Selbstorganisation ist ein wesentliches Merkmal von Agilität. In den Prinzipen hinter dem agilen Manifest heißt es dazu: „Die besten Architekturen, Anforderungen und Entwürfe entstehen durch selbstorganisierte Teams.“ Was aber ist diese Selbstorganisation genau und wie erreicht oder fördert man sie? Lassen wir jetzt einfach die Chefs weg?
Autonomie ist ein wesentlicher Motivationsfaktor. So frei wie möglich nicht nur über Arbeitsinhalte sondern eben auch über die Arbeitsweise entscheiden zu dürfen, wirkt nachweislich positiv auf die Motivation und das Engagement von Menschen. Die gerade wieder veröffentlichten Ergebnissen des Gallup Engagement Index für 2016, wonach 70% der Mitarbeiter in Deutschland „nur“ Dienst nach Vorschrift machen und 15% schon innerlich gekündigt haben, sollten Grund genug sein, sich über die Motivation von Menschen und demotivierende Strukturen und Organisationen Gedanken zu machen.
Die hohe funktionale Teilung in der Mehrzahl der heutigen immer noch sehr tayloristischen Organisationen führt zu einer Vielzahl von kleinteiligen Prozessen und reduziert Menschen auf Rollen in diesen Prozessen. Dienst nach Vorschrift ist in dieser Logik der organisierten Verantwortungslosigkeit gar nicht so negativ zu verstehen wie es normalerweise klingt und gemeint ist, sondern schlicht das gewünschte Verhalten.
Selbstorganisation ist der Gegenentwurf zur organisatorischen Entfremdung der Menschen von der Wertschöpfung.
Selbstorganisation ist der Gegenentwurf zu dieser organisatorischen Entfremdung der Menschen von der Wertschöpfung. Prozesse und Standards wird es auch selbstorganisiert geben und brauchen, aber eben in der Verantwortung derer, die sie täglich leben müssen. Autonomie braucht Führung im Sinne von Orientierung und Leitlinien, die entscheidende Frage ist aber, wie diese Orientierung, diese Leitlinien, wie Prozesse und Standards entstehen und sich verändern. Im klassischen tayloristischen Denken sorgen Manager, Gremien und Stellen für diese Vorgaben und die übrigen Mitarbeiter müssen sich danach richten. Der entscheidende Unterschied bei Selbstorganisation, dass die Verantwortung für die Arbeitsweise bei den Betroffenen liegt. Prozesse und Standards entstehen emergent und verändern sich laufend durch Variationen und Experimente und einen offenen und großzügigen Austausch darüber.
An empowered organization is one in which individuals have the knowledge, skill, desire, and opportunity to personally succeed in a way that leads to collective organizational success.
Steven R. Covey
Selbstorganisation heißt nicht, dass jeder machen kann was er will, es keine Regeln, Prozesse oder Standards gibt. Die gibt es und die braucht es, damit Autonomie nicht im Chaos endet. Was es aber nicht braucht, sind Chefs, die ganz tayloristisch diese Vorgaben machen. Die können wir tatsächlich weglassen. Die Aufgabe der Führungskräfte lautet vielmehr Führung zur Selbstführung oder mit den Worten von Sundar Pichai, dem CEO von Google: „Führung heißt, andere erfolgreich zu machen.“
4 Kommentare
Ich habe einmal einen interessanten Artikel über „Neues Management“ gelesen, in dem erläutert wurde, dass die wertvollste Aufgabe einer Führungskraft sei, diejenigen Hindernisse beiseite zu räumen, die die eigenen Mitarbeiter daran hindern, die eigenen Kompetenzen und Kapazitäten bestmöglich zur Entfaltung zu bringen. Ich denke, mehr „Führung“ braucht es nicht.
Wenn man tatsächlich Menschen vorfindet, denen man täglichen sagen muss, wo sie hinlaufen müssen, sollte man sich ernsthaft fragen, was man bei der Einstellung eben jener falsch gemacht hat.
Danke für die Ergänzung. Vielleicht hat man ja noch nicht mal bei der Einstellung etwas falsch gemacht, denn das würde den „Fehler“ ja letztendlich wieder den Menschen zuschieben, die eben so sind. Vielleicht liegt das Problem aber eher in der Organisation, die Menschen so werden lässt? Ich orientiere mich da gern an Goethe (vgl. auch Führung heißt, andere erfolgreich zu machen):
Vielen Dank für den Beitrag, der Selbstorganisation gut auf den Punkt bringt. Nur mit dem Zitat von Goethe tue ich mir schwer. Wie „sollte“ denn ein Mensch/Mitarbeiter sein? Wer legt das Fest? Die Führungskraft, der Kollege? Bin ich nicht dann bei einem (bestenfalls gut gemeinten) Manipulieren? Wäre eine Haltung nicht besser, die ausstrahlt: die, die da sind, sind genau die Richtigen? Wenn es dann Probleme gibt, gibt es mit Sicherheit Lösungen, die mit genau diesen Menschen, so wie sie sind, umsetzbar sind. Man muss sich nur die Mühe machen erst einmal verstehen zu wollen, warum es so wie es gerade läuft sinnvoll ist.
Interessant! Das Zitat hatte ich ganz anders verstanden und gemeint: Wir sollten das für diesen Menschen bestmögliche annehmen und sehen. Quasi ein Vertrauensvorschuss in das Potential, aber natürlich ohne zu manipulieren.