Neulich erreichte mich in Zusammenhang mit einer Einladung zu einer eintägigen Veranstaltung der Hinweis, man solle am besten für diesen Tag eine Abwesenheitsnotiz aktivieren. Nun frage ich mich zweierlei: ist es erstens wirklich ein Problem, wenn E‑Mails nicht innerhalb von 24 Stunden beantwortet werden und ist der Hinweis zweitens heute wirklich notwendig, damit ungeteilte Aufmerksamkeit herrscht während der Veranstaltung.
Seit etwa 20 Jahren nutze ich nun E‑Mail. Auch meine Erwartungshaltung an die Antwortzeit für eine E‑Mail hat sich deutlich verändert. War zu Beginn noch das Brieftempo der Maßstab und alles schnellere ein deutlicher Fortschritt. Insofern waren einige Tage bis zur Antwort noch völlig im Rahmen; wir kannten ja nichts schnelleres. Mittlerweile muss ich gestehen, dass ich in der Regel noch am selben Tag antworte und das auch von anderen erwarte. Der Takt ist definitiv schneller geworden.
Teilweise erlebe ich aber noch deutlich stärkere Beschleunigung. Antwortet man nicht innerhalb weniger Stunden, läutet auch schon das Telefon mit der dezenten Nachfrage, ob man die E‑Mail denn schon gesehen hätte. Und falls man den Anruf nicht entgegennehmen kann, darf man vor dem Beantworten der E‑Mails noch eine halbe Stunde die Mailbox abhören. Willkommen im Kommunikationswahnsinn des 21. Jahrhundert.
Es gibt wichtigeres im Leben, als beständig dessen Geschwindigkeit zu erhöhen.
Mahatma Gandhi
E‑Mail gilt vielen aber schon als veraltet und langsam, so wie die Briefpost vor 20 Jahren. Den Takt gibt mittlerweile Instant Massaging wie Whatsapp & Co. vor. Hier reden wir von Antwortzeiten im Minutenbereich, „Instant“ eben. Antwortzeiten jenseits einer halben Stunde grenzen für viele an Folter durch Aufmerksamkeitsentzug. Ein wenig ähnelt das Ganze den Tamagotchis in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre, nur dass wir keine virtuellen Haustiere versorgen, sondern uns gegenseitig mit oberflächlicher Aufmerksamkeit.
Mittlerweile ist es völlig normal, während einer Besprechung E‑Mails zu schreiben. Manchmal habe ich das Gefühl, dass manch einer nur deshalb an der Besprechung teilnimmt. Auch vor der Annahme von Anrufen während einer Besprechung wird kaum mehr zurückgeschreckt. Meistens nur, um dem Anrufenden mitzuteilen, man könne jetzt nicht reden, weil man in einer Besprechung sei und rufe alsbald zurück. Welchen Mehrwert diese Aussage für den Anrufenden darstellen soll ist mir schleierhaft. Möglicherweise geht es aber ohnehin nur darum, eine Aura der Wichtigkeit zu erzeugen und die Besprechung ist dafür nur die Bühne: „Seht her, ich werde viel angerufen und muss pausenlos E‑Mails beantworten, also muss ich wichtig sein!“
Multitasking heißt, viele Dinge auf einmal zu vermasseln.
Erwin Koch
Die gefühlte Effizienz dieses Multitaskings ist zudem ein fataler Trugschluss. Es gibt es kein echtes Multitasking sondern nur schnelle Kontextwechsel. Diese ermüden das Gehirn übermäßig und reduzieren die Leistungsfähigkeit erheblich. Dadurch entstehen ganz banale Fehler, die zu noch mehr Anrufen, E‑Mails, Besprechungen und letztlich noch mehr Multitasking und Hektik führen.
Der Beschleunigung mit Mutltitasking Abhilfe zu schaffen ist also nicht Teil der Lösung, sondern ein nicht unwesentlicher Teil des Problems. Letztlich ist es eine Frage der Unternehmenskultur oder im kleineren der Projektkultur. In meinem Einflussbereich versuche ich, diese Kultur zu gestalten, insbesondere durch mein eigenes Handeln. An Besprechungen nehme ich teil, wenn es sinnvoll ist, dann aber richtig und ohne Anrufe und E‑Mails. Wenn ich E‑Mails schreibe, schreibe ich E‑Mails. Kurz und aussagekräftig. Antworten erwarte ich nicht sofort und frage erst frühestens nach 24 Stunden nach. Und nicht zuletzt: Mein Terminkalender ist nicht voll mit Besprechungen.
Ein Schüler fragte einmal seinen Meister, warum dieser immer so ruhig und gelassen sein könne.
