Wenn schon die Welt aus den Fugen gerät, Absatzmärkte einbrechen und der Fortbestand von Unternehmen bedroht ist, soll doch bitte im Büro endlich wieder Ordnung herrschen. Wenigstens dort. Um schnell zu reagieren braucht es einfach kurze Wege und die gibt es nur im Großraumbüro. Theoretisch jedenfalls. Praktisch ist eine kurze räumliche Distanz nicht automatisch auch ein kurzer Weg für die Zusammenarbeit. Im Gegenteil.
For every complex problem there is an answer that is clear, simple, and wrong.
H. L. Mencken
Je offener und näher Menschen im Büro zusammensitzen desto besser die Zusammenarbeit, so das gängige Narrativ des Präsenzkults. Anstatt zum Telefon zu greifen oder eine E‑Mail zu schreiben kann doch die Angelegenheit durch ein schnelles Gespräch am Schreibtisch des Kollegen im selben Großraumbüro viel schneller geklärt werden. Klingt logisch, ist aber nicht so, wie zwei Studien von Ethan Bernstein und Stephen Turban zeigten.
In ihrer ersten Studie begleiteten die beiden Forscher den Umbau eines ganzen Stockwerks eines Fortune 500 Unternehmens von Einzelarbeitsplätzen (Cubicles) in ein offenes Großraumbüro. Sie erfassten vor und nach dem Umbau die Zeit, die in persönlichen Interaktionen zwischen Kollegen verbracht wurde und stellten einen Rückgang um sage und schreibe 73% fest. Natürlich fiel die Kommunikation nicht einfach weg, sondern verlagerte sich gerade wegen der Nähe in den besser geschützten virtuellen Raum: Die Nutzung von E‑Mail stieg um 67% und die von Instant Messaging um 75%.
If you’ve ever sought refuge from the gold-fish bowl of an open-plan office environment by cocooning yourself with headphones, or if you’ve decided you’d rather not have that challenging conversation with a colleague in front of a large group of your peers, and opted to email them instead, then these findings will come as little surprise.
Christian Jarrett in Open-plan offices drive down face-to-face interactions and increase use of email
Die zweite Studie bei einem anderen Fortune 500 Unternehmen war ähnlich angelegt, fokussierte aber auf Paare von Kollegen, die regelmäßig miteinander interagierten. Bei den zugrundeliegenden 100 Mitarbeitern gab es 1830 solche Paare, von denen 643 nach dem Umzug in ein offenes Großraumbüro ihre persönliche Interaktion reduzierten und nur 141 sie erhöhten. Insgesamt reduzierte sich auch in dieser Studie als Folge der offenen Bürogestaltung die Zeit für persönliche Interaktion um 70% und die Nutzung von E‑Mail erhöhte sich auch hier (je nach Schätzmethode) zwischen 22% und 50%. Die beiden Forscher ziehen daraus das treffende Fazit:
While it is possible to bring chemical substances together under specific conditions of temperature and pressure to form the desired compound, more factors seem to be at work in achieving a similar effect with humans.
Ethan S. Bernstein, Stephen Turban
Räumliche Nähe ist also kein Garant für kurze Wege. Hinzu kommt, dass in großen Konzernen trotz räumlicher Nähe eigentlich immer verteilt gearbeitet wird. Die Belegung der Büroflächen folgt nämlich den fachlichen Silos und der Hierarchie. Es sitzen also diejenigen zusammen im Großraumbüro, die eine ähnliche Funktion haben. Der Weg ist also nur innerhalb des Silos kurz (oder eben doch nicht wie die oben genannten Studien zeigten).
