Selbstorganisation: Wissensarbeiter artgerecht halten

Albert Ein­steins Ant­wort auf die sto­chas­ti­sche Theo­rie der Quan­ten­mech­nik lässt sich auf das Bon­mot „Gott wür­felt nicht!“ ver­dich­ten. Ob unse­re Welt nun Ergeb­nis eines (fort­wäh­ren­den) Schaf­fungs- und Gestal­tungs­pro­zes­ses oder Ergeb­nis von Evo­lu­ti­on ist, dar­über lässt sich frei­lich treff­lich strei­ten. Viel­leicht beschränk­te sich Gott ja im der Akt der Schöp­fung auch ein­fach auf die Gestal­tung der Evo­lu­ti­ons­pro­zes­se. In unse­ren Unter­neh­men wird jeden­falls nicht gewür­felt. Viel­mehr sind die­se in den aller­meis­ten Fäl­len das kläg­li­che Ergeb­nis des fort­wäh­ren­den Ver­suchs einer bewuss­ten Gestal­tung im Gott­mo­dus. Unse­re Orga­ni­sa­tio­nen ähneln Pyra­mi­den und sind auch geau­so wen­dig. Die­se Starr­heit ist lebens­be­droh­lich für die Unter­neh­men und wenig art­ge­recht für die heu­ti­gen Wissensarbeiter.

In a forest, the­re is no mas­ter tree that plans and dic­ta­tes chan­ge when rain fails to fall or when the spring comes ear­ly. The who­le eco­sys­tem reacts crea­tively, in the moment.
Fre­de­ric Laloux

Das fas­zi­nie­ren­de an Selbst­or­ga­ni­sa­ti­on ist, dass Ord­nung in einem Sys­tem ent­ste­hen kann ohne dass die­se zen­tral geplant und gestal­tet wird. Obwohl uns sol­che selbst­or­ga­ni­sie­ren­den Sys­te­me täg­lich umge­ben, haben wir unse­re Unter­neh­men ganz anders auf­ge­baut. Gary Hamel präg­te dafür den Begriff der „Krea­ti­vi­täts­apart­heid“: eine rela­tiv klei­ne Kas­te von Mana­gern darf gestal­ten wie der Rest arbei­ten soll. Sol­che Sys­te­me sind aber prin­zi­pi­ell beschränkt in ihrer Krea­ti­vi­tät und Anpas­sungs­fä­hig­keit. In den trä­gen und lan­ge Zeit unge­stät­tig­ten Märk­ten des Indus­trie­zeit­al­ters war die­se Starr­heit der Orga­ni­sa­ti­on ein ver­nach­läs­sig­ba­res Pro­blem. Viel wich­ti­ger waren sta­bi­le Pro­zes­se und Effi­zi­enz in der Pro­duk­ti­on. Ins­be­son­de­re weil die meis­ten Arbei­ter schlecht oder gar nicht aus­ge­bil­det waren.

Im Über­gang in das Zeit­al­ter der Wis­sens­ar­beit ist aber alles anders und wird immer schnel­ler anders. Die Märk­te sind glo­bal, in Echt­zeit ver­netzt und wett­be­werbs­in­ten­siv. Die Arbei­ter und ins­be­son­de­re die Wis­sens­ar­bei­ter sind hoch­spe­zia­li­sier­te Exper­ten. Geblie­ben ist allein die Struk­tur unse­rer Unter­neh­men. Und das ist jetzt ein Pro­blem. Für die Unter­neh­men, die zu trä­ge für die Märk­te sind. Aber auch für die Mit­ar­bei­ter, die unzu­frie­den sind mit der Beschrän­kung ihrer Fähig­kei­ten und Hand­lungs­spiel­räu­me durch die Kreativitätsapartheid.

It doesn’t make sen­se to hire smart peo­p­le and then tell them what to do; we hire smart peo­p­le so they can tell us what to do.
Ste­ve Jobs

Rein­hard K. Spren­ger kri­ti­siert in sei­nem neu­en Buch „Das anstän­di­ge Unter­neh­men“ (Ama­zon Affi­lia­te-Link) völ­lig zu Recht, dass erwach­se­ne Men­schen in unse­ren Unter­neh­men sys­te­ma­tisch ent­mün­digt und letzt­lich wie Kin­der behan­delt wer­den. Die hier­ar­chi­schen Ent­schei­dungs­struk­tu­ren pas­sen nicht mehr zur Qua­li­fi­ka­ti­on und zum Anspruch der Mit­ar­bei­ter. Und sie sind zu schwer­fäl­lig für die Anfor­de­run­gen der Märk­te. Doch es gibt Alter­na­ti­ven. Fre­de­ric Laloux nennt in sei­nem äußerst lesens­wer­ten Buch „Reinven­ting Orga­niza­ti­ons“ (Ama­zon Affi­lia­te-Link) die Selbst­or­ga­ni­sa­ti­on als das zen­tra­le Prin­zip von Pio­nier-Unter­neh­men des 21. Jahr­hun­derts (neben dem Prin­zip der Ganz­heit­lich­keit und dem sich evo­lu­tio­när ent­wi­ckeln­den Sinn und Zweck).

