Führung entfaltet ihre Wirkung in zwei Dimensionen: inhaltlich-visionär im Sinne des Wofür genauso wie menschlich-berührend im Sinne des Wir. Gute Führung ist geprägt von Hingabe in diesen beiden Dimensionen. Durch den eigenen vorbildlichen Einsatz für die gemeinsame Sache einerseits und durch die Liebe zu den Menschen und den Glauben an ihre Talente entfacht sie Begeisterung, reißt mit und verändert so die Welt – im Kleinen wie im Großen.
Die Lebenswege von Menschen wie Mahatma Gandhi, Martin Luther King, Nelson Mandela, Aung San Suu Kyi oder Shirin Ebadi sind geprägt von Mut, Überzeugung, Hingabe einerseits und einer großen Menschenliebe andererseits. Naturgemäß verschwimmen beim Thema Menschenrechte die inhaltliche und die menschliche Dimension von Führung, so dass eine starke Überzeugung und Hingabe in der Sache (zum Beispiel der Kampf gegen die Aufhebung von Rassentrennung) auch immer die Menschen betrifft und somit automatisch diese auch berührt und begeistert. In Wirtschaftsunternehmen und anderen Organisationen ist das leider nur selten der Fall.
The purpose of life is not to be happy. It is to be useful, to be honorable, to be compassionate, and to have it make some difference that you have lived and lived well.
Ralph Waldo Emerson
Im Gegenteil findet in vielen Unternehmen Führung wenig überzeugt und wenig überzeugend statt. Der Alltag ist bestimmt von beliebigen Zielen (Shareholder-Value!) zu deren Erreichung das genormte Mitarbeitermaterial einzusetzen ist, das in ausreichender Zahl und Qualität von Schulen und Universitäten bereitzustellen ist (um einmal mehr die so schrecklich unpersönliche Protokollsprache in diesen Organisationen zu benutzen, an denen sich auch T. in meinem kleinen Romanfragment so störte). Kein Wunder also, dass dieses Mitarbeitermaterial regelmäßig im Gallup Engagement Index bestätigt, dass es am liebsten Dienst nach Vorschrift macht (Vorschriften gibt es ja mehr als genug in den hoffnungslos überregulierten Unternehmen, damit von den Angestellten auch niemand was anstellt) und sich Leidenschaft und Hingabe lieber für den Feierabend und das Wochenende spart.
Wo Unternehmen wie seelenlose Maschinen gebaut und betrieben werden und wo Menschen als Zahnrädchen eingesetzt werden, dort ist mehr als Dienst nach Vorschrift auch gar nicht zu erwarten. Mit diesem Bauprinzip ließ sich in den einigermaßen stabilen und trägen Märkten der Vergangenheit (vgl. die Taylor-Wanne von Gerhard Wohland) ganz ordentlich Gewinn erwirtschaften, mehr aber auch nicht und schon gar nicht die Welt verändern. Schon deswegen nicht, weil Profit zum Selbstzweck wurde und es deshalb gar kein gemeinsames Wofür mehr gibt, das als Leitschnur zur Anknüpfung für die Menschen dienen könnte.
Durch die Leidenschaften lebt der Mensch, durch die Vernunft existiert er bloß.
Nicolas Chamfort
Hier und heute in den hoch-vernetzten, dynamischen und globalen Märkten in einer Zeit in der es „normal ist, dass vieles anders ist und immer schneller anders wird“ (Karl-Heinz Geißler) ist diese Verschwendung von Humanpotential brandgefährlich. Für die Unternehmen einerseits, was aber zu verschmerzen wäre, weil ja neue entstehen wo andere untergehen, aber andererseits eben auch für die Gesellschaft und die Menschheit insgesamt. Die drängenden Probleme unserer Zeit, allen voran der Klimawandel, der eher ein Klimakollaps zu werden droht, werden sich nur mit vereinten Kräften lösen lassen. Dazu aber braucht es echte Führung mit Hingabe für die Sache und für die betroffenen Menschen.
Your work is going to fill a large part of your life, and the only way to be truly satisfied is to do what you believe is great work. And the only way to do great work is to love what you do. If you haven’t found it yet, keep looking. Don’t settle. As with all matters of the heart, you’ll know when you find it.
Steve Jobs
Hingabe hat leider auch einen Hang zur Besessenheit und den Beigeschmack der Aufopferung. Elon Musk, Steve Jobs (und insbesondere dem frühen Steve Jobs) und vielen anderen Gründern im Silicon Valley kann wahrlich kein Mangel an Leidenschaft für eine visionäre Zukunft nachgesagt werden. Ihre Hingabe in der Sache ist unbestritten ebenso wie ihr teils recht empathiebefreiter Umgang mit ihren Mitarbeitern berüchtigt ist.
Ihre Leidenschaft für das gemeinsame Ziel kompensiert zwar offenbar für manches Defizit in der menschlichen Dimension von Führung, aber wie viel mehr erreicht werden könnte, zeigt insbesondere das Beispiel von Steve Jobs in seiner zweiten „Amtsperiode“ bei Apple von 1997 bis zu seinem Tod im Jahr 2011. Genau dieses persönliche Wachstum von Steve Jobs in der menschlichen Dimension von Führung behandeln Brent Schlender und Rick Tetzeli in ihrem sehr lesenswerten Buch „Becoming Steve Jobs: The Evolution of a Reckless Upstart into a Visionary Leader“ (Amazon Affiliate-Link) und sehen darin zu Recht einen wesentlichen Beitrag zum Wiederaufstieg von Apple. Und dieser Aufstieg wurde eingeläutet mit dem legendären „Think Different“ Werbespot, in dem es um Menschen und um ihre Hingabe geht: Here’s to the crazy ones!
Ein Kommentar
Vielen Dank für Deine Gedanken, denen Du Worte folgen lässt, die zu Taten führen, Marcus.
Erst muss es ums Prinzip gehen, bevor es an die Sache gehen kann.
Viele verstolpern diesen Schritt im Irrglauben des Effizienzwahns.
Sie fühlen sich getrieben und fühlen sich von ihrer Umwelt überfordert.
Die einen 15% nehmen Anteil und steigen ein während die anderen 15+70% aussteigen und nur formal mit dabei sind.
Die Frage lautet: was verbirgt sich hinter der Leidenschaft, der Passion?
Welches Bedürfnis adressiert ein Produkt, das einen Bedarf deckt?
Erst, wenn die Vorstellung davon bei denjenigen entstanden ist, die Abhilfe leisten können, dann erst entwickelt sich daraus ein Produkt mit „durchschlagendem Erfolg“.