Die Wertschöpfung liegt aber quer zu den funktionalen Silos. Zwar sitzt der einzelne Experte in seinem Expertensilo mit Experten derselben Profession zusammen, seine Arbeit besteht zu großen Teilen aber darin, mit Kollegen in anderen Silos zu interagieren. Die sitzen aber in ihrem eigenen Bürotrakt, einem anderen Gebäude, an einem anderen Standort und im Falle von Lieferanten und Partnern vielleicht sogar in einer anderen Firma. Zusammenarbeit ist also sowieso immer verteilt und war es schon vor Corona. Durch die Pandemie und das massenhafte Arbeiten im Homeoffice haben allerdings viele das erkannt, dass unter dieser Prämisse die permanente Präsenz im Großraumbüro wenig Mehrwert bringt.
9 Kommentare
>„Natürlich fiel die Kommunikation nicht einfach weg, sondern verlagerte sich gerade wegen der Nähe in den besser geschützten virtuellen Raum: “
Interessanter Aspekt und die Frage, die sich mir da sofort aufdrängt ist. „Warum ist das so?“
Ist es eine Menge an Einzelkämpfern, die auf’s „Schlachtfeld“ geschickt wurde und jeder sucht Deckung unter Kopfhörern oder sind es bislang verteilte Teams, die nun ohne digitale Verrenkungen direkt kollaborieren könne?
Ist es rein nur aufgrund der neuen, ungewohnten physischen Transparenz, sprich der gefühlten Nähe oder dem Schallpegel oder ist es wegen einer nicht ausreichenden, unflexiblen oder unpassend ausgelegten Abdeckung der notwendigen Rahmenbedingungen menschlicher Interaktion?
Ist solches Verhalten mehr mit den diversen Akzeptanzschwellen von situativer oder persönlicher Unterschiedlichkeit begründbar oder liegt es an dem allgemeinen Defizit eines nicht ausreichenden Selbstverständnisses der betroffenen Gruppe?
Hier gilt es im konkreten Kontext nachzuforschen und kritische Fragen zu stellen. Sonst bleibt es bei der einen oder anderen Mär und damit ist niemandem geholfen …
Sehr gute Gedanken dazu. Das muss tatsächlich im Einzelfall erforscht und reflektiert werden. Vermutlich entdeckt man dabei den einen oder anderen Schiefstand in der Unternehmenskultur
Was Bernstein und Turban beschreiben trifft sich mit meinen anekdotischen Beobachtungen. Trotzdem sollte man m.E.n. nicht den Fehler machen die Strategie „alle in ein Großraumbüro setzen, aber ansonsten alles so lassen wie es war, und so optisch und akustisch die kürzesten Kommunikationswege zu ermöglichen“ mit einem für „das agile arbeiten von spezifischen Teams optimierten Büro“ zu vergleichen. Einfach die Wände der Cubicles entfernen könnte möglicherweise auch dem Wunsch geschuldet sein ohne große Investments eine bessere Kommunikation zu erhalten – wie naiv wäre das! In einem Fall habe ich es selbst schon erlebt wie wertvoll es sein kann, wenn alle an der Wertschöpfung beteiligten in relativer Nähe zueinander arbeiten. In einem anderen Fall ging das fast komplett remote! In anderen Fällen hat es nichts genützt, dass Kollegen zusammen saßen, da sie auf 5m weiter „von einandern entfernt waren“ als z.B. mit Kollegen die in China saßen. Präsenzkultur als one-size-fits-all Strategie für eine bessere Kommunikation ist quatsch. Aber Arbeitsräume so gestalten, evtl. sogar emergent gestalten, wie es die jeweilige Wertschöpfungskette für effektives und effizientes Arbeiten benötigt, das kann zum Erfolgsfaktor werden. Ich bin fest davon überzeugt, und habe es auch selbst miterlebt, dass das sowohl in einem wirklichen Raum als auch in einem virtuellen Raum zu schnellerem Lernen und wertvollen Ergebnissen führen kann.
Darin sehe ich auch einen großen Wert. Es müssen eben aber diejenigen zusammensitzen, die auch permanent in einem Team zusammenarbeiten und nicht diejenigen mit demselben Kurzzeichen… Und dann braucht es aber trotzdem noch Flexibilität und Rückzugsräume, weil man ja nicht permanent miteinander zu tun hat, sondern hoffentlich auch mal in Ruhe arbeiten muss. Dazu gefiel mir das Konzept Caves & Commons ganz gut.
