Der zunehmende Hype um Agilität führt zu viel Halbwissen und Missverständnissen. Ein Grundübel ist dabei die Annahme, dass Agilität wie eine Art Kraftfutter die Mitarbeiterleistung steigert. Buchtitel wie „Scrum: The Art of Doing Twice the Work in Half the Time“ von Jeff Sutherland (ein im Übrigen lesenswertes Buch) verleiten den geneigten Manager, der bei aller „Busyness“ freilich nur den Titel und den Klappentext lesen konnte, auch schnell zu diesem Fehlschluss. Und schließlich ist in Scrum ja nicht ohne Grund von Sprints die Rede, oder?
There is surely nothing quite so useless as doing with great efficiency what should not be done at all.
Peter F. Drucker, 1963. „Managing for Business Effectiveness.“ Harvard Business Review.
Mitarbeiter sind aber keine Milchkühe und Agilität kein Kraftfutter. Agilität zielt auf Effektivität und nicht auf Effizienz. Insofern war Peter F. Drucker schon ein „Agilist“ der ersten Stunde. Es geht darum, in unsicherem und komplexem Umfeld das Richtige zu tun und nicht so sehr darum, bekannte und geplante Umfänge in Scheibchen geschnitten als Elefanten-Carpaccio effizienter abzuarbeiten.
Dieses Bild von Henrik Kniberg zeigt hervorragend, worum es im Kern bei Agilität wirklich geht: In kurzer Folge entstehen echte Zwischenprodukte und die Erkenntnisse aus ihrer Benutzung bestimmen dann die nächsten Schritte. Darum entsteht im Bild in der unteren Sequenz ein Cabrio und keine Limousine wie in der oberen Sequenz, weil unterwegs gelernt wurde, dass der Kunde frische Luft liebt. Agilität beschleunigt also das Lernen nicht das Abarbeiten!
Diese kurzen Lernschleifen sind dann sinnvoll und notwendig, wenn das Ziel unscharf und der Weg dorthin unklar ist. Agilität hat immer etwas mit Unsicherheit und Komplexität zu tun und daraus resultierend dem Wunsch nach mehr Flexibilität und Anpassungsfähigkeit. Wenn ein bekanntes und gut planbares Ergebnis nur effizienter erreicht werden soll, ist Agilität fehl am Platz. Der effizienteste Weg ein Cabrio zu bauen führt sicher nicht über ein Skateboard, einen Roller, ein Fahrrad und ein Motorrad als Zwischenschritte.
Diese Rechnung geht aber nur dann auf, wenn die initiale getroffenen Annahmen über den Markt und die Kunden korrekt waren. Ob das der Fall ist, zeigt sich im üblichen wasserfallartigen Vorgehen leider erst ganz am Ende der Entwicklung. Und dann sind Änderungen teuer oder unmöglich.
If the ladder is not leaning against the right wall, every step we take just gets us to the wrong place faster.
Steven R. Covey, 2004. „The 7 Habits of Highly Effective People.“
Artilleriegeschosse und einfache ballistische Raketen sind ja auch günstiger als selbststeuernde Marschflugkörper. Bei guter Sicht, Windstille, kurzen Entfernungen und unbeweglichen Zielen besteht mit ausreichend Übung die berechtigte Hoffnung, das Ziel damit recht gut zu treffen. Bei beweglichen Zielen, ständig wechselnden Winden oder größerer Entfernung sind Marschflugkörper, die ihre Flugbahn automatisch an Ziel und wechselnde Einflüsse anpassen, aber deutlich effektiver.
Ähnlich verhält es sich mit der Agilität. Sie erhöht die Treffsicherheit, aber nicht zum Nulltarif und schon gar nicht mit einem Gewinn an Effizienz – außer eben in dem Sinn, dass teure Nacharbeiten vermieden werden. Aber genau das meint ja Effektivität und Treffsicherheit.
4 Kommentare
Danke Marcus für diesen schönen Beitrag zum Kern der Agilität.
Ich hatte das Thema vor einiger Zeit aus einem anderen eher operativen Winkel beleuchtet. Begriffe wie Velocity und Sprint, scheinen das Thema Effizienz vordergründig weiter zu befeuern. Dabei steht der Sprint ja nur für die kürzere Planungsdistanz (gegenüber dem Marathon in klassischer Planung) und die Velocity war eigentlich eher als WiP für die Sprintplanung gedacht.
https://t2informatik.de/blog/prozesse-methoden/die-agile-geschwindigkeitsluege/
Zurück zu deinem Artikel. Ich gebe zu, mir gefallen Militärvergleiche nicht so, obwohl immer wieder „Managementwissen“ aus dem Militär übertragen wurde. Das Beispiel mit Marschflugkörper zeigt vor allem eines: In komplexen Umfeldern ist effektives Handeln der eigentliche Schlüssel zur Geschwindigkeit. Daher ist das Heilsversprechen von Sutherland/Schwaber in ihrem Buch zu Scrum (Doppelte Geschwindigkeit/Halbe Arbeit) tatsächlich vollständig richtig, wenn Umfeld und Vorgehen aufeinander abgestimmt sind.
Vielen Dank, André für die Ergänzung durch deinen Artikel.
Guter und knapper Beitrag ✌️ Auch wenn viele es schon ähnlich geschrieben haben, in der aktuellen #Boomzeit von diesem #Agile – Verfallen viele der allzu leichten Verlockung. Und wollen das Werkzeug für eine nicht passende Arbeit einsetzen.
Ich hoffe das es noch mehr Beiträge dazu gibt, wir dürfen nicht schweigen
Denn sonst ist Agilität in Gefahr für immer als verbranntes Kind aus den Methoden zu verschwinden.
Das wäre schade, wo es doch über 40 Jahre gebraucht hat.. anzukommen & Wirkung zu zeigen
Ich fürchte, das Kind ist schon lange in den Brunnen gefallen und Agilität oder #Agile schon lange verbrannt …