Meine Erfahrungen im Projektmanagement habe ich in IT-Projekten gesammelt. Ich bin Informatiker und als Projektmanager seit Jahren mit der Führung von IT-Fachkräften beschäftigt. Und trotzdem schreibe ich hier viel über die Führung von Wissensarbeitern im Allgemeinen. Ist diese Verallgemeinerung zulässig? Je länger ich darüber nachdenke, komme ich zu dem Schluss, dass der IT-Branche und insbesondere dem IT-Projektmanagement, eine Vorreiterrolle hinsichtlich der Führung von Wissensarbeitern zukommt.
Nochmals muss ich das Zitat von Frederick Winslow Taylor als Einleitung bemühen:
Einen intelligenten Gorilla könnte man so abrichten, dass er ein mindestens ebenso tüchtiger und praktischer Verlader würde als irgendein Mensch. Und doch liegt im richtigen Aufheben und Wegschaffen von Roheisen eine solche Summe von weiser Gesetzmäßigkeit, eine derartige Wissenschaft, dass es auch für die fähigsten Arbeiter unmöglich ist, ohne die Hilfe eines Gebildeteren die Grundbegriffe dieser Wissenschaft zu verstehen oder auch nur nach ihnen zu arbeiten. (Frederick Winslow Taylor)
Not macht erfinderisch
Das Management von Industriearbeitern beruhte auf dem Paradigma des Arbeiters als austauschbarer, schier unerschöpflicher Ressource. Sicherlich ist dieses Paradigma in der IT schon seit Jahren völlig falsch: Krisen hin oder her, es herrscht immer ein Mangel an Fachkräften. Und dank extrem hoher und zunehmend fortschreitender Spezialisierung kann von Austauschbarkeit immer weniger die Rede sein. Die Tendenz zur Spezialisierung sehe ich auch in anderen Branchen und diese wird – gepaart mit der demographischen Entwicklung – einen allgegenwärtigen Mangel an Experten zur Folge haben. Die IT-Branche ist also insofern Vorreiter, als dass dieser Mangel schon seit Jahren herrscht und die Art der Führung insbesondere in Projekten bereits stark beeinflußt hat.
Micromanagement? Chancenlos!
Das zweite Paradigma im Management von Industriearbeitern war deren prinzipielle Unfähigkeit die Arbeitsprozesse optimal zu gestalten; dazu brauchte es einen „Gebildeteren“ wie es Frederick Winslow Taylor ausdrückte. Eines weiß ich aus dem Management von IT-Projekten ganz sicher: meinen Mitarbeitern kann ich definitiv nicht erklären, wie sie ihre Arbeit ausführen sollen. Als Projektmanager ist es meine Aufgabe eine Vision zu vermitteln: Wo wollen wir hin und warum ist das sinnvoll. Und Rahmenbedingungen zur Selbstorganisation schaffen. Ich glaube, dass wir in der IT weiter sind als anderswo, weil sich das Expertenwissen schneller als in anderen Branchen weiterentwickelt. Selbst wenn ich vor einigen Jahren in der Lage gewesen sein sollte, mit einigen der Experten die Details auf Augenhöhe zu diskutieren, bin ich es heute nicht mehr. Und aufgrund der hohen Spezialisierung war ich es ohnehin maximal für einen kleinen Teil des Teams. Es geht sehr wohl und es geht sehr viel besser „ohne die Hilfe eines Gebildeteren”. Agile Vorgehensweisen wie Scrum, die das Team und die Selbstorganisation in den Vordergrund rücken, gewinnen immer mehr an Bedeutung und verlassen zunehmend die Domäne der Softwareentwicklung.
Der Wissensarbeiter: unabhängiger Kapitalgeber
Eine Folge von dem extremen Mangel an Fachkräften ist, dass sich die Wissensarbeiter ihres Kapitals und damit ihrer starken Position als gleichberechtigter Kapitalgeber immer mehr bewusst werden. Hinzu kommt, dass es in der IT-Branche keiner großen Organisation bedarf, um die eigene Arbeitskraft wirksam einzusetzen: Im Prinzip kann jeder mit einem Rechner und Internetanschluss von fast überall aus mitarbeiten. Hier stimmt definitiv der Satz von Peter Drucker, dass das Unternehmen die Wissensarbeiter mehr braucht als umgekehrt. Diese Entwicklung wird – getrieben von kollaborativen Ansätzen des Web 2.0 – auch die Wissensarbeiter in anderen Branchen zunehmend unabhängiger machen.
The management of knowledge workers should be based on the assumption that the corporation needs them more than they need the corporation. (…) They have both mobility and self-confidence. This means they have to be treated and managed as volunteers. (Peter F. Drucker, Management Rev Ed. S. 56)
Freiwillig und sinnvoll
Es bleibt mir keine Wahl: In IT-Projekten tue ich heute schon gut daran, die Mitarbeiter wie „Ehrenamtliche“ zu betrachten und zu behandeln: Sinn statt Befehl, Vertrauen statt Kontrolle und Selbstorganisation statt Hierarchien. Dieser scheinbare Kontrollverlust verunsichert viele: wie kann das funktionieren? Auch darauf hat die IT-Branche schon längst Antworten gegeben. Der selbstorganisierte Zusammenschluss von Freiwilligen die durch ein starkes gemeinsames Ziel geleitet werden hat in unzähligen Open-Source Projekten unvorstellbare Werte geschaffen: für so ziemlich jede Anwendung gibt es eine freie Alternative, die in manchen Bereichen sogar alle Konkurrenten in den Schatten stellt, wie beispielsweise Apache als Webserver. Diese Motivation freiwillig und unentgeltlich an einer größeren, sinnvollen Sache mitzuwirken, ist aber schon lange nicht mehr auf die IT-Branche beschränkt: wir verdanken ihr grandiose Ergebnisse wie Wikipedia. Diese Motivation von Menschen, freiwillig an einer sinnvollen Aufgabe, die ihre persönlichen Fähigkeiten herausfordert und fördert, ist universell; sie in der Führung von Wissensarbeitern zu nutzen ist der entscheidende Erfolgsfaktor.
Bildnachweis
Das Artikelbild wurde von Steve Jurvetson unter dem Titel „The Meaning of Life“ auf Flickr veröffentlicht (Bestimmte Rechte vorbehalten).