Die Umverteilung der Arbeitsmittel

Irgend­wann in den letz­ten fünf bis zehn Jah­ren muss es pas­siert sein. Die Arbeits­mit­tel der Wis­sens­ar­bei­ter wur­den umver­teilt. Vor die­ser schlei­chen­den Revo­lu­ti­on waren gro­ße Orga­ni­sa­tio­nen not­wen­dig, um Men­schen Zugang zu Com­pu­tern und Soft­ware wirt­schaft­lich sinn­voll zur Ver­fü­gung stel­len zu kön­nen. Heu­te gibt es alles im Inter­net preis­wert zu mie­ten oder sogar kos­ten­los zu nut­zen. Auf Knopf­druck und inner­halb kür­zes­ter Zeit. Jeden­falls für Pri­vat­per­so­nen. In den Orga­ni­sa­tio­nen und Kon­zer­nen geht das nicht, ist ver­bo­ten und gesperrt aus Grün­den der Geheim­hal­tung. Ent­spre­chen­de inter­ne Diens­te rech­nen sich nicht, ent­ste­hen viel zu lang­sam und kön­nen bei der Wei­ter­ent­wick­lung nicht mit­hal­ten. So wird die Kluft zwi­schen dem, was im Inter­net für Wis­sens­ar­bei­ter an erst­klas­si­gen Arbeits­mit­teln ver­füg­bar ist und dem, was zur Arbeit inner­halb der Orga­ni­sa­tio­nen benutzt wer­den kann, täg­lich tiefer. 

Eben mal schnell ein Kan­ban-Board auf­set­zen? Kein Pro­blem mit Trel­lo. Oder lie­ber JIRA für die Arbeit im agi­len Team? Inner­halb weni­ger Minu­ten ver­füg­bar. Mit Con­fluence gleich noch das pas­sen­de Wiki dazu. Genau so schnell und schön mit­ein­an­der inte­griert. Eben mal Mind­maps gemein­sam bear­bei­ten im Brow­ser? Ein­fach kurz bei Mind­meis­ter regis­trie­ren und los geht es. Oder ganz banal: Ter­mi­ne für eine Grup­pe von Men­schen fin­den? Ein­fach Dood­le nut­zen. Gemein­sam über eine Ent­schei­dung abstim­men? Geht mit tri­ci­der ganz schnell. Lie­ber ein Enter­pri­se Social Net­work? Hier ent­lang zu Yam­mer. Die Lis­te ist nur ein klei­ner Aus­schnitt von Werk­zeu­gen und Ser­vices, die kos­ten­los oder jeden­falls gegen ver­nünf­ti­ge Prei­se ein­fach und schnell genutzt wer­den kön­nen. Und es wer­den bei­na­he täg­lich mehr.

Bei der Nut­zung die­ser cloud­ba­sier­ten Diens­ten zögern Orga­ni­sa­tio­nen meist aus Grün­den des Infor­ma­ti­ons­schut­zes und der Geheim­hal­tung. Das ist ein nach­voll­zieh­ba­res und berech­tig­tes Argu­ment, jeden­falls für sen­si­ble Daten. Weni­ger nach­voll­zieh­bar und nicht unbe­dingt ein Zei­chen von Ver­trau­en ist es, dann jeg­li­che Nut­zung zu unter­sa­gen und gleich kom­plett die Ser­ver zu sper­ren. Ent­spre­chen­de Alter­na­ti­ven intern bereit­zu­stel­len und zu betrei­ben ist aller­dings wenig wirt­schaft­lich und will gut über­legt und begrün­det wer­den. Im Ergeb­nis führt es aber eben dazu, dass vie­le nütz­li­che Werk­zeu­ge der Zusam­men­ar­beit gar nicht, ein­ge­schränkt oder ver­spä­tet und mit erheb­li­chen büro­kra­ti­schen Hür­den zur Ver­fü­gung ste­hen. Zwi­schen dem, was die Mit­ar­bei­ter — und da ins­be­son­de­re die Digi­tal Nati­ves — im Pri­vat­le­ben gewohnt sind und dem, womit sie die Arbeit orga­ni­sie­ren sol­len, für die sie bezahlt wer­den, klafft also eine immer grö­ßer wer­den­de Lücke. So ist das mit der Zufrie­den­heit der Mit­ar­bei­ter und der Bin­dung zum Arbeit­ge­ber eher schwie­rig und wird täg­lich schwieriger.

