Lebensweg statt Karrierepfad

Aus drei Jah­ren agi­ler Trans­for­ma­ti­on der BMW Group IT habe ich vie­les über Ver­än­de­rungs­ar­beit gelernt und das in drei Prin­zi­pi­en zusam­men­ge­fasst. Ich habe auf die­ser Rei­se aber auch viel über mich selbst gelernt. Ich mag Ver­än­de­rung. Ich will etwas bewe­gen und die Welt ver­bes­sern. Ich nei­ge zum Idea­lis­mus und habe Träu­me. Ich bin neu­gie­rig und offen. Und ich mag kei­ne aus­ge­tre­te­nen Kar­rie­re­pfa­de, son­dern einen unbe­stimm­ten Lebens­weg, der erst im Gehen entsteht.

Wan­de­rer, dei­ne Spu­ren sind
der Weg, und sonst nichts;
Wan­de­rer, es gibt kei­nen Weg,
der Weg ent­steht im Gehen.
Im Gehen ent­steht der Weg,
und wenn man den Blick zurück­wirft,
sieht man den Pfad, den man
nie wie­der betre­ten wird.
Wan­de­rer, es gibt kei­nen Weg,
nur Kiel­was­ser im Meer.

Anto­nio Macha­do: „Cam­pos de Castil­la“, 1917 (Über­set­zung: Fritz Vogelgsang)

Die Anfangs­zeit im Kon­zern war schmerz­haft. Nach fünf Jah­ren Start­up-Kul­tur mit der denk­bar ein­fachs­ten Stra­te­gie („doing things!“) und so wenig Regeln wie mög­lich, fühl­te ich mich dort zunächst ein­ge­engt, über­be­hü­tet und irgend­wie fremd. Es dau­er­te eine Wei­le und eini­ge Gesprä­che mit Gleich­ge­sinn­ten, bis ich aus der Not eine Tugend machen konn­te und erkann­te, dass ich viel lie­ber am Sys­tem arbei­te als im Sys­tem. Die­se Ver­än­de­rung von Struk­tu­ren und Bedin­gun­gen hin zu einer neu­en und mensch­li­che­ren Arbeits­welt im Sin­ne des Mani­fests für mensch­li­che Füh­rung wur­de damit ein wich­ti­ger Teil mei­nes Lebens­wegs. Und das ist viel bes­ser als jeder aus­ge­tre­te­ne Kar­rie­re­pfad. Etwas aus­führ­li­cher spre­che ich dar­über mit Ani­ko Wil­lems in die­sem Interview.

Natür­lich braucht es die Arbeit im Sys­tem und es geht nicht dar­um, sie schlecht zu reden. Sie mag nicht immer beson­ders wert­schöp­fend sein und bis­wei­len auch frus­trie­rend, aber trotz­dem ist die­se Arbeit im Sys­tem im Ergeb­nis das, wozu es die Orga­ni­sa­ti­on gibt. Und weil Orga­ni­sa­tio­nen in den aller­meis­ten Fäl­len hier­ar­chisch auf­ge­baut sind, ist für vie­le die Posi­ti­on auf der Kar­rie­re­lei­ter zum Grad­mes­ser ihres Erfolgs gewor­den (oder sie haben es unhin­ter­fragt so über­nom­men). Auch dage­gen ist per se nichts ein­zu­wen­den, solan­ge es nicht zum Selbst­zweck wird.

Im Kon­zern lern­te ich lei­der auch den Begriff des „Care­er Limi­ting Move“ (CLM) ken­nen. Es scheint ganz so, als gäbe es (gar nicht mal so weni­ge) Men­schen, für die das Leben in hier­ar­chi­schen Orga­ni­sa­tio­nen eine Art Schach­spiel gewor­den ist. Klug gewähl­te Züge brin­gen sie zügig vor­an auf ihrem Kar­rie­re­pfad, wäh­rend Fehl­trit­te, eben die­se CLMs, sie auf­hal­ten. In die­ser Logik sind CLMs natür­lich tun­lichst zu ver­mei­den, die Wor­te und die Kämp­fe klug zu wäh­len, Kon­kur­ren­ten aus­zu­schal­ten, geeig­ne­te Ver­bün­de­te zu suchen und der nächs­te Schritt klug zu pla­nen. Die Orga­ni­sa­ti­on wird zum als Schach­brett und Schlacht­feld und der eige­ne Auf­stieg zu Selbstzweck.

Neben der Arbeit im Sys­tem braucht es daher immer die Arbeit am Sys­tem. Ich glau­be es braucht immer Men­schen, die eine ande­re Per­spek­ti­ve ein­neh­men, von außen auf das Sys­tem bli­cken, Fehl­stel­lun­gen erken­nen und anspre­chen. Nicht zuletzt aus die­ser Hal­tung her­aus bezeich­ne ich mich als Agi­le Coach ger­ne auch als Hof­narr, der mit einer gewis­sen Nar­ren­frei­heit den Mäch­ti­gen den Spie­gel vor­hält, das Sys­tem kon­struk­tiv irri­tiert und zum Nach- und Über­den­ken anregt. Und inso­fern ist der CLM doch wie­der zu etwas gut, näm­lich als Maß­stab für die­se Arbeit als Hof­narr und Orga­ni­sa­ti­ons­re­bell: Min­des­tens ein CLM pro Woche! Und mit dem Bei­trag habe ich mein Soll für die­se Woche erfüllt …



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3 Kommentare

Gabriel Rath 1. August 2019 Antworten

Hal­lo Mar­cus, dan­ke für dei­nen Blog­post. Auch ich bin in der Spar­kas­se in einer Rol­le, in der ich sowohl in als auch am Sys­tem arbei­te. Das ist zuwei­len aber sehr ermü­dend, denn „Das Sys­tem strik­tes Back“, um es in Star Wars Manier zu sagen. Das äußert sich dann oft so, dass Kapa­zi­tä­ten von mir und wei­te­ren „Hof­nar­ren“ wohl wis­send unse­rer letz­ten Chan­ge-Arbei­ten von oben umge­plant wer­den für ande­re Pro­jek­te. Und da leben wir dann eben in kei­ner Demo­kra­tie, son­dern zumin­dest bei uns immer noch einer Hier­ar­chie, die sicher fla­cher ist als frü­her, dafür aber genau­so stark. Am Ende ist für mich die Fra­ge, ob man es schaf­fen kann, einen Chan­ge in der „obe­ren Eta­ge“ her­bei­zu­füh­ren, denn Initia­ti­ven aus der Mit­te wer­den nur lang­fris­tig erfolg­reich sein kön­nen, wenn sie Raum bekom­men. Ich wer­de dei­ne Rei­se wei­ter ver­fol­gen und dazu­ler­nen. Danke.

Marcus Raitner 1. August 2019 Antworten

Das ken­ne ich gut, Gabri­el. Wird dann ger­ne begrün­det mit, „muss mal wie­der rich­ti­ge™ Arbeit machen!“ …

Studhilfe 22. September 2019 Antworten

Groß­ar­ti­ger Arti­kel! Und zutref­fend bis aufs letz­te Kom­ma. Tra­gisch ist, dass wir dank Kon­struk­ti­vis­mus und Sys­tem­theo­rie längst wis­sen, dass Orga­ni­sa­tio­nen eben auch „leben­de, sich ver­net­zen­de Orga­nis­men“ sind, mit Wech­sel­wir­kun­gen, die wir nicht mit­tels Pro­zes­sen oder Hier­ar­chien steu­ern kön­nen, mehr noch, die sich teil­wei­se unse­rem Blick entziehen.

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