Ein Kapitän braucht seine Mannschaft an Bord genauso wie der Schachmeister seine Figuren auf dem Brett. Diese Narrative des Präsenzkults führen nun nach Abebben der ersten Welle der Pandemie zu einem beachtlichen Maß an Überzeugungsarbeit, um Mitarbeiter aus dem Homeoffice ins Großraumbüro zu locken. Ein Argument wird dabei besonders gerne bemüht: Zufällige Begegnungen ermöglichen glückliche Zufälle, kurze Abstimmungen und vielleicht auch neue Ideen.
Natürlich ist der Mensch ein soziales Wesen und agiert gerne in Gruppen. Insofern erfüllt das Büro auch diese Funktion und nicht wenige Mitarbeiter zieht es genau deshalb dorthin. Ob dadurch die Arbeit besser von der Hand geht, die Mitarbeiter kreativer sind und das Unternehmen innovativer, ist natürlich eine andere Frage.
Glück ist, was passiert, wenn Vorbereitung auf Gelegenheit trifft.
Seneca
Ein unbestrittener Vorteil der physischen Präsenz scheint es, sich über den Weg laufen zu können, ins Gespräch zu kommen, woraus dann eine gute Idee oder neue Lösung entsteht. Das kennen wir hoffentlich alle. Und wir erlebten gerade in den letzten Wochen und Monaten vielfach die Vereinsamung im Homeoffice. Gemeinsame Zeiten im Büro schaffen die Gelegenheit für den glücklichen Zufall. So weit, so gut.
Unsere physische Präsenz ist aber auch immer limitiert auf unseren sehr beschränkten Aktionsradius in Form eines Stockwerks in einem Bürogebäude. Es treffen sich physisch also immer dieselben. Auch das ist ein Effekt des Menschen als sozialem Wesen mit dem starken Wunsch der Zugehörigkeit zu einer Gruppe. Physische Präsenz zementiert damit die Silos oder bekämpft jedenfalls nicht das für die digitale und agile Transformation schädliche Silodenken.
Auch im virtuellen Raum kann man sich über den Weg laufen. Das erleben viele in Social Media täglich. Dieser virtuelle Raum ist vielen Unternehmen in Form eines Enterprise Social Networks zwar vorhanden, aber oft entweder verwaist oder gemäß Conway’s Law eine Nachbildung der großen und kleinen Silos der Organisation.
Any organization that designs a system (defined broadly) will produce a design whose structure is a copy of the organization’s communication structure.
Conway’s Law
Die Krise böte nun auch die Chance nicht in das bekannte Muster des Präsenzkults zurückzufallen, sondern bewusst den Aktionsradius des Einzelnen in den virtuellen Raum des Enterprise Social Networks und anderer Plattformen (Slack, MS Teams, etc.) auszuweiten. Darin könnten sich dann Menschen aus verschiedenen Silos viel besser begegnen und gemeinsam auf wirklich innovative, weil übergreifende, Ideen für die Digitalisierung kommen.
4 Kommentare
Ich stimme Dir absolut zu Marcus. Und dieses Erweitern in den virtuellen Raum ist sogar sehr leicht zu erreichen. Wir bei Teamprove haben als langjähriges Remote-Unternehmen schon vor der Pandemie virtuelle Kaffeepausen bewusst in unseren Kalender integriert. Mehrmals die Woche zu verschiedenen Zeiten. In letzter Zeit führen wir das sogar mit Kunden gemeinsam durch. Gerade diese empfinden das spontane und zufällige miteinander in Kontakt kommen als bereichernde Unterbrechung des Arbeitsalltages. Mal sind alle da, mal nur ein Teil. Aber diese bunte und zufällige Durchmischung der Teilnehmer macht’s aus. Nicht selten entstehen dabei genau diese Gespräche und glücklichen Zufälle von Lösungsideen, wie Du sie eingangs beschrieben hast. Fazit: Was wir in der Präsenzkultur kennen lässt sich sehr einfach, und sogar oft noch viel werthaltiger in der digitalen Welt nachbilden.
Sehr gut. Und man kann das auch anders nachbilden, z.B. in Form von asynchronen Check-Ins wie bei Basecamp, vgl. Video-Konferenzen sind auch keine Lösung.
Sehr gute Zusammenstellung und Anregung zum Nachdenken. Die andere Art sich „über den Weg laufen„muss vielleicht noch geübt werden. Danke für die !mpulse.
Vielen Dank!