Zunächst halte ich das harsche Motto: „Ausweitung des digitalen Aktionsradius statt Präsenzkult“ für marktschreierisch und irreführend. Zweitens ist die Frage der Notwendigkeit, Möglichkeit, Art und Weise Kommunikation von der Art der Arbeit, vom Interesse an und Willen zur Kommunikation abhängig. Die technischen Rahmenbedingungen beeinflussen – gewollt und ungewollt immer! Da ist die Raumfrage den Fragen – wann, will man, welche Kommunikation (Sachfrage, persönlicher Disput, Entscheidung(svorbreitung, Reisebericht, Leistungsanforderung, Kosten usw.) mit wem (viele, wenige, einer), Krisensitzung, spezielles oder Morning-Briefing, – untergeordnet. Jedes Format einer Kommunikation muss erlernt und eingeübt werden; denn nichts ist schlimmer als das falsche Format zur falschen Zeit. Jeder der Führungsverantwortung hat, muss(!!!) das beherrschen. Das ist sein Metier. Die „Sachen“ werden von den fachlich gebildetetn Mitarbeitern erledigt – wann und wo auch immer. Wenn es anstelle klarer Regeln und einer klaren verbindlichen, freundlichen Sprache für Kommunikationsformate nur den „Workshop“ gibt, ist etwas „faul im Staate Dänemark“. Wenn es aber Regeln gibt, wird jeder den richtigen Ton und die richtige Umgebung, die Sitution für Kommunikation kennen oder einschätzen können, diese ggf. suchen und herrichten. Und schließlich: Jede kommunikationsform oder technische Platform erzeugt Nebeneffekte – wie z.B. der Teddy im Home Office.
Danke für die Ergänzung, Frank, und sorry für den etwas marktschreierischen Titel … Wir sind uns aber im Prinzip einig, dass es Flexibilität braucht in den Formaten, in der Technologie und auch im Denken (wer als Werkzeug nur einen Hammer hat, sieht in jedem Problem einen Nagel). Dieses Angebot mit entsprechendem Coaching muss ein Unternehmen und müssen Führungskräfte erst mal bereitstellen.
Und noch ein weiterer Aspekt, v.a. in großen Organisationen beobachtbar: Wenn die meisten Mitarbeiter einen großen Teil ihrer Arbeitszeit in Meetings verbringen – ob virtuell am Arbeitsplatz oder Face-to-Face in abgeschlossenen Meetingräumen – dann sind oft ganz einfach nicht ansprechbar. Die schnelle persönliche Kommunikation wird dadurch erheblich erschwert. Und das gilt sowohl für Großraum- als auch für kleinere Büros.
Sehr guter Punkt! Das kenne ich gut. Ich zitiere da gern immer Peter Drucker:
Interessante Studie! Die Ergebnisse kann ich aus eigener Erfahrung nur bestätigen, habe aber schon gegenteilige Meinungen gehört. Wobei ich differenzieren würde:
1) Wenn die MA (wie im Artikel aufgeführt) mit Experten an anderen Standorten arbeiten, dann ist es für mich relativ logisch, dass wenig Interaktion innerhalb besteht (unabhängig ob sie in einer Projektsituation sind oder nicht)
2) wenn die MA in einem eingeschwungenen stabilen Zustand sind, wozu dann viel interagieren? Auch solche Abteilungen habe ich bereits durchlaufen. Wenn es nur Tagesgeschäft gibt und jeder eigene Themen abzuarbeiten hat, wozu interagieren (ob das so gut ist wäre eine andere Frage).
Interessant ist der Vorher/Nachher-Vergleich. Man könnte es auch anders interpretieren: die räumliche Nähe als Effizienztreiber, der nach einiger Zeit überflüssige Meetings abschafft? Sarkasmus-Quotes bitte selbst setzen, denn es scheint weiterhin Klärungsbedarf zu geben, siehe Anstieg der Emails.