Weniger Arbeitszeit führt zu mehr und besseren Ergebnissen. Was paradox klingt, hat jüngst Microsoft in Japan eindrucksvoll bewiesen. Im August hatten alle 2.300 Mitarbeiter fünf Freitage frei – bei gleichem Gehalt wohlgemerkt. Das Ergebnis dieses Experiments waren glücklichere Mitarbeiter und satte 40% mehr Produktivität. Mehr Einsatz von Arbeitszeit führt also in der Wissensarbeit nicht automatisch zu mehr oder besseren Ergebnissen. Dennoch ist die Kultur in vielen Organisationen geprägt von der einfachen Formel „mehr Präsenz = mehr Arbeit = mehr Leistung = mehr Karriere“, wie das Cawa Younosi, Head of Human Resources und Mitglied der Geschäftsführung von SAP Deutschland, in einem Interview zum Wertewandel in Bezug auf Arbeitszeit ausdrückte. Allerhöchste Zeit also, diese Formel in unseren Köpfen zu korrigieren und das kreative Potential der Menschen zur Entfaltung zu bringen durch eine bessere Balance zwischen Konzentration und Leerlauf.
Work a short time, rest well and learn a lot.
Takuya Hirano, Microsoft Japan president and CEO
Das Experiment von Microsoft ist kein Einzelfall. Ähnliche Ergebnisse berichtet Lasse Rheingans, der in seiner Agentur den Fünf-Stunden-Tag bei gleichem Gehalt erfolgreich einführte und in seinem neuen Buch „Die 5‑Stunden-Revolution: Wer Erfolg will, muss Arbeit neu denken“ (Amazon Affiliate-Link).
Die Gehirnforschung hat in den letzten Jahren deutlich gezeigt, dass unser Gehirn keine Pausenfunktion kennt. Es arbeitet immer – oder ist tot. Es kennt allerdings zwei unterschiedliche Arbeitsmodi: Konzentrierte Aufmerksamkeit einerseits und das was im Deutschen Ruhezustandsnetzwerk (im Englischen Default Mode Network) genannt wird. Die deutsche Benennung ist allerdings irreführend, da sie Untätigkeit suggeriert. Tatsächlich aber ist das Gehirn in diesem Modus des Loslassens sehr produktiv, indem es im Unterbewusstsein die entscheidenden Verknüpfungen für kreative Lösungen erzeugt. Und darum kommen die entscheidenden Ideen eben nicht im Meeting und nicht wenn wir uns besonders lange und besonders stark anstrengen, sondern erst irgendwann später beim Bügeln, Duschen oder Autofahren. Weniger ist mehr.
So ging es auch Archimedes. Er war von König Hieron II. von Syrakus beauftragt worden herauszufinden, ob dessen Krone wirklich aus reinem Gold gefertigt war oder ob der Goldschmied das Material gestreckt hatte. Nach längerem ergebnislosen Überlegen stieg Archimedes in die Badewanne, die bis zum Rand gefüllt war und überschwappte. In dem Moment erkannte Archimedes das nach ihm benannte Archimedische Prinzip, wonach das Volumen des Körpers genau dem verdrängten Wasser entspricht. Die Erkenntnis traf ihn so überraschend, dass er angeblich splitternackt und „Heureka!“ („Ich habe es gefunden!“) rufend durch die Straßen lief. Die Krone war übrigens tatsächlich nicht aus reinem Gold, denn sie verdrängte mehr Wasser als ein gleich schwerer reiner Goldbarren und hatte somit eine geringere Dichte. Was mit dem Goldschmied passierte ist nicht überliefert.
Die richtige Mischung aus Anspannung und Entspannung, das Wechselspiel aus Konzentration und Loslassen macht den entscheidenden Unterschied. Deswegen gilt die Gleichung, dass mehr Arbeitseinsatz im Sinne von mehr oder weniger konzentrierter Arbeit im Büro zu mehr oder besseren Ergebnissen führt so in der Wissensarbeit nicht mehr. Es ist alles eine Frage des richtigen Maßes. Nur stammt unser derzeitiger Maßstab in den meisten Organisationen noch aus dem Industriezeitalter, in dem diese einfache Gleichung Gültigkeit hatte. Wissensarbeit und Kreativität funktionieren aber anders und daher brauchen sie einen anderen Maßstab und bessere Rahmenbedingungen, um effektiv zu sein. Und niemand hat das auch ganz ohne Gehirnforschung besser zusammengefasst als Astrid Lindgren (weshalb auch dieses Zitat so bei uns zuhause maximal sichtbar in unserem Haus hängt):
Die Rahmenbedingung zu hinterfragen und zu verbessern, so wie das Microsoft, SAP und auch Lasse Rheingans machen ist ein konsequenter und überfälliger Schritt. Der Standardarbeitstag aus 8 Stunden plus x im Großraumbüro oder noch schlimmer pausenlos in Besprechungen (die Microsoft übrigens in dem Experiment auf maximal 30 Minuten beschränkte) ist weit jenseits des akzeptablen und zuträglichen Maßes. Unsere Arbeitswelt ist zu einseitig auf fokussierte Arbeit und zu wenig auf das Loslassen und Tagträumen optimiert. In der Wissensarbeit ist aber nicht dieser scheinbar unproduktive Leerlauf die Verschwendung sondern vielmehr sein Fehlen! Weniger ist mehr.
Einerseits. Andererseits tragen aber auch wir alle Schuld daran durch unseren Umgang mit der Technik und insbesondere dem Smartphone. Wo früher noch zwangsweise Leerlauf war, in der Bahn, beim Warten an der Kasse, in der U‑Bahn und sogar beim Gang auf die Toilette, jeder noch so kleