Vor dreißig Tagen löschte ich Twitter, LinkedIn und Instagram von meinem iPhone. Damit begann für mich der Prozess der digitalen Entrümpelung, den Cal Newport in seinem lesenswerten Buch „Digitaler Minimalismus“ (Amazon Affiliate-Link) zum Einstieg vorschlägt. Für einen Zeitraum von 30 Tage verzichtet man dabei auf optionale Technologien und nutzt diese Zeit, um sich anderen Aktivitäten und Verhaltensweisen zu widmen. Mit der Klarheit dieser 30 Tage Abstinenz bestimmt man dann für jede Technologie, in welcher Weise sie das Leben bereichert, ob sie dafür die beste Technologie ist und wenn ja, wie sie dafür optimal eingesetzt werden kann.
Der digitale Minimalismus ist keineswegs die Ablehnung der Innovationen des Internetzeitalters, sondern er lehnt nur die Art und Weise ab, in der viele Leute sich diesen Werkzeugen hingeben.
Cal Newport (2019). Digitaler Minimalismus, S.254.
Ganz auf Twitter und LinkedIn habe ich in dieser Zeit nicht verzichtet, weil sie für mich als Autor und Netzwerker wichtige Kanäle und Plattformen sind. Aber ohne die entsprechenden Apps und ihre Mitteilungen auf dem iPhone hat sich die Nutzung mittels Laptop meist auf die Abendstunden beschränkt. Instagram habe ich zwischenzeitlich sogar komplett gelöscht, weil mich irgendwann die verzweifelten Lockversuche per E‑Mail genervt haben und ich bisher ohnehin kaum einen Nutzen davon hatte.
Seit 2010 nutze ich jetzt ein iPhone und Social Media. Ich kann mich nicht erinnern, dass ich mein iPhone schon einmal für längere Zeit irgendwo unbeachtet hätte liegen lassen. Es war für mich immer ein wichtiges Arbeitsgerät. Jedenfalls rationalisierte ich derart meinen Umgang damit. Entsprechend lag die durchschnittliche Bildschirmzeit vor der digitalen Entrümpelung zwischen zwei und drei Stunden pro Tag.
Die letzten Wochen verbrachte mein iPhone meist außer Sichtweite im Arbeitszimmer, das ich dank Elternzeit nur selten aufsuchen musste. Meine Bildschirmzeit liegt seitdem deutlich unter einer Stunde – wohlgemerkt inklusive Headspace, das ich für meine Meditation benutze, und Downdog, das mir bei meiner Yoga-Praxis hilft.
Weniger, aber besser
Dieter Rams schuf im Wirtschaftswunderland als Chefdesigner von Braun zahllose Designklassiker, die auch Steve Jobs sehr schätzte. Sein minimalistisches Designverständnis fasste er schon 1970 in seinen zehn Thesen für gutes Design zusammen, die heute aktueller denn je sind. „Weniger, aber besser“ ist einer seiner prägnanten Leitsätze, die mich nicht nur in Bezug auf Design, sondern auch in anderen Lebensbereichen schon länger leiten.
Trotzdem war ich lange Zeit unersättlich in Bezug auf neue Technologien, die ja alle auch eine Berechtigung und unbestreitbaren Nutzen haben. Damit ließ ich mich gerne locken und dann immer weiter in ihren Bann ziehen. Wie Alice im Wunderland fiel ich immer tiefer hinein in den Kaninchenbau der absichtslosen Nutzung und dem ziellosen Blättern durch endlose Ströme mehr oder weniger belangloser Aktualisierungen. Und dann blieb eben keine Zeit mehr, einfach dazusitzen und vor sich hin zu schauen, wie Astrid Lindgren diese für das menschliche Gehirn so wichtigen Momente treffend beschreibt.
Die Digitale Entrümpelung hat mir den Wert dieser Momente des Leerlaufs wieder bewusst gemacht genauso wie den Wert der ungeteilten Aufmerksamkeit generell. Es war kein Verlust, nicht mehr ständig auf Twitter oder LinkedIn die neuesten Reaktionen auf Posts verfolgen zu können. Ich empfand das im Gegenteil als sehr befreiend, weil ich wusste, dass ich mich abends in Ruhe darum kümmern würde, genauso wie um meine E‑Mails.
Das ist völlig ausreichend und bleibt jetzt so.
Gute Technologie ist sowenig Technologie wie möglich. Weniger Technologie ist mehr, konzentriert sie sich doch auf das Wesentliche, statt das Leben mit Überflüssigem zu befrachten. Zurück zum Puren, zum Einfachen!
Frei nach Dieter Rams zehn Thesen für gutes Design.
3 Kommentare
Schöner Artikel, danke dafür. Die zehn Design-Thesen habe ich gleich mal runtergeladen, die sind in ihrer Klarheit ja selbsterfüllend :-)
Seit ich mich letzten Oktober komplett abgemeldet habe, vermisse ich facebook auch nur wenig, und es war genau wie Du sagst, eigentlich konnte ich nur damit nicht umgehen.
Im Urlaub habe ich auch Deinen früheren Beitrag gedacht, wenn ich an der See einfach nur da saß… sehr schön
Viele Grüße von Sylt
Vielen Dank, Oliver. Es ist wie geschrieben eigentlich gar nicht so schwierig. Und dann hat mal auch wieder Zeit einfach da zu sitzen.
Hallo Marcus, ich mache das schon lange ;-) Die Feedback-Bestätigungsspirale der Platformen nimmt immer schrägere Formen an. Von linkedin bekomme ich seit einiger Zeit Nachrichten der Form „xy teilt ihre Meinung“. Hört sich nett an – das Witzige ist nur, dass ich dort seit Monaten nichts mehr gepostet habe, insofern sind das reine „Fake-Likes“ Dieses sich „im Kreis bestätigen“ nervt und bringt kaum etwas
LG Eberhard