Verteiltes Arbeiten wurde jetzt ausgelöst durch die Corona-Pandemie für ganz viele Mitarbeiter und Organisationen das New Normal. Damit stellt sich in ungeahntem Ausmaß die Vertrauensfrage, die nicht selten zu einer Vertrauenskrise führt. Wo vorher schon nach der Devise Sinn und Vertrauen mehr als Anweisung und Kontrolle geführt wurde, gelingt auch die Führung auf Distanz. Wo das nicht der Fall war, offenbarten viele Führungskräfte ihr angestaubtes Menschenbild in Form der Frage, wie die Arbeit vom Mitarbeitern im Homeoffice kontrolliert werden könne und sind deshalb nun froh über den Hochlauf zu alter Präsenzkultur.
Die Monate des erzwungenen verteilten Arbeitens wären auch die Chance gewesen, umzuschalten von Input zu Impact. Anwesenheit im Büro war schon vorher eher wenig korreliert mit Leistung. In der Wissensarbeit entscheiden die Ergebnisse. Wann, wie und wo die erbracht werden, muss eigentlich egal sein. Diese Erkenntnis gab es in vornehmlich verteilt und nach dem Prinzipen der Meritokratie organisierten Unternehmen wie beispielsweise Basecamp oder Red Hat schon lange. Und in einigen anderen wie beispielsweise bei Twitter, wo die Mitarbeiter jetzt die Möglichkeit bekamen für immer im Homeoffice zu arbeiten, reifte sie in den letzten Monaten. In den meisten Unternehmen wurde diese Chance aber kläglich vergeben. Deshalb wird nun vielerorts die Rückkehr ins Großraumbüro unter allerlei Schutzmaßnahmen feierlich zelebriert.
To put it bluntly, the most important task for any manager today is to create a work environment that inspires exceptional contribution and that merits an outpouring of passion, imagination and initiative.
Gary Hamel, 2012. The Problem with Management.
Es zeigt sich in dieser Zeit auch, wo die Führungskultur in Bezug auf das Spannungsfeld „Beiträge zu Netzwerken mehr als Positionen in Hierarchien“ aus dem Manifest für menschliche Führung steht. Wo die Hierarchie überwiegt als Betriebssystem der Organisation ist Präsenz gefordert. Ein Kapitän braucht seine Mannschaft. In Organisationen, die sich eher als lebendiges Netzwerk verstehen und deren trotzdem vorhandene Hierarchie wenig dominant ist, zählt der Beitrag und die Leistung im Sinne der Meritokratie mehr als die Anwesenheit und die Sichtbarkeit.
Was und teilweise auch wobei der Einzelne in solchen Organisationen seinen Beitrag leistet, kann und soll überraschen. Natürlich gibt es auch dort Tagesgeschäft, das erledigt werden muss, aber darüberhinaus ist qualifizierte Einmischung prinzipiell erwünscht. Die Voraussetzung für einen fruchtbaren Diskurs in einer solchen Netzwerkorganisation ist einerseits eine Kultur, die Diversität und Dissens mehr schätzt als Konformität und Konsens.
Purpose is often misunderstood. It’s not what a group does but why it does what it does. It’s not a goal but a reason — the reason it exists, the need it fulfills, and the assistance it bestows. It is the answer to the question every group should ask itself: if we disappeared today, how would the world be different tomorrow?
Linda Hill, Greg Brandeau, Emily Truelove, and Kent Lineback, 2014. Collective Genius. (Amazon Affiliate-Link)
Andererseits braucht es einen sehr starken gemeinsam getragenen Sinn oder neudeutsch Purpose. Wenn der fehlt – oder wo der Profit zum Selbstzweck erhoben wurde – fehlt aber der Maßstab für Beiträge und Leistung. Also wird stattdessen die Anwesenheit gemessen. Und wird die Corona-Krise für viele Organisationen nicht nur zur Vertrauenskrise sondern auch zur Sinnkrise. Diese Krise ist damit auch die Chance, an Sinn und Vertrauen zu arbeiten. Diese kann man nutzen – oder versuchen möglichst schnell das vorige Betriebssystem der Organisation wieder hochzufahren.
1 Kommentar
Ich möchte eine wenig „wider den Stachel der moralischen oder höher geistigen Keule löcken“ und doch Deine Ideen stützen.
Erstens: Arbeit ist nicht erst in der heutigen Gesellschaftskrise verteilt. Mit ist wichtiger festzustellen, dass Arbeit ge(!)teilt ist, mehr als in der frühen Moderne. Und Arbeit wird zuge(!)teilt. daher stellt sich die Aufgabe der räumlichen Ver(!)teilung von Arbeit von Anfang an durch die gewählte Art der Arbeitsteilung. Mit dem „ver“ ist immer die Aufgabe eines technischen „con/ zusammen“ der Kommunikation in unterschiedlichen Ausprägungen verbunden. Die technische Lösung aber ist abhängig von Kommunikation als Vehikel einer bestimmten Führungsidee. Und die Krise macht – wie Du richtig sagst – auf Stärken und Schwächen in der Gestaltung, in Sinn und Kultur einer Führung aufmerksam. Zweitens: Anweisung und Kontrolle, Hierarchie und Positon sind unerlässlich, weil damit einerseits die Dinge geregelt sind, die nicht jeden Tag neu erfunden werden müssen bzw. sollen, und andererseits sind Verantwortlichenkeiten für Entscheidungen geklärt. Diversität und Dissens verdienen nicht höhere Wertigkeit, sondern sie sind anders zu habdhaben. Sie gehen in die den Vorgang der Entscheidungsfindung ein und bilden den neuen Konsens, die Entscheidung zu tragen, und die Konformität, die aus den Einzelaufgaben ein Ganzes macht.
Soviel in dürren Worten.