Wider den Heilsversprechen im Projektmanagement

Die ein­zig rich­ti­ge Pro­jekt­ma­nage­ment-Metho­dik gibt es nicht und kann es auch nicht geben. Jedes Pro­jekt ist in sei­ner jewei­li­gen Kon­stel­la­ti­on ein­zig­ar­tig. Die dar­an betei­lig­ten oder davon betrof­fe­nen Men­schen sind ein­zig­ar­tig. Daher ver­die­nen es Pro­jek­te und ihre Men­schen auch genau so geführt zu wer­den: ein­zig­ar­tig. Mei­ne Abnei­gung gegen Heils­ver­spre­chen, Wun­der­mit­tel und jede Form von grob ver­ein­fa­chen­den Patent­re­zep­ten ist ein wich­ti­ger Teil mei­ner Pro­jekt­ma­nage­ment-Phi­lo­so­phie: Ich füh­re mei­ne Pro­jek­te pas­send statt standardisiert.

Die Sehn­sucht nach Patent­re­zep­ten im Pro­jekt­ma­nage­ment ist heu­te grö­ßer denn je. Sie wächst in glei­chem Maße wie die pro­jekt­ba­sier­te Arbeit zunimmt und sowohl die Kom­pli­ziert­heit als auch die Kom­ple­xi­tät (zur Unter­schei­dung sie­he Das Plan­ba­re vom Unplan­ba­ren unter­schei­den) der Pro­jek­te steigt. Viel­leicht ist die­se Sehn­sucht auch ein­fach ganz guter Maß­stab für den Grad an Unsi­cher­heit und Dyna­mik unse­rer Zeit in der es »nor­mal ist, dass vie­les anders ist und immer schnel­ler anders wird« (Karl-Heinz Geißler)

Man muß die Din­ge so ein­fach wie mög­lich machen. Aber nicht einfacher.
Albert Ein­stein

In sei­ner Ori­en­tie­rungs­lo­sig­keit sehnt sich der Mensch nach fes­ten Bezug­punk­ten und Ord­nungs­mus­tern. So ent­ste­hen Stan­dards, Pro­zes­se, Metho­den und ent­spre­chen­de Soft­ware­werk­zeu­ge zur Unter­stüt­zung. Jeweils mit dem Garan­tie­ver­spre­chen, dass die rich­ti­ge Anwen­dung der­sel­ben den gewünsch­ten Pro­jekt­er­folg nach sich zieht. Neben­bei bemerkt ste­hen die Soft­ware­werk­zeu­ge ganz bewusst am Ende die­ser Auf­zäh­lung. Tat­säch­lich wird in der Pra­xis aber fahr­läs­sig ver­ein­fa­chend nur das Werk­zeug ein­ge­führt ohne den metho­di­schen Unter­bau, was garan­tiert schief geht.

The nice thing about stan­dards is that the­re are so many of them to choo­se from.
Andrew S. Tanenbaum

Mein Pro­blem sind nicht die Stan­dards, Pro­zes­se, Metho­den und Soft­ware an sich, son­dern deren blin­de Anwen­dung, die gleich machen will, was nicht gleich ist. Das schö­ne an den Stan­dards ist ja, dass man unter so vie­len wäh­len kann. Zwar bezog sich die­ses Zitat von Andrew Tanen­baum eher auf IT-Stan­dards und Pro­to­kol­le, passt aber sehr gut auch auf das Projektmanagement.

Kein Stan­dard und kein Vor­ge­hens­mo­dell passt hun­dert­pro­zen­tig auf die jewei­li­ge Situa­ti­on, auch wenn deren Evan­ge­lis­ten ger­ne das Gegen­teil behaup­ten. Den­noch hat jeder Stan­dard und jedes Vor­ge­hens­mo­dell ein­zel­ne Aspek­te, Metho­den und Ansät­ze, die in der jewei­li­gen Situa­ti­on hilf­reich und ange­mes­sen sind. Mei­ne Auf­ga­be und Ver­ant­wor­tung als pro­fes­sio­nel­ler Pro­jekt­ma­na­ger ist es also mög­lichst vie­le Stan­dards, Vor­ge­hens­wei­sen, Pro­zes­se, Metho­den und Werk­zeu­ge zu ken­nen und anwen­den zu kön­nen. Die Kunst ist es zur rich­ti­gen Zeit die rich­ti­gen aus­zu­wäh­len. Und die­se Kunst lernt man nur durch eige­ne Erfahrung.

Foto: Das Arti­kel­bild wur­de von Ed Schipul unter dem Titel „sil­ver bul­let“ auf Flickr unter einer Crea­ti­ve Com­mons CC BY-SA 2.0 Lizenz veröffentlicht.