Der Meister antwortete:
“Wenn ich sitze, dann sitze ich. Wenn ich stehe, dann stehe ich. Wenn ich gehe, dann gehe ich. Wenn ich esse, dann esse ich.”
Der Schüler fiel dem Meister in Wort und sagte:
“Aber das tue ich auch! Was machst Du darüber hinaus?”
Der Meister blieb ganz ruhig und wiederholte wie zuvor:
“Wenn ich sitze, dann sitze ich. Wenn ich stehe, dann stehe ich. Wenn ich gehe, dann gehe ich…”
Wieder sagte der Schüler: “Aber das tue ich doch auch!”
“Nein”, sagte da der Meister. “Wenn Du sitzt,
dann stehst Du schon.
Wenn Du stehst, dann gehst Du schon.
Wenn Du gehst, dann bist Du schon am Ziel.”
Aus dem Zen-Buddhismus
6 Kommentare
Hi Marcus,
Du triffst mal wieder den Punkt.
Den von Dir am Beginn erwähnten Hinweis finde ich lächerlich. Gehört in die Kategorie „gut gemeint“ aber „sehr schlecht gemacht“.
Dieser Hinweis spricht auch dafür, dass das ziemlich ahnungslose Menschen sind, von denen er kommt.
Was hilft es zum Beispiel, wenn ich meine E‑Mail abschalte aber alle anderen social-media-Aktivitäten an lasse? Oder in den Pausen beliebig telefoniere?
Insofern verkommt der Hinweis zur halbherzigen Wichtigtuerei. Man will ja nur das Beste …
Eine klare Ansage, während des kompletten Seminars sich von nichts abzulenken zu lassen und zu 100 % auf das Seminar zu konzentrieren, hätte ich akzeptiert.
Dies aber auch nur dann, wenn das Seminar so „outstanding“ gewesen wäre, dass es meine volle Konzentration und ausschließlichen Einsatz erfordert hätte.
Diese sind aber heute selten geworden, die meisten Seminare sind – leider – langweiliges Mittelmaß und erlauben es, beliebig viel nebenher zu machen.
Vielen Dank für Deinen Kommentar, lieber Roland. Leider sind viele Seminare und noch weniger Besprechungen so, dass man 100% bei der Sache bleiben möchte. Aber das ist ein anderes Thema.
Eben immer besser sein, als der Fernseher/ iPad/ Smartphone.…
Ich schätze ja das kreative Potential der Langeweile, aber das in Tagungen einzubauen ist schon eine Herausforderung
„Das kreative Potential der Langeweile“ ist ein sehr interessanter Gedanke. Langeweile haben die meisten von uns zuletzt irgendwann in der Kindheit verspürt, beispielsweise während der unglaublich langen sechs Wochen Sommerferien. Und ja, wir wurden dabei dann sehr kreativ; meist zum Leidwesen unserer Eltern.
“Das kreative Potential der Langeweile” ist in der Tat ein spannendes Konzept.
Durchaus nachvollziehbar, aber die Umsetzung erfordert einiges an Hartnäckigkeit und Schlagfertigkeit.
Ich könnte mir vorstellen, daß sich die Viele (vor allem Angestellte) die Frage gefallen lassen müssen, ob sie „nichts zu tun“ hätten.
Habt Ihr ein Erfolgsrezept, was man in dem Fall antwortet?
Was sich übrigens allgemein durchaus sehr nachhaltig bewährt hat ist, alle Benachrichtigungen (Lotus Notes, Telefon, Handy etc.) abzustellen, zumindest wenn man die Ruhe braucht.
Bei direkten Gesprächen, bei denen ich mich konzentrieren möchte, sperre ich den Computer auch schon mal schnell mit Win+L. Das hebelt auch die Versuchung aus, doch wieder in den E‑Mails herumzusuchen. :o)
Und in Besprechungen lasse ich den PC im Büro und oft auch das Handy. Die Versuchung und damit die Ablenkung sind einfach zu stark für mich…
Danke, Thilo für Deinen Kommentar. Tatsächlich sind die vielen Benachrichtigungen immer das erste was ich weitestgehend abstelle, ganz besonders das nervige Outlook-E-Mail Popup.
Zu Deiner ersten Frage: Ja, mit vollen Terminkalender ist es natürlich viel einfacher hohe Produktivität vorzugaukeln. Und ja, dieses Verhalten wird in manchen Organisationen belohnt, bzw. in Deinem genannten Sinne bestraft („hat wohl zu wenig zu tun“). Nur ist das eben in der Wissensarbeit nicht so einfach, wie am Montageband. Organisationen die diesen Unterschied nicht verstehen, wird auch der einzelnen nicht so schnell bekehren; das ist dann zu tief in der Kultur verankert.