Als Projektleiter wird man immer wieder in Versuchung geführt. Indem man beispielsweise die Ärmel hochkrempelt und sich in die operative Hektik der Arbeitsebene stürzt: es gibt ja immer mehr als genug zu tun. Oder indem man wenigstens alles auf Arbeitsebene kontrolliert und überwacht: man kann sich ja auf niemand verlassen. Auch seitens des Auftraggebers droht eine vielfach unterschätzte Gefahr, nämlich das bereitwillige Ausfüllen nicht ausreichend besetzter Rollen des Auftraggebers durch den Projektleiter.
Ein Teil der Klagen hinsichtlich der Überlastung von Projektleitern sind darauf zurückzuführen, dass die falschen Aufgaben übernommen werden. Wer als Projektleiter gleichzeitig sein bester Mitarbeiter ist oder wer mittels Micromanagement jeglichen Willen zur Selbstorganisation im Keim erstickt, wird zu Recht mit Überstunden bestraft. Schmerzhaft, aber lehrreich. Das Ziel muss es sein, sich als Projektleiter entbehrlich zu machen basierend auf einem gewissen Grundvertrauen in die Mitarbeiter und auf einer guten Fehlerkultur im Projekt.
Viele der genannten Probleme haben ihren Ursprung in einer falsch verstandenen Fürsorglichkeit und Hilfsbereitschaft. In Richtung des Auftraggebers äußert sich dieser Effekt meist darin, dass der Projektleiter eine oder mehrere Rollen des Auftraggebers einfach übernimmt: einer muss es ja machen.
Nehmen wir ein klassisches IT-Vorhaben indem es darum geht zwei Systeme mittels einer Schnittstelle zu verbinden. Typischerweise muss dazu nicht nur die Schnittstelle konzipiert und umgesetzt werden, sondern auch in den beiden zu verbindenden Systemen etwas angepasst werden. Normalerweise endet das aufgrund laufender Wartungsverträge für diese Systeme in der Konstellation, dass der Auftraggeber dieses Vorhaben in drei Gewerke teilen muss. Damit hat der Auftraggeber die Aufgabe die Arbeiten zwischen diesen Gewerken zu koordinieren. Oft bleibt diese Aufgabe aber beim Projektleiter für den Schnittstellenteil hängen, weil er nur dann erfolgreich arbeiten kann, wenn die beiden Enden der Schnittstelle funktionieren. Also lehnt sich der Auftraggeber zurück und lässt den Projektleiter die Koordination übernehmen; zumeist ohne Auftrag und Bezahlung.
Hilfsbereitschaft ist das eine und Eignung für die Aufgabe das andere. Wenn alles funktioniert, ist der Projektleiter zwar ein wenig überarbeitet, der Auftraggeber aber zufrieden auch und gerade wegen des Rundum-Sorglos-Pakets. Aber was wenn es schief geht? Dann ist der Schuldige schnell gefunden: Der Projektleiter hat die Aufgabe übernommen und wird daher auch für das Ergebnis verantwortlich gemacht.
Das soll nun keinesfalls dazu führen, seinen Aufgabenbereich messerscharf abzugrenzen und dann nie mehr über den Tellerrand hinaus zu schauen. Es ist wichtig, dass der Projektleiter auch immer für den Auftraggeber mitdenkt im Sinne des Gesamtvorhabens. Mitdenken heißt aber nicht die Rolle des Auftraggebers gleich auszufüllen. Der kluge Projektleiter versteht es, den Auftraggeber zu führen indem er für diesen mitdenkt und Verbesserungsvorschläge macht, aber bei der Ausführung immer schön auf die Rollengrenzen achtet. Falsch verstandene Hilfs- und Opferbereitschaft rächt sich auch hier früher oder später.
Artikelbild: Expert Infantry bei flickr.com (CC BY 2.0)