Agilität lebt von kurzen Feedbackschleifen. In kurzer zeitlicher Abfolge werden benutzbare Produktstände geliefert und die Erkenntnisse aus der Benutzung dieser Inkremente fließen dann in die weitere Entwicklung ein. Agilität ist im Prinzip ein Regelkreis aus Versuch und Validierung bzw. Falsifizierung. Je schneller dieser Regelkreis durchlaufen wird, desto schneller kann überprüft werden, ob man richtig unterwegs ist und desto geringer ist demnach das Risiko, in eine falsche Richtung zu laufen.
Agilität und Digitalisierung bedingen sich gegenseitig. Digitale Produkte und Abläufe erleichtern einerseits die Agilität, weil in der digitalen und virtuellen Realität die Lieferung von neuen Produktständen deutlich schneller möglich ist als in der physischen Welt. Und auch bei der Validierung macht es natürlich einen großen Unterschied, ob sie in Form einer Kundenbefragung durch ein Call-Center erfolgt oder ob die Akzeptanz einer neuen Funktion der Software einfach durch einen A/B‑Test live erfolgt.
Andererseits ist die digitale Transformation von Organisationen, Produkten und Geschäftsmodellen aufgrund der damit einhergehenden Unsicherheit prädestiniert für ein agiles Vorgehen. Agilität hilft, die Risiken der Digitalisierung im Griff zu behalten. Und nicht zuletzt bedeutet die Digitalisierung auch ein Umdenken und Umlernen und diese gemeinsame Lernreise funktioniert agil deutlich besser.
Kampf den Silos
Traditionelle hierarchische Organisationen bestehen aus funktionalen Abteilungen, die – nomen est omen – Verantwortungsbereiche abteilen, Macht in Form von Budget und Mitarbeitern aufteilen und die Wertschöpfung unterteilen. Das Ergebnis sind Silos, deren Mauern durch entsprechende Bewertungs- und Anreizsysteme Jahr für Jahr dicker werden.
Aufgrund dieser etablierten Struktur laufen Agilität und Digitalisierung große Gefahr innerhalb dieser Silos zu versanden. Das eine agile Projekt innerhalb einer Abteilung macht keinen großen Unterschied, weil die Abteilung selbst nur ein winziges Glied der Wertschöpfungskette ist und damit das Feedback zum Beitrag der Abteilung erst am Ende einer langen Reihe von Übergaben zur Verfügung steht.
Agilität bedeutet deshalb immer auch eine Form der interdisziplinären Zusammenarbeit zur Reduktion genau dieser Übergaben und damit zur Verkürzung des Regelkreises von Versuch und Validierung. Ein wesentliches Merkmal von Agilität ist es, über die Grenzen der Silos hinweg entlang der Wertschöpfung in einem interdisziplinären Team zu arbeiten. Das ist so aber nicht vorgesehen in der Organisation und wird von den jeweiligen Fürsten der Silos meist nicht begrüßt.
Any organization that designs a system (defined broadly) will produce a design whose structure is a copy of the organization’s communication structure.
Conway’s Law
Genauso verhält es sich mit der Digitalisierung. Die Prozesse und Artefakte in ein paar Abteilungen zu digitalisieren wird am Ende wenig Unterschied machen – schon gar nicht, wenn die Übergaben dazwischen bestenfalls mit Excel stattfinden. Oder mit den Worten von Thorsten Dirks: „Wenn Sie einen Scheißprozess digitalisieren, dann haben Sie einen scheiß digitalen Prozess!“ Auch die Digitalisierung muss deshalb die Silos überspannen und aufbrechen. Einerseits kulturell im Sinne eines offenen Umgangs mit Daten, aber auch technisch im Sinne von Softwarearchitekturen, die nicht einfach gemäß Conway’s Law die Silos nachbilden, sondern offene Schnittstellen bieten zur einfachen Vernetzung.
Attempting to change an organization’s culture is a folly, it always fails. Peoples’ behavior (the culture) is a product of the system; when you change the system peoples’ behavior changes.
John Seddon
Die Kultur folgt der Struktur, wie Craig Larman das zusammenfassend feststellt. Silos führen zu Silodenken. Agilität und Digitalisierung rütteln notwendigerweise an den Grundfesten hierarchischer Organisationen. Damit sie effektiv Wirkung entfalten kann, muss jede solche Transformation die Silos aufbrechen, wenigstens punktuell und temporär.