellt Laloux das Modell des Unter­neh­mens als leben­den Orga­nis­mus. In einem sol­chen Unter­neh­men (und Laloux nennt vie­le sehr über­zeu­gen­de Bei­spie­le sol­cher Pio­nier­un­ter­neh­men) ent­wi­ckeln sich Zweck und die Zie­le emer­gent nicht zuletzt auch aus den Inter­es­sen und Lei­den­schaf­ten der Mit­ar­bei­ter, die selbst­or­ga­ni­siert und eigen­ver­ant­wort­lich Ent­schei­dun­gen tref­fen und so das Unter­neh­men füh­ren ganz ohne die klas­si­sche Hier­ar­chie. Ein Mit­ar­bei­ter wird in einem sol­chen Unter­neh­men nicht auf eine ihm zuge­dach­te Rol­le redu­ziert, viel­mehr geht es um die best­mög­li­che Aus­schöp­fung des voll­stän­di­gen Poten­ti­als eines Men­schen mit sei­nen Wer­ten, sei­nem Sinn­be­griff und sei­nen Fähig­kei­ten. Rol­len ent­ste­hen aus der Not­wen­dig­keit und Sinn­haf­tig­keit einer­seits und der Nei­gung und Fähig­keit der Mit­ar­bei­ter ande­rer­seits. Wäh­rend in Unter­neh­men des Maschi­nen­mo­dells der Mensch nur Mit­tel ist, rückt er in der nächs­ten Gene­ra­ti­on von Unter­neh­men in den Mit­tel­punkt und wird so end­lich zum Zweck des Wirtschaftens.

Ohne Men­schen kei­ne Wirt­schaft. Folg­lich ist der Mensch immer Zweck und die Wirt­schaft nur Mit­tel – und nicht umgekehrt.
Götz W. Werner



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2 Kommentare

Kai Müller 12. März 2016 Antworten

Lie­ber Marcus,
inhalt­lich bin ich in gro­ßen Tei­len bei dir. Mit der Über­schrift habe ich Probleme.
Ich habe zwei Kin­der (17 und 20 Jah­re). Bei der Erzie­hung war es mir wich­tig, den Kin­dern eine Rich­tung zu geben. Ich gucke wo ihre Inter­es­sen sind und wie ich die­se för­dern kann. Ich neh­me die Kin­der an die Hand, um ihnen etwas Neu­es zu zei­gen. Ich ach­te aber auch dar­auf, dass sie gemach­te Zusa­gen ein­hal­ten und so lan­ge üben, bis sie etwas Neu­es gelernt haben. Ich gebe ihnen die Ver­ant­wor­tung für Tätig­kei­ten, die sie können.

All dies ver­su­che ich auch bei mei­nen Mit­ar­bei­ter. Es gibt stän­dig Din­ge, die neu gelernt wer­den müs­sen. Nicht jeder Mit­ar­bei­ter möch­te sich ver­än­dern und benö­tigt Unter­stüt­zung und Übung.

Der Mensch muss immer Zweck der Wirt­schaft sein.
Im rea­len Leben ste­hen Wirt­schafts­un­ter­neh­men aber im Wett­be­werb um die Gunst der Kun­den. Lang­fris­tig wird das Unter­neh­men mit der bes­ten Mann­schaft gewin­nen. Ein Unter­neh­men hat für mich vie­le Par­al­le­len zu einem Sport­ver­ein. Jeder Mann­schaft­sport benö­tig einen Trai­ner, der die Spie­ler u.a. antreibt, um Neu­es zu ler­nen. Die Selbst­or­ga­ni­sa­ti­on des Teams reicht hier nicht aus. Im Tur­nier muss das Gelern­te dann aber durch ein selbst­or­ga­ni­sier­tes Team umge­setzt werden.

Füh­rung und Selbst­or­ga­ni­sa­ti­on gehö­ren für mich ganz eng zusam­men. Bei­des wird benö­tigt, wenn Spit­zen­leis­tung erbracht wer­den soll.

Mir wür­de die Über­schrift „Behand­le Mit­ar­bei­ter wie dei­ne Kin­der“ des­halb bes­ser gefallen.

Lie­ben Gruß

Kai

Marcus Raitner 12. März 2016 Antworten

Lie­ber Kai, vie­len Dank für Dei­nen ganz wich­ti­gen Kom­men­tar! Ich gebe Dir recht, inso­fern die bemän­gel­te Bevor­mun­dung und Über­be­hü­tung auch in der Kin­der­er­zie­hung ein (lei­der weit ver­brei­te­tes) Unding ist. Trotz­dem möch­te ich Mit­ar­bei­ter nicht wie mei­ne Kin­der behan­deln, weil damit mei­ner Mei­nung nach auto­ma­tisch ein Eltern-Kind-Ver­hält­nis ange­nom­men wird. Ich möch­te aber Zusam­men­ar­beit auf Augen­hö­he gestal­ten. Der Ver­gleich mit dem Mann­schafts­sport und dem Trai­ner gefällt mir da schon besser.

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