Komplexität ist in aller Munde. Ein wissenschaftlicher Begriff, der letztlich nur beschreibt, dass wir eine Situation nur unzureichend verstehen. Mit unserer so sehr geliebten Rationalität kommen wir in einer komplexen Situation nicht weiter. Das darf aber nicht sein und darum muss man diese böse Komplexität bekämpfen, reduzieren oder wenigstens beherrschen. Wirklich? Ein Beitrag zur Blogparade anlässlich des diesjährigen PM Camps Berlin.
Es gibt verschiedene Definitionen von Komplexität. Manche behaupten sogar der Begriff Komplexität selbst wäre komplex. Meistens läuft es aber darauf hinaus, dass das Gesamtverhalten eines komplexen Systems auch dann nicht eindeutig beschreibbar ist, wenn man vollständige Informationen über seine Einzelkomponenten und ihre Wechselwirkung besitzt. Ein solches System lässt sich also prinzipiell nicht über die Analyse der Details verstehen.
Die Welt die uns umgibt ist in diesem Sinne komplex. Nicht nur die Natur, sondern auch die von uns geschaffenen Systeme wie beispielsweise die Finanzmärkte oder das Internet. Damit haben wir uns auch irgendwie arrangiert. In Unternehmen aber geht das gar nicht. Glauben wir jedenfalls. Die Abläufe müssen klar sein, die Ergebnisse vorhersagbar und die Kosten planbar. Im kleinen Rahmen stimmt das in der Regel ja auch. Wir verstehen die Einzelteile und lokal ihre Wechselwirkungen und trotzdem ist das System im Ganzen nicht mehr wirklich vorhersagbar. Ein kleiner Fehler an einer Stelle im Prozess kann mittlerweile in unseren hochvernetzten Unternehmen katastrophale Auswirkungen an anderer Stelle haben.
Probleme kann man niemals mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind.Albert Einstein
Wenn dann noch größere Veränderungen an Prozessen oder Umbauten an Systemen anstehen, steht sofort die Angst vor der unberechenbaren Komplexität im Raum. Darum gibt es dann Projekte, um diese böse Komplexität zu reduzieren oder beherrschbar zu machen. Es wird analysiert und geplant bis ins kleinste Detail und am Ende ist man dann meist noch viel ratloser als am Anfang, weil der Zugang zur Komplexität über die Analyse Details eben der falsche ist.
Es gibt ja auch Gründe, warum Unternehmen und ihre Abläufe mittlerweile sehr komplex sind. Die Mitarbeiter haben diese Komplexität ja nicht aus Jux und Tollerei aufgebaut oder zugelassen. Sie war schlicht notwendig um den Anforderungen der heutigen Märkte gerecht zu werden. Wer wie Henry Ford nur schwarze identische Autos baut, hat es natürlich in allen seinen Prozessen deutlich einfacher, wäre damit heute aber nicht konkurrenzfähig.
Aus der Informatik kennt man das gut. Da gibt es auch den Begriff der Komplexität vom Problemen. Wer beispielsweise eine Menge von Zahlen sortieren will, weiß dass dieses Problem die Komplexität O(n log(n)) hat, d.h. das Sortieren von n Zahlen in der Größenordnung von n log(n) liegen. Solange man mit dem Vergleichen zweier Zahlen als Basisoperation arbeitet, geht es mathematisch beweisbar auch nicht schneller. Wenn man von vornherein allerdings annimmt, dass die Eingaben immer innerhalb eines relativ kleinen Intervalls liegen, kann man die Komplexität reduzieren und n Zahlen dieser Teilmenge in linearer Zeit, also O(n), sortieren. Solange diese Grundannahme zutrifft, lässt sich also vereinfachen und beschleunigen, aber wehe wenn diese nicht zutrifft, dann degeneriert die Laufzeit dieser speziellen Algorithmen sehr schnell.
Mache die Dinge so einfach wie möglich – aber nicht einfacher.
Albert Einstein
Natürlich lässt sich immer einiges vereinfachen, gerade in gewachsenen System- und Prozesslandschaften. Nur sollte man es nicht übertreiben, weil die Anforderungen des Umfelds ein gewisses Mindestmaß an Komplexität im Unternehmen erfordern. Und dieses Mindestmaß liegt heute höher als früher.
2 Kommentare
Hallo Marcus,
die Erklärung, Komplexität nicht mit Analyse zu begegnen, finde ich super. Da hatte ich gleich ein Bild vor Augen.
Aber was schlägst du vor, wie man ihr stattdessen begegnen sollte, dass sie nicht ganz so böse wird?
Danke und viele Grüße
Barbara
Hallo Barbara, in komplexen Situationen, bei komplexen Systemen lässt sich das Verhalten erst nachträglich verstehen, es entsteht emergent im Laufe der Zeit und im Zusammenspiel vieler vernetzter Komponenten und Akteure. Facebook und Twitter hätten niemals in ihrer heutigen Form so von Anfang an entworfen werden können, sie sind das Ergebnis eines evolutionären Prozesses. Der erste Schritte solche Fragestellungen zu beherrschen ist das Eingeständnis, dass sie nicht von vornherein geplant werden können. Hier scheitern schon die meisten Unternehmen an ihren Planungs- und Budgetierungsprozessen. Wenn man sich darauf einlässt, dann bleibt als Vorgehen nur diese Evolution zu begleiten bzw. zu befeueren. Und Evolution heißt Experimentieren und Auslesen. Wir brauchen also viele Experimente und kurze Feedbackschleifen dazu: Ausprobieren, Wahrnehmen, Reagieren. Ein bisschen so wie manche amerikanische Unis Gehwege planen: Erst gar nicht und dann die Trampelpfade als Gehweg ausbauen.