Modernes Projektmanagement: Eine Frage des Vertrauens

Ver­trau­en bil­det den Kern moder­nen Pro­jekt­ma­nage­ments. Es durch­dringt alle ande­ren Aspek­te. Hal­tung und ein moder­nes Men­schen­bild – ohne Ver­trau­en ein lee­res Ver­spre­chen. Selbst­or­ga­ni­sa­ti­on und eigen­ver­ant­wort­li­ches Arbei­ten – Wunsch­träu­me ohne Ver­trau­en. Fle­xi­bi­li­tät und Nut­zen­ori­en­tie­rung – uner­reich­bar ohne Ver­trau­en in die Men­schen und das Vorgehen.

Ver­trau­en braucht es im moder­nen Pro­jekt­ma­nage­ment in drei Dimen­sio­nen: in die Mit­ar­bei­ter, in die Prin­zi­pi­en und das Vor­ge­hen und zwi­schen den Vertragspartnern.

Zuviel Ver­trau­en ist häu­fig eine Dumm­heit, zuviel Miss­trau­en ist immer ein Unglück.
Johann Nepo­muk Nestroy

Die bit­te­re Rea­li­tät in deut­schen Indus­trie­un­ter­neh­men ist heu­te mehr oder weni­ger (Projekt-)Management by Lenin: »Ver­trau­en ist gut, Kon­trol­le ist bes­ser!« Vom Pro­jekt­an­trag, über den Pro­jekt­auf­trag, einem detail­lier­ten Drei-Jah­res-Plan bis hin zu wöchent­li­chen stan­dar­di­sier­ten und doch inhalts­lee­ren Sta­tus­be­rich­ten – Absi­che­rung, Kon­trol­le und Miss­trau­en wohin das Auge reicht. In sol­chem Kli­ma eigen­ver­ant­wort­li­ches Han­deln und wun­der­sa­me Selbst­or­ga­ni­sa­ti­on von den Mit­ar­bei­tern zu erwar­ten ist uto­pisch. Die an sol­ches Kli­ma not­ge­drun­gen ange­pass­ten Mit­ar­bei­ter dann aber für die­se nicht erfüll­te Uto­pie ver­ant­wort­lich zu machen und sie als kon­troll­be­dürf­tig und des Ver­trau­ens unwür­dig hin­zu­stel­len, das ist gro­tesk und zynisch.

Es trennt sie nur ein leich­ter Zaun,
die bei­den Sorgenbrüder:
Zuwe­nig und zuviel Vertraun
sind Nachbarskinder.
Wil­helm Busch

Ohne ein gutes Maß an Grund­ver­trau­en in die Men­schen wird es nicht gehen im moder­nen Pro­jekt­ma­nage­ment. Wer Selbst­or­ga­ni­sa­ti­on, eigen­ver­ant­wort­li­ches Han­deln und folg­lich krea­ti­ve Lösun­gen von vie­len anstatt Krea­ti­vi­täts­apart­heid will, muss angst­freie Räu­me schaf­fen. Die Grö­ße die­ser Frei­räu­me und das rech­te Maß an Ver­trau­en hängt stark vom Kli­ma in der jewei­li­gen Orga­ni­sa­ti­on ab. Wer über Jah­re in dem star­ren Kor­sett von Miss­trau­en und Kon­trol­le gefan­gen war, wird heu­te nicht eben Mal schnell einen erwei­ter­ten Ver­trau­ens­spiel­raum nut­zen kön­nen. Das erfor­dert einen län­ge­ren und pro­fes­sio­nell beglei­te­ten Veränderungsprozess.

Ver­trau­en ist das Gefühl, einem Men­schen sogar dann glau­ben zu kön­nen, wenn man weiß, daß man an sei­ner Stel­le lügen würde.
Hen­ry Lou­is Mencken

Der­ar­ti­ge Expe­ri­men­te, und als sol­che emp­fin­den vie­le Unter­neh­men moder­nes Pro­jekt­ma­nage­ment oft, wer­den kri­tisch ver­folgt. Sei­tens des höhe­ren Manage­ments wünscht man sich natür­lich die ver­spro­che­nen ver­bes­ser­ten Ergeb­nis­se des neu­en Vor­ge­hen und ist zunächst skep­tisch und miss­trau­sich. All­zu oft wer­den Anfangs­schwie­rig­kei­ten als Miss­erfolg gedeu­tet und nicht als die not­wen­di­gen Hür­den, die man auf dem Weg zu einem selbst­or­ga­ni­sier­ten und eigen­ver­ant­wort­lich han­deln­den Pro­jekt­team not­wen­di­ger­wei­se neh­men muss. Aber ohne die­ses Ver­trau­en in die Vor­ge­hens­wei­se wird es nicht funk­tio­nie­ren, weil das Expe­ri­ment aus Angst viel zu früh abge­bro­chen wer­den wird.

Cus­to­mer col­la­bo­ra­ti­on over con­tract negotiation.
Mani­festo for Agi­le Soft­ware Development

Ins­be­son­de­re muss die­ses Ver­trau­en in die Vor­ge­hens­wei­se und die Men­schen sei­tens des Auf­trag­ge­bers vor­han­den sein. Wer es gewohnt ist prä­zi­se defi­nier­te Gewer­ke zum Fest­preis ein­zu­kau­fen, wird nicht ohne Wei­te­res eine agi­le­re Vor­ge­hens­wei­se gut fin­den, selbst wenn sie ein hohes Maß an Fle­xi­bi­li­tät und Nut­zen­ori­en­tie­rung bie­tet. Zu tief sitzt die Angst, für das geplan­te Bud­get am Ende nicht das gewünsch­te Ergeb­nis zu erhal­ten. Zu ger­ne wird aber über­se­hen, dass man auch mit fest defi­nier­ten Gewer­ken meist nicht das rich­ti­ge Ergeb­nis erhält, son­dern ein­fach nur das, was man vor eini­gen Jah­ren spe­zi­fi­ziert hat­te, aber lei­der nicht mehr so ganz zur heu­ti­gen Rea­li­tät passt. Anstatt also defi­nier­te Gewer­ke zum Fest­preis müh­sam zu ver­han­deln, muss der Auf­trag­ge­ber viel stär­ker Teil des Vor­ge­hens wer­den, muss mit­ar­bei­ten und mit­be­stim­men dür­fen, bei­spiels­wei­se als Pro­duct-Owner in Scrum. So ent­steht das Ver­trau­en in der Zusam­men­ar­beit und ersetzt (oder ergänzt) die ohne­hin zwei­fel­haf­te ver­trag­li­che Kontrolle.

Wenn man einem Men­schen trau­en kann, erüb­rigt sich ein Ver­trag. Wenn man ihm nicht trau­en kann, ist ein Ver­trag nutzlos.
Jean Paul Getty

Foto: Das Arti­kel­bild wur­de von Simon Brass unter dem Titel „Tall Pri­son Fec­ne“ auf Flickr unter einer Crea­ti­ve Com­mons CC BY 2.0 Lizenz veröffentlicht.



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9 Kommentare

Hans-Peter Korn 24. August 2013 Antworten

Dazu passt sehr gut das:
Ein wesent­li­ches Ele­ment der Kom­ple­xi­täts­re­duk­ti­on ist – gemäss Luh­mann – das Ver­trau­en: „Ver­trau­en ist stets in die Zukunft gerich­tet. … im Akt des Ver­trau­ens (wird) die Kom­ple­xi­tät der zukünf­ti­gen Welt redu­ziert… Ver­trau­en erschließt durch die Reduk­ti­on von Kom­ple­xi­tät Hand­lungs­mög­lich­kei­ten, die ohne Ver­trau­en – nach Luh­mann – unwahr­schein­lich und unat­trak­tiv geblie­ben und somit nicht zum Zuge gekom­men wären“ [1] [2]
Aus­ge­hend von Luh­mann geht es also nicht so sehr dar­um, „bes­ser“ mit die­ser sich durch den Ver­lust an Ver­trau­en ver­stärkt – oder gar als über­for­dernd – wahr­ge­nom-menen Kom­ple­xi­tät so umzu­ge­hen, dass wir jeder­zeit fle­xi­bel und mit kurz­fris­tig wech­seln­den Zie­len in unse­rer Welt leben kön­nen son­dern eher dar­um, wie wir wie-der mehr Ver­trau­en zu Per­so­nen, Rol­len­trä­gern, Teams, Nor­men, Orga­ni­sa­tio­nen, Struk­tu­ren und Pro­zes­sen erlan­gen. Und Ver­trau­en erlan­gen wir durch direk­te und per­sön­li­che Kom­mu­ni­ka­ti­on und Kooperation. 