Ein wesent­li­cher Moti­va­ti­ons­fak­tor für Men­schen ist näm­lich die Anwen­dung und Erwei­te­rung ihrer Fer­tig­kei­ten. Und das bit­te mög­lichst selbst­be­stimmt von einem als sinn­voll emp­fun­de­nen Ziel gelei­tet. Mit Arbeits­mit­teln aus dem letz­ten Jahr­zehnt kon­fron­tiert zu wer­den und wider bes­se­ren Wis­sens um die Exis­tenz viel geeig­ne­ter Werk­zeu­ge damit täg­lich arbei­ten zu müs­sen, wird der Moti­va­ti­on also ver­ständ­li­cher­wei­se nicht för­der­lich sein. Wer ist schon ger­ne unver­schul­det unpro­duk­ti­ver als nötig?

The most important, and inde­ed the tru­ly uni­que, con­tri­bu­ti­on of manage­ment in the 20th cen­tu­ry was the fif­ty-fold increase in the pro­duc­ti­vi­ty of the manu­al worker in manu­fac­tu­ring. The most important con­tri­bu­ti­on manage­ment needs to make in the 21st cen­tu­ry is simi­lar­ly to increase the pro­duc­ti­vi­ty of know­ledge work and the know­ledge worker.
Peter F. Drucker



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Von Marcus Raitner

Hi, ich bin Marcus. Ich bin der festen Überzeugung, dass Elefanten tanzen können. Daher begleite ich Organisationen auf ihrem Weg zu mehr Agilität. Über die Themen Führung, Digitalisierung, Neue Arbeit, Agilität und vieles mehr schreibe ich seit 2010 in diesem Blog. Mehr über mich.

6 Kommentare

Hal­lo Herr Raitner,

Ihr Arti­kel “spricht für mich aus mei­ner See­le“. Die­se Klufft zwi­schen Organisationswelt/deren Kul­tur und der “Welt da drau­ßen“ wird wach, wenn ich Ihre Zeil­ten lese.

Jemand wie ich, der 10 Jah­re als exter­ne Bera­ter unter­wegs und dabei sehr frei trotz Anstel­lung unter­wegs war, hat­te immer wie­der die­se Mau­er gespürt und gesehen.

Es braucht mei­nes Erach­tens Schutz­mau­ern in sen­si­blen Berei­chen, doch sinn­lo­se Mau­ern soll­ten und müs­sen fal­len. Und es beginnt in unse­rem Denken.

Mei­ne Erfah­rung nach 10 Jah­ren als inter­ner Dienst­leis­ter sind, dass die Mau­ern und Schran­ken bei Mit­ar­bei­tern oft im Kopf wie­der­zu­fin­den sind. Und wenn das zum Pro­blem für U. oder Teil­be­rei­che wird, holt man sich “ein­fach“ neu­es Den­ken durch neue Mit­ar­bei­ter. Und ver­ges­sen wird dabei, dass Mit­ar­bei­ter oft “Sym­ptom­trä­ger“ sind und es noch ande­re Ver­än­de­run­gen braucht.

Ich bin da etwas von Edgar Scheins Kul­tur­mo­dell geprägt. Und das Ein­füh­ren von “more agi­le“ in hier­ar­chisch macht­ge­präg­te Orga­ni­sa­tio­nen ueigt m.E., das Wan­del in vie­len Berei­chen bit­ter nötig ist. Intel­li­gen­ter Wan­del, wäre halt schön. Und nicht rigi­des CM nach McK.

Vie­le Grüsse,

Tho­mas Kladoura-Beltle

Dan­ke für Ihre Ergän­zun­gen. Freut mich, dass ich mit mei­ner Wahr­neh­mung nicht allein bin. Was die Mit­ar­bei­ter betrifft ist ihnen tat­säch­lich nichts vor­zu­wer­fen: sie pas­sen sich nur an das Sys­tem an, alles ande­re wur­de auf Dau­er auch nicht funk­tio­nie­ren für den ein­zel­nen Mitarbeiter.

Hal­lo Marcus,
in dem Zusam­men­hang tref­fe ich oft auf meh­re­re Aspekte:
Der domi­nan­tes­te ist sicher, daß das Manage­ment fürch­tet, eine höchs­tens erhoff­te Infor­ma­ti­ons­ho­heit abzu­ge­ben, wenn Mit­ar­bei­ter ihre Arbeit sel­ber organisieren.
Das straf­fe Gerüst der ISO-Pro­zes­se hilft, Selb­stän­dig­keit und Eigen­dy­na­mik zu hemmen.