Ein Bei­spiel eines sol­chen Unter­neh­mens und eine ein­drucks­vol­le Demons­tra­ti­on der Über­le­gen­heit die­ser Orga­ni­sa­ti­ons­form ist Buurtz­org in den Nie­der­lan­den. Die über 8.000 Mit­ar­bei­ter und Mit­ar­bei­te­rin­nen sind in Teams von etwa 10 bis 12 Kran­ken­pfle­ger und Kran­ken­pfle­ge­rin­nen orga­ni­siert, die jeweils in ihrer loka­len Nach­bar­schaft die Ver­sor­gung von Kran­ken zu Hau­se über­neh­men (Buurtz­org bedeu­tet „Nach­bar­schafts­hil­fe“). Die­se Teams han­deln völ­lig auto­nom von der Ein­stel­lung der Mit­ar­bei­ter über die Arbeits­ein­tei­lung und Wei­ter­bil­dung bis hin zum Ein­kauf. Zen­tral­funk­tio­nen (ca. 50 Per­so­nen) beschrän­ken sich auf admi­nis­tra­ti­ve Unter­stüt­zung bei der Abre­chung einer­seits und auf Start­hil­fe und Coa­ching für neue Teams ande­rer­seits. Mana­ger im klas­si­schen Sin­ne kennt Buurtz­org nicht. Die Ergeb­nis­se spre­chen für sich: deut­lich kür­ze­re Gene­sungs­zei­ten, weni­ger Kos­ten und deut­lich zufrie­de­ne­re Mitarbeiter.

You never chan­ge things by fight­ing the exis­ting rea­li­ty. To chan­ge some­thing, build a new model that makes the exis­ting model obsolete.
Richard Buck­mins­ter Fuller



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2 Kommentare

Jens von Gersdorff 26. Januar 2016 Antworten

Dan­ke Marcus!
Aber genau die­ses Pro­blem habe ich auch: Ich mache mei­ne Pro­jekt­teams zu selbst­or­ga­ni­sier­ten Teams. Na gut: Danach bin ich über­flüs­sig und niiur noch im Kon­flikt­fall (meist mit Kun­den oder eige­nen Manage­ment) für das Team da.
Um selbst­or­ga­ni­sier­te Teams zu schaf­fen, ist es aber auch nötig aus sei­ner Chef­eta­ge zu kom­men und sich als Teil des Team zu begrei­fen, wenn auch mit beson­de­ren Auf­ga­ben. Und hier ist der Punkt, den Mana­ger (oft im BWL-Hin­ter­grund) nicht nach­voll­zie­hen kön­nen: Sie betrach­ten ger­ne ihre „Macht“ und daher müs­sen sie die­se auch immer wie­der mal bewei­sen. Egal ob an die­ser Stel­le sinn­voll oder nicht. Es geht dar­um zu zei­gen, dass man da ist und die Power hat.
In der Pro­jekt­ar­beit ist dies oft mehr als stö­rend… es ist kontraproduktiv.
Aller­dings habe ich eines gelernt: Ich schaf­fe in die­sem Ver­hal­ten des Manage­ments ein Zusam­men­ge­hö­rig­keits­ge­fühl im Team. Denn das Team will dem Manage­ment zei­gen, dass es sich nicht ein­zu­mi­schen braucht!
In die­sem Sin­ne hat es einen Vorteil!
jens

Marcus Raitner 28. Januar 2016 Antworten

Dan­ke für Dei­nen Kom­men­tar, Jens. Die Mana­ger haben ihre Macht ja müh­sam erkämpft und kön­nen des­we­gen nicht so ein­fach davon las­sen. Hier­in sehe ich das größ­te Hin­der­nis bei einem Umbau auf Unter­neh­mens­ebe­ne in Rich­tung Selbst­or­ga­ni­sa­ti­on: Die­je­ni­gen die es machen könn­ten, wol­len es nicht – bis es dann zu spät ist. Was uns aber nicht dar­an hin­dern soll­te in Pro­jek­ten trotz­dem so zu arbei­ten und dann auch ger­ne die Ein­mi­schung im Sin­ne eines Zusam­men­ge­hö­rig­keits­ge­fühls zu nut­zen. Gute Idee.

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