[1] Tav­ra, Dija­na: Ver­trau­en als Mecha­nis­mus der Reduk­ti­on von Kom­ple­xi­tät; Uni­ver­si­tät Bern Sozi­al­an­thro­po­lo­gi­sches Insti­tut, http://tinyurl.com/a62hqaw
[2] Luh­mann, Niklas: Ver­trau­en: Ein Mecha­nis­mus der Reduk­ti­on sozia­ler Kom-ple­xi­tät. UTB, Stutt­gart, 2000

Marcus Raitner 24. August 2013 Antworten

Vie­len Dank für die Ergän­zung! Immer wenn ich hier oder an ande­rer Stel­le was von Luh­mann lese, wer­de ich neu­gie­rig. Ich wer­de mich wohl noch aus­führ­lich mit sei­nem Werk beschäf­ti­gen müs­sen. Irgend­wel­che Literatur-Tipps?

Hans-Peter Korn 24. August 2013 Antworten

Ja, die oben unter [1] und [2] genann­ten. [1] ist im Web und gratis …
Die Pri­mär­li­te­ra­tur von Luh­mann ist aller­dings kei­ne all­zu leich­te Kost .… mit goog­le fin­det man aber jede Men­ge ver­dau­li­che­re Sekundärliteratur.

Marcus Raitner 25. August 2013 Antworten

Dan­ke!

Wolfram Müller 26. August 2013 Antworten

Dan­ke Mar­cus und Hans-Peter …
… fin­de ich extrem Wich­tig, dass das The­ma Ver­trau­en adres­siert wird. Tom De Mar­co ist auch ein gro­ßer Ver­tre­ter der Idee, das Ver­trau­en der ein­zi­ge Schlüs­sel dazu ist die Kom­ple­xi­tät zu redu­zie­ren. Ich kann das nur bestätigen!

Ich hab mich vor ein paar Jah­ren mit dem The­ma inten­siv aus­ein­an­der­ge­setzt. Das war die Zeit (bei 1&1, GMX und web.de) in der mein Team (und ich) für ca. 500 Pro­jek­te in 5 Jah­ren ver­ant­wort­lich waren. In die­ser Zeit haben wir die Beob­ach­tung gemacht, dass die wirk­lich erfolg­rei­chen Projekt(-teams) genau durch einen hohen Ver­trau­ens­le­vel auf­fie­len. Der hohe Ver­trau­ens­le­vel ermög­lich­te es die Men­ge an Metho­dik und Kom­mu­ni­ka­ti­on (Cons­traint der 3. Ebe­ne) zu redu­zie­ren und gleich­zei­tig bes­ser Ergeb­nis­se zu lie­fern. Ich hab damals sogar eine Diplom­ar­beit machen las­sen, die dies bestä­tigt hat. Es war offen­sicht­lich „Ver­hal­ten schlägt Metho­de“ um längen.

Was wir dabei noch her­aus­ge­fun­den haben ist, dass es drei (+eines) ein­fa­che Ver­hal­tens­prin­zi­pi­en gibt, die sofort und schnell Ver­trau­en ent­ste­hen las­sen. Vie­le Pro­jekt­ma­na­ger aus der Zeit, sagen mir immer wie­der, dass die­se 3+1 Prin­zi­pi­en das ist, was ihnen am meis­ten im Pro­jekt­ma­nage­ment gehol­fen hat. Das Gan­ze hab ich dann auch High-Speed-Pyra­mi­de getauft.

Dazu sind Arti­kel im Pro­jekt­ma­ga­zin ent­stan­den s. https://www.projektmagazin.de/artikel/high-speed-projektmanagement-bei-1amp1-teil-1_7074 und https://www.projektmagazin.de/artikel/high-speed-projektmanagement-bei-1amp1-teil-2_7086 – über mich kann man sie auch „kos­ten­los“ bezie­hen – nur ins Netz darf ich sie ver­ständ­li­cher­wei­se nicht stellen.

