In vielen Fällen wird versucht, mit agilen Methoden wie Scrum den Mangel besser zu verwalten. Es mangelt an Menschen und Skills für die viel zu vielen Projekte, die alle gleichzeitig bearbeitet werden sollen. Typischerweise wird das zur Verfügung stehende „Menschenmaterial“ dann irgendwie aufgeteilt: 50 % hier, 30 % dort und schließlich 20 % woanders. Oftmals wird die Aufteilung auch immer wieder dynamisch angepasst, weil es irgendwo brennt und man zum Löschen unbedingt diesen einen Experten benötigt.
Multitasking heißt, viele Dinge auf einmal zu vermasseln.
Erwin Koch
Eine solche Organisation ist dann zwar sehr beschäftigt, aber trotzdem langsam und eher fragil als agil. Also liegt es nahe, diese Ansammlungen von Splitterkapzitäten – der Begriff „Team“ verbietet sich dafür von selbst – mittels Scrum besser zu organisieren, weil das mit den Sprints so schön schnell und dynamisch klingt. So einfach ist das aber nicht und einfache Lösungen für komplexe Probleme bewirken oft das Gegenteil.
Zusätzliche Meetings und zusätzliche Tools kosten zusätzlich Zeit, die gerade wegen des verlustbehafteten Multitasking ohnehin schon zu knapp ist. Besonders frappierend zeigt sich das bei denjenigen Menschen, die, weil Teil von beispielsweise drei dieser Gruppen von Splitterkapazitäten dann gemäß Vorschrift an drei Daily Meetings teilnehmen, dort aber meist keinen Fortschritt berichten können, weil sie keine Zeit mehr zum Arbeiten finden.
In the South Seas there is a cargo cult of people. During the war they saw airplanes land with lots of good materials, and they want the same thing to happen now. So they’ve arranged to imitate things like runways, to put fires along the sides of the runways, to make a wooden hut for a man to sit in, with two wooden pieces on his head like headphones and bars of bamboo sticking out like antennas — he’s the controller — and they wait for the airplanes to land. They’re doing everything right. The form is perfect. It looks exactly the way it looked before. But it doesn’t work. No airplanes land. So I call these things cargo cult science, because they follow all the apparent precepts and forms of scientific investigation, but they’re missing something essential, because the planes don’t land.
Richard Feynman, 1974
Diese zwar extremen, aber durchaus realen Beispiele zeigen, dass es bei Weitem nicht ausreicht, die Arbeit einfach anders zu organisieren und zu erwarten, dass sich das Versprechen von Jeff Sutherland’s Buch „Scrum: The Art of Doing Twice the Work in Half the Time“ dadurch einstellt. Diese Erwartung ist ähnlich naiv wie die Erwartung der von Richard Feynman beschriebenen Ureinwohner in der Südsee und ihrem Cargo-Kult. Sie ahmen nach, was sie bei den alliierten Besatzern (die Inseln dienten als Versorgungsstützpunkte während des Zweiten Weltkriegs) sahen, um wieder in den Genuss der durch die Flugzeuge gelieferten Produkte zu kommen (die Besatzer trieben während der Stationierung dort regen Tauschhandel mit den Ureinwohnern, die bis dahin keinen Kontakt zur westlichen Zivilisation hatten).
Einen Vorteil gegenüber den Ureinwohnern und ihrem Cargo-Kult haben wir bei den eingangs beschriebenen ersten unbeholfenen Gehversuchen mit Scrum aber dennoch. Mithilfe eines guten Scrum-Masters oder Agile Coaches lassen sich sehr schnell und sehr deutlich die eigentlichen Probleme herausarbeiten. Oft laufen einfach zu viele Projekte gleichzeitig, sodass zunächst das Prinzip „Stop starting – start finishing“ wieder beherzigt werden muss, damit dann die Menschen und Team wieder fokussierter an ihren Projekten und Produkten arbeiten können.
Im Kern geht es bei Scrum um Teamwork und Ownership. Die Methode gibt dem Team nur den Rahmen und die Struktur, um gemeinsam kontinuierlich und fokussiert nicht nur an einem beliebigen, sondern an seinem Produkt zu arbeiten. Agilität heißt, gemeinsam durch Experimente zu lernen und daraus sowohl die Zusammenarbeit als auch das Produkt kontinuierlich zu verbessern. Daraus und eben nicht aus der unreflektierten Nachahmung der Zeremonien in einem beliebigen Kontext realisiert sich dann das von Jeff Sutherland postulierte Potenzial.
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2 Kommentare
Hi Marcus!
Ich mochte deine Newsletter und die Texte darin fast immer. Irgendwann habe ich ihn abbestellt, da es offensichtlich nur noch um den Verweis auf dein Manifest ging und deine Sicht irgendwie unterging. Er hatte sich plötzlich künstlich angefühlt und für mich war er meist ohne Substanz.
Jetzt abonniere und lese ich ihn wieder, da es schon der zweite Text ohne ist und ich wünsche mir, dass es so bleibt.
Bitte entschuldige das ungefragte Feedback an dieser Stelle, die ja eigentlich für den aktuellen Text da ist.
Lieber Gruß
Ingolf
Vielen Dank, Ingolf! Dein Feedback ist wirklich sehr willkommen. Und es freut mich sehr, dass du jetzt wieder meinen Newsletter abonniert hast. Ich gelobe Besserung ;-)