Ein wei­te­rer Aspekt, vor allem in Bezug auf die Unter­neh­mens-EDV* ist die klas­si­sche Komfortzone:
Die U‑EDV sieht sich schon lan­ge nicht mehr als Dienst­leis­ter für alle Mit­ar­bei­ter, son­dern als Ver­wal­ter von Tech­nik und Pro­zes­sen, und ist dem­entspre­chend oft eben kein Inno­va­ti­ons­trei­ber. Daß vie­le EDV-Abtei­lun­gen dann auch über ver­que­re Zie­le „geführt“ wer­den, tut sein Übriges.

Die Mit­ar­bei­ter selbst kön­nen nichts für ihr Ver­har­ren. In vie­len Unter­neh­men wird zu viel Fra­ge­rei sank­tio­niert; die Mit­ar­bei­ter stel­len sich irgend­wann auf den Sta­tus Quo ein. Beson­ders schlimm emp­fand ich das bei Men­schen, die seit Beginn ihres Arbeits­le­bens in der­sel­ben Fir­ma sind, jede Ecke ken­nen und jeden Makel als „Ehda-Pro­blem“ hinnehmen.
Die, die von außen in die Fir­ma kom­men, sind dann die, die nach einer gewis­sen Zeit gar nicht erst fra­gen, son­dern ihr bevor­zug­tes Büro­ma­te­ri­al von zuhau­se mit­brin­gen und moder­ne Tools im Gehei­men nutzen.

Ich habe auch kei­ne Ant­wort dar­auf, wie wir es bes­ser machen kön­nen. Der Haupt­fo­kus muß aber auf best­mög­li­che Bedin­gun­gen für die Mit­ar­bei­ter gelegt werden.
Dann haben wir eine ver­nünf­ti­ge Grund­la­ge für die wei­te­re Ausarbeitung.

Oh, hab mein Stern­chen vergessen.

*: „EDV“ hier ganz bewußt und pro­vo­kant abge­grenzt zu „IT“, da die deut­sche Unter­neh­mens-EDV mit moder­ner IT nicht all­zu­viel zu tun hat.

Da muss ich Dir lei­der in allen Punk­ten recht geben. Bin auch immer wie­der scho­ckiert, dass vie­le Mit­ar­bei­ter die Pro­ble­me erken­nen und in den Pau­sen immer wie­der ger­ne dar­über dis­ku­tie­ren und läs­tern, sie letzt­lich aber akzep­tie­ren bzw. als Auf­ga­be des Manage­ments abtun. Mutig wäre es in die­ser Situa­ti­on die Mit­ar­bei­ter zur Selbst­or­ga­ni­sa­ti­on und zur Arbeit am Sys­tem zu ermäch­ti­gen und zu befä­hi­gen. Aber wer will das schon? Das Manage­ment nicht, die Mit­ar­bei­ter aber auch mehr­heit­lich nicht: über wen sol­len sie dann schimpfen?

Und was die EDV betrifft: tod­op­ti­miert und kaputt­ge­spart. Die IT wur­de in unse­ren Unter­neh­men immer schon als Kos­ten­fak­tor und nicht als Teil der Wert­schöp­fung und Inno­va­ti­on betrach­tet und auf Effi­zi­enz und Sta­bi­li­tät aus­ge­rich­tet. Blöd nur wenn die Soft­ware im Pro­dukt eine immer grö­ße­re Rol­le spielt und damit die Her­stel­lung von Soft­ware in Kom­bi­na­ti­on mit Hard­ware zum Teil der Wert­schöp­fung wird. Wir sind lei­der mehr­heit­lich kei­ne Softwareunternehmen.

Viel­leicht wäre es hier an der Zeit, ‚Arbei­ten 4.0‘ schritt­wei­se mit kon­kre­ten Maß­nah­men zu unterbauen.

Bei­spiel IT: Das Unternehmens-IT-Manifest.
Die U‑IT schafft eine Hard­ware- und Soft­ware-Land­schaft, in der alle Mit­ar­bei­ter eigen­ver­ant­wort­lich, effi­zi­ent und frei in Zeit und Raum arbei­ten können.
Alle Mit­ar­bei­ter sind dar­an betei­ligt, Lösun­gen vor­zu­schla­gen, zu imple­men­tie­ren und sie zusam­men mit den Geschäfts­pro­zes­sen zu realisieren.
Mit­ar­bei­ter und U‑IT ent­schei­den gemein­sam über sinn­vol­le Stan­dards unter Berück­sich­ti­gung von Effi­zi­enz der Mit­ar­bei­ter und ganz­heit­li­cher Kos­ten­op­ti­mie­rung. (nicht rei­ner Kos­ten­mi­ni­mie­rung in der IT!)
Stan­dards wer­den nicht Top-Down vor­ge­ge­ben, son­dern aus dem Arbeits­um­feld her­aus ent­wi­ckelt und erprobt.

Oder so in der Art.

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