Wer kennt das nicht? Der Büroalltag, eine Aneinanderreihung von nicht enden wollenden Besprechungen, Runden und Kreisen, die besser eine E‑Mail geworden wären. Oder um es frei nach Rainer Maria Rilke zu sagen: Sein Blick ist vom Vorübergehn der Folien so müd geworden, daß er nichts mehr hält. Ihm war es als ob es tausend Besprechungen gäbe und hinter tausend Besprechungen kein Ziel. Das ist eben so und ist überall so. Vielleicht gibt es für diese alltägliche Sabotage der Produktivität aber auch eine ganz andere Erklärung aus den letzten Jahren des zweiten Weltkrieg. Aber Achtung: Ein Teil der Antworten dürfte die Bevölkerung verunsichern.
Im Simple Sabotage Field Manual beschreibt das Office of Strategic Services, die Vorgängerorganisation des amerikanischen Auslandsgeheimdiensts CIA, die Kunst der einfachen Sabotage. Das Handbuch erschien im Jahre 1944, als die Alliierten im zweiten Weltkrieg langsam die Oberhand gewonnen, aber immer noch mit massiven Widerständen zu kämpfen hatten. Es richtete sich an Kollaborateure und Sympathisanten in den Reihen der Achsenmächte, denen es Praktiken und Taktiken an die Hand gab, um die Produktivität und die Moral systematisch zu untergraben, um damit das System von innen heraus zu schwächen.
Lange Zeit war dieses Handbuch als geheim eingestuft und wurde erst im Jahre 2008 als historisches Dokument vom CIA veröffentlicht. Neben im Detail beschriebenen Lausbubenstreichen bis hin zu handfesten Straftaten enthält es auch erstaunlich zeitlose „Tipps“ für die Untergrabung der Moral und der Produktivität in Organisationen. Ein wesentliches Element dieser einfachen Sabotage waren auch 1944 schon sinnlose und ausufernde Besprechungen (vgl. auch diese schöne Aufbereitung von Darkhorse).
Dem ist auch heute, über 70 Jahre später, wenig hinzuzufügen. Leider. Für Manager hält das Handbuch darüberhinaus noch ein paar besondere „Best-Practices“ bereit, um die Produktivität nachhaltig zu schwächen, indem sich die Organisation mit sich selbst beschäftigt:
Mutig Verantwortung übernehmen!
So plausibel diese Verschwörungstheorie auch sein mag, ich halte es an der Stelle immer mit Hanlon’s Razor: „Schreibe nicht der Böswilligkeit zu, was durch Dummheit oder Unfähigkeit hinreichend erklärbar ist.“ Wir sind demnach nicht das Opfer fremder Mächte und ihrer gezielten Sabotageakte, sondern sabotieren uns oft genug selbst, weil wir es nicht anders kennen oder besser können. Oder weil wir einfach noch nicht darüber nachgedacht haben, sondern es wie immer machen. Daran lässt sich aber arbeiten, wenn wir alle aktiv Verantwortung übernehmen für unsere Zeit und unsere Produktivität. Und dann braucht es Mut, die Muster zu brechen, und einfach mal zu machen ohne um Erlaubnis zu fragen, denn: Machen ist wie wollen, nur krasser!
6 Kommentare
„.…nicht enden wollenden Besprechungen, Runden und Kreisen, die besser eine E‑Mail geworden wären“.
Vielleicht liegt der Hang zu Runden und Kreisen aber auch daran, dass es immerhin Ebenen der menschlichen F2F-Kommunikation sind, die man ungern missen möchte zu Gunsten isolierten vor sich hin Arbeitens mit Computern? Mal daran gedacht?
Feedback, Selbstdarstellung, Konkurrenz, Erfahrung der eigenen Wirkmächtigkeit bzw. des Status im Unternehmen – sind die „Runden und Kreise“ da wirklich einfach ersetzbar durch digitale Kommunikation, die allein der Effizienz dient?
Ja, daran habe ich gedacht. Und ja, vieles davon ist aus meiner Sicht aus digital und asynchron möglich und sogar besser. Menschen sind da aber verschieden und ich bin eher am introvertierten Ende des Spektrums angesiedelt, d.h. zu viel direkte Interaktion mit Menschen erschöpft mich. Ich mag Interaktionen F2F, aber dann bitte solche, die es auch wert sind.
Ich habe diesen Artikel wegen des Blogtitels ( „Führung erfahren – Human(e) Leadership for the Digital Age“) mehr als Unternehmensberatung in digitalen Zeiten verstanden, nicht so sehr als vom Eigeninteresse (introvertiert) gespeist. Klar gibt es Menschen, die nicht gerne in Gruppen kommunizieren – aber sind die in den Unternehmen die Mehrheit?
Wenn meine Annahmen für die Gründe der vielen Meeting stimmen, offenbar nicht.
Was das Abarbeiten von Emails angeht, habe ich auch schon viele Artikel darüber gelesen, wie sehr die Leute unter immer mehr Mails im Unternehmen leiden, mit immer mehr Anhängen etc.
Ich habe noch niemand getroffen, der sich über zu wenige Meetings beschwert hat. Ja, ein gewisses Maß an persönlichem Austausch braucht es (und brauche ich auch), aber diese Maß ist in der Regel weit überschritten.
Mich stört an dieser Debatte, dass die sich überall ausbreitende Unkultur von Entscheidungsscheu und Besprechungswahn nicht aus Sabotage, Böswilligkeit, Unfähigkeit oder Dummheit rührt, sondern m.E. aus den hierarchisch organisierten Führungsstrukturen entstehen muss. Wenn Entscheider nur weit genug von der täglichen Lebens-/Arbeitspraxis entfernt sind (und das passiert ab der 2. Hierarchie-ebene), entstehen diese Erscheinungen zwangsläufig. Dann müssen Informationen nach „oben“ gebracht werden, es werden Kennzahlen erfunden und gefälscht, es werden Arbeitsberichte angefertigt, gefeilt, vorabgestimmt, abgestimmt, alles muss protokolliert werden, „internes Marketing“ greift Raum, Entscheidungen werden „transportiert“, interpretiert, ausgelegt kurz: Blindleistung erzeugt. Jede Hierarchie beschäftigt sich mit sich selbst und hält im schlechtesten Falle die Mannschaft von der Arbeit ab.
Außerdem müssen sich die hierarchisch getrennten Mitarbeiter auch permanent miteinander austauschen, informieren, „auf den Stand bringen“.
Nur für diesen Fall halte ich digitale Kommunikation für eine Verbesserung, weil es voneinander getrennte Teams geben muss und die brauchen miteinander einen Austausch.
Also, mit Appellen, Aufklärung, Mut und Willen zu kultureller Veränderung wird man aus diesem strukturbedingten Dilemma nicht herauskommen.
Guter Punkt, Lars. Die Hierarchie – oder besser: die Art uns Weise wie diese gelebt wird – hat maßgeblichen Anteil an dem Wahnsinn. Ich mag da ja den Ansatz von Reed Hasting bei Netflix und David Marquet auf der USS Santa Fe Entscheidungen dort zu treffen, wo auch die Informationen dafür sind anstatt die Informationen nach oben zu reichen: Kontext statt Kontrolle.