Geschichten formen Kultur

Kultur in Orga­ni­sa­tio­nen ist viel mehr und oft etwas ganz ande­res als die Wer­te die irgend­wo an den Wän­den pran­gen und in Hoch­glanz­bro­schü­ren ste­hen. Die Dis­kre­panz muss nicht immer so dras­tisch aus- und auf­fal­len wie bei Enron, wo es trotz der Inte­gri­tät als einen der vier zen­tra­len Wer­te dort zu mas­si­ven Bilanz­fäl­schun­gen und infol­ge­des­sen zu einem der größ­ten Wirt­schafts­skan­da­le in der US-Geschich­te kam. Die ge- und erleb­te Kul­tur, also wie die Din­ge in der Orga­ni­sa­ti­on eben sind und zu sein haben, mani­fes­tiert sich letzt­lich in den erwünsch­ten und uner­wünsch­ten Ver­hal­tens­wei­sen. Und das Trä­ger­me­di­um für die­se Kul­tur sind die Geschich­ten, die sich die Men­schen in der Orga­ni­sa­ti­on erzäh­len. Kul­tur­ver­än­de­rung muss also genau da anset­zen und dafür sor­gen, dass die rich­ti­gen Geschich­ten erzählt werden. 

The cul­tu­re of any orga­niza­ti­on is shaped by the worst beha­vi­or the lea­der is wil­ling to tolerate.
Gruen­ter & Whitaker

Lan­ge bevor die Men­schen das geschrie­be­ne (ca. 2.000 bis 3.000 v. Chr.) und dann das gedruck­te Wort (und dann Power­point …) zum Trans­port von Bot­schaf­ten benut­zen, erzähl­ten sie sich Geschich­ten. Es wird ange­nom­men, dass es die Men­schen etwa 35.000 v. Chr. ihre Sprach­fä­hig­keit voll aus­ge­bil­det hat­ten und die ähn­lich alten Höh­len­ma­le­rei­en von Las­caux deu­ten dar­auf hin, dass sich die Men­schen damals schon Geschich­ten erzähl­ten. Regeln des Zusam­men­le­bens wur­den als Geschich­ten erzählt. Ein Mus­ter, das sich ganz beson­ders in den Welt­re­li­gio­nen wie­der­fin­det, etwa in Form von Gleich­nis­sen und Geschich­ten in der Bibel oder den unzäh­li­gen Anek­do­ten des Bud­dhis­mus. Ein schö­nes Bei­spiel einer sol­chen Anek­do­te ist die fol­gen­de, die zeigt, dass Car­go-Kult, also Nach­ah­mung ohne die Essenz zu begrei­fen, schon immer ein Pro­blem war. 

Der Schü­ler übt in sei­ner Frei­zeit Zazen; fragt der Meis­ter: „Was machst Du da?“
„Ich übe Sit­zen, um ein Bud­dha zu werden…“
Der Meis­ter nimmt einen Zie­gel von der Mau­er und beginnt, ihn zu polie­ren. Fragt der Schü­ler: „Was macht Ihr da?“
„Ich polie­re den Zie­gel, um einen Spie­gel dar­aus zu machen…“
Der Schü­ler sagt ver­dutzt: „Wie könn­te durch Polie­ren aus dem Zie­gel ein Spie­gel werden?“
Der Meis­ter lächelt: „Wie könn­te durch Sit­zen ein Bud­dha werden?“
Bud­dhis­ti­sche Anekdote

Die Kul­tur in Orga­ni­sa­tio­nen wird maß­geb­lich durch die Geschich­ten geprägt, die sich die Men­schen erzäh­len. Es sind die­se unzäh­li­gen beim Kaf­fee oder Mit­tag­essen aus­ge­spro­che­nen „Hast du schon gehört, dass …“ mit dem auch immer trans­por­tiert wird, was in die­ser Orga­ni­sa­ti­on wert­ge­schätzt wur­de oder eben nicht wert­ge­schätzt wur­de, weil jemand Aner­ken­nung bekam, gelobt, beför­dert, etc. wur­de oder eben nicht. Die­se Geschich­ten weben die kul­tu­rel­le DNA der Orga­ni­sa­ti­on. Sie bil­den einen Reso­nanz­raum für die vie­len kul­tur­be­stim­men­den Inter­ak­tio­nen der Indi­vi­du­en. Wer Kul­tur gestal­ten will, soll­te sich die­ses Medi­um zu Nut­ze machen und dafür sor­gen, dass die rich­ti­gen Geschich­ten auf Reso­nanz sto­ßen und erzählt wer­den. Frei­lich nicht rea­li­täts­fern son­dern mit den Ereig­nis­sen in der Orga­ni­sa­ti­on begin­nend. Posi­ti­ve Ereig­nis­se im Sin­ne der ange­streb­ten Kul­tur müs­sen also ent­spre­chen­de und kohä­ren­te Reak­ti­on erfahren. 

Wenn jemand über sein eigent­li­ches Auf­ga­ben­ge­biet hin­aus Ver­ant­wor­tung über­nimmt und die Abläu­fe in der Orga­ni­sa­ti­on zum Bes­se­ren ver­än­dert, kann das einer­seits als posi­ti­ves Bei­spiel für den Wert der Ver­ant­wor­tung hono­riert wer­den oder ande­rer­seits als Ein­mi­schung in frem­de Ange­le­gen­hei­ten zurück­ge­wie­sen wer­den. Ent­spre­chend wird die Geschich­te aus­fal­len, die sich die Men­schen dann erzäh­len wer­den. Wenn jemand mit hel­den­haf­tem Nacht­ein­satz die Orga­ni­sa­ti­on vor Scha­den bewahrt, soll­te das hono­riert wer­den. Noch mehr aber soll­te der hono­riert wer­den, der an ande­rer Stel­le Pro­zes­se so gestal­tet, dass gar kei­ne Hel­den benö­tigt wer­den. Mit sol­che Reak­tio­nen der Wert­schät­zung auf erwünsch­tes Ver­hal­ten begin­nen die Geschich­ten, die die Kul­tur formen. 

You don’t crea­te a cul­tu­re. Cul­tu­re hap­pens. It’s the by-pro­duct of con­sis­tent beha­vi­or. If you encou­ra­ge peo­p­le to share, and you give them the free­dom to share, then sha­ring will be built into your cul­tu­re. If you reward trust then trust will be built into your culture.
Jason Fried

Ver­hin­dern lässt sich die Ver­brei­tung sol­cher Geschich­ten ohne­hin nicht, man kann sie aber gezielt ver­stär­ken indem man wich­ti­gen Geschich­ten Prä­senz ver­leiht. In einem Enter­pri­se Social Net­work zum Bei­spiel oder einer Kudo-Wand, an der öffent­lich Wert­schät­zung gezeigt wer­den kann. Oder in Form von Kul­tur­hand­bü­chern wie The litt­le book of IDEO oder dem Zap­pos Cul­tu­re Book.

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Von Marcus Raitner

Hi, ich bin Marcus. Ich bin der festen Überzeugung, dass Elefanten tanzen können. Daher begleite ich Organisationen auf ihrem Weg zu mehr Agilität. Über die Themen Führung, Digitalisierung, Neue Arbeit, Agilität und vieles mehr schreibe ich seit 2010 in diesem Blog. Mehr über mich.

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