Und bit­te wei­ter wei­ter und wei­ter auf Ver­trau­en rum­rei­ten – das ist IMHO der Schlüs­sel zu Pro­jek­ten die noch schnel­ler sind als Cri­ti­cal Chain und agil :-)

Cu Wolf­ram

Marcus Raitner 27. August 2013 Antworten

Dan­ke Wolf­ram für Dei­ne Bestä­ti­gung des uni­ver­sel­len Werts von Ver­trau­en ins­be­son­de­re im Rah­men von Pro­jekt­ar­beit. Könn­test Du noch ein wenig mehr über die 3+1 Prin­zi­pi­en schrei­ben? Muss ja nicht der gan­ze Arti­kel aus dem Pro­jekt­man­ga­zin sein, aber wenigs­tens die Stich­wor­te hät­ten mich jetzt interessiert.

Thomas Lattner 26. August 2013 Antworten

Fin­de den Arti­kel auch gut und anre­gend! Darf ich noch ergän­zen, dass Kom­ple­xi­tät im Gegen­satz zu Kom­pli­ziert­heit, dadurch defi­niert ist, dass die belieb­te Tei­le-und-Herr­sche-Stra­te­gie ver­sagt. Der Arti­kel wirbt um Ver­treu­en. Wem Ver­trau­en geschenkt wird, der imple­men­tiert als Zei­chen sei­ner pro­fes­sio­nel­len Absicht regel­mä­ßi­ge Regres­si­ons­test als Früh­warn­sys­tem, die dann das Ver­trau­en in das bereits erlang­te belast­bar bestä­ti­gen und Pro­gres­si­ons­test nach dem Test­first-Prin­zip um die Ziel­ori­en­tie­rung bei zu behal­ten. Die Tests sind kein Mis­trau­en son­dern pro­fes­sio­nel­le Anre­gung bei der Dis­kus­si­on um Prio­ri­tä­ten und Doku­men­ta­ti­on des Fort­schritts. Moder­nes Pro­jekt­ma­nage­ment muss Kom­pli­ziert­heit von Kom­ple­xi­tät unter­schei­den, sonst wer­den unnö­tig inten­si­ve Test im ers­ten Fall und unsin­ni­ge weil irre­füh­ren­de Auf­tei­lun­gen im zwei­ten Fall verhängt.

Marcus Raitner 27. August 2013 Antworten

Dan­ke für die Ergän­zung hin­sicht­lich der abso­lut not­wen­di­gen Unter­schei­dung in Kom­pli­ziert­heit und Kom­ple­xi­tät. Bei­des erfor­dert jeweils ein völ­lig ande­res Her­an­ge­hen, nicht nur was die Fra­ge des Ver­trau­ens und der Ver­trau­ens­bil­dung angeht. Ja: Moder­nes Pro­jekt­ma­nage­ment muss Kom­pli­ziert­heit von Kom­ple­xi­tät unterscheiden!

Hans-Peter Korn 27. August 2013 Antworten

Wich­tig dabei ist, dass „kom­plex“, „kom­pli­ziert“, „sim­pel“, „chao­tisch“, „geord­net“, „unge­ord­net“ kei­ne Sys­tem­ei­gen­schaf­ten sind und auch nicht objek­tiv ermit­tel­bar sind son­dern unse­re sub­jek­tiv – sozi­al – kon­stru­ier­ten Sicht­wei­sen (so wie es ja auch „Sys­te­me“ nicht „gibt“ son­dern unse­re Kon­struk­tio­nen sind). Des­halb nennt Dave Snow­den sein „Cyne­fin“ auch ein „sen­se­ma­king frame­work“ im Unter­schied zu einem „cate­go­ri­zing frame­work“. Essen­ti­ell bei sei­nem frame­work ist der kom­mu­ni­ka­ti­ve Pro­zess der „con­tex­tua­liza­ti­on“, mit dem die stake­hol­der einer zu hand­ha­ben­den Situa­ti­on ein shared under­stan­ding über den Cha­rak­ter der Situa­ti­on und daher über die ange­mes­se­ne Art des Umgangs mit ihr entwickeln.
Die oft feh­len­de con­te­xua­liza­ti­on führt IMHO auch dazu, dass bei einem Pro­jekt für die einen das inkre­men­tell-adap­ti­ve Vor­ge­hen und für die ande­ren ein plan­ba­sier­tes Vor­ge­hen mit einem BDUF ange­mes­se­ner ist und sich dar­aus dann „Glau­bens­krie­ge“ entwickeln.

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