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4 Kommentare

Wolfgang Ksoll 10. Oktober 2013 Antworten

Als der Andrew S. Tanen­baum sein Buch „Com­pu­ter Net­works“ schrieb, aus dem das obi­ge Zitat stammt, erklär­te er uns an dem Stan­dard ISO-OSI Refe­renz­mo­dell zahl­rei­che Netz­werk­stan­dards (für Netz­wer­ke wie SNA, Inter­net, USENET, MAP, TOP). Das war ein Schluck aus der Pul­le, sich durch die gan­zen Stan­dards durch zuwüh­len. Was ist dar­aus über geblie­ben? TCP/IP wie im Inter­net: Damit kochen wir heu­te selbst Kaf­fee. Der Vor­teil ist, dass man durch Nut­zung der Stan­dards sich auf Anwen­dun­gen kon­zen­trie­ren kann und nicht Zeit und Geld für zahl­rei­che Stan­dards ver­bal­lert (Für File­ser­vice Novell, für Ter­mi­nal SNA, für WWW TCP/IP usw.).
Es kann schon sein, dass für ein bestimm­tes Pro­blem X opti­mal ist, für ein ande­res Y. Wenn man aber vie­le Pro­jek­te macht, kann man schon dar­über nach­den­ken, nicht für jedes das Rad neu zu erfinden.
Genau­so schwie­rig wie „One size fits all“ ist der Ansatz, ich brau­che für jedes Pro­jekt einen krea­ti­ven neu­en Ansatz, weil alles so super­in­di­vi­du­ell ist. Da wo wie­der­keh­ren­de Mus­ter sind, kann man schon stan­dar­di­sie­ren und Stan­dards auch anpas­sen. Dahin­ter könn­te auch ste­cken, dass man nicht com­pli­ant arbei­ten kann oder will :-)
In dem Satz von Tanen­baum steckt ja auch drin, dass eine Stan­dard­wahl erfol­gen soll. Sonst hät­te er ja gesagt: „The nice thing about stan­dards is that you have to choo­se from or not“. (Auf Sei­te 254 in Com­pu­ter Net­works 2nd Edi­ti­on im Abschnitt über SDLC von SNA, HDLC von ISO und LAPB bei X.25) Niklas Luh­mann hät­te das so formuliert :-)
Das ist eher wie mit Cha­os und Ord­nung. Rei­nes Cha­os ist uner­träg­lich, rei­ne Ord­nung erstickt das Leben in Starr­heit. Dazwi­schen gibt es Wirk­punk­te mit opti­ma­lem Nutzen.

Marcus Raitner 10. Oktober 2013 Antworten

Dan­ke für die­sen Kom­men­tar! Natür­lich ist auch das ande­re extrem der hand­ge­fer­tig­ten super­in­di­vi­du­el­len Vor­ge­hens­wei­sen, wo das Rad immer neu erfun­den wird, genau­so Unfug. Es gibt defi­ni­tiv wie­der­keh­ren­de Pro­blem­si­tua­tio­nen und gut funk­tio­nie­ren­de Lösun­gen dafür. Mal eher klas­si­sche Lösun­gen und Mal eher agi­le oder viel­leicht unkon­ven­tio­nel­le aus dem indi­vi­du­el­len Werk­zeug­kas­ten. Auf ein­zel­ne Situa­tio­nen ange­wen­det, sehe ich das auch so, aber eben nicht auf das Pro­jekt in sei­ner Gesamt­heit. Es geht um das rich­ti­ge Maß: 

Das ist eher wie mit Cha­os und Ord­nung. Rei­nes Cha­os ist uner­träg­lich, rei­ne Ord­nung erstickt das Leben in Starr­heit. Dazwi­schen gibt es Wirk­punk­te mit opti­ma­lem Nutzen.

Jens von Gersdorff 12. Oktober 2013 Antworten

Moin,
Was Du da ansprichst ist genau das, was in den Metho­dik­wer­ken oft auch so steht und ger­ne über­le­sen wird: Jede Metho­dik muss auf die spe­zi­fi­schen Eigen­hei­ten des Pro­jekts, der Orga­ni­sa­ti­on und der Umge­bung ange­passt wer­den. Aber oft wird nur ver­such blind eine Metho­de überzustülpen.
Die Auf­ga­be eines PM liegt in die­ser Anpas­sung und ste­ter Neu­jus­tie­rung. Die bedarf krea­ti­ver Skills. Damit sind dann aber „Metho­den­freaks“ über­las­tet, die mei­nen, dass sie durch das Ler­nen von Metho­di­ken dem Cha­os ent­ge­hen kön­nen. Nicht die Kennt­nis einer Metho­de ist die Lösung, son­dern deren Begrei­fen und ange­pass­ten, ziel­ge­rich­te­ten Anwen­dung. Eine Metho­dik gibt Unter­stüt­zung, ist aber nicht die Lösung.
Daher gibt es kein Heils­ver­spre­chen… es gibt nur Men­schen, die hier eines vermuten!
CU
Jens

Marcus Raitner 13. Oktober 2013 Antworten

Dan­ke Jens für Dei­ne Zustim­mung. Genau dar­um geht es mir: Jede Metho­dik muss spe­zi­fisch ange­passt wer­den. Und lei­der gibt es Men­schen die all­zu ger­ne an Heils­ver­spre­chen glau­ben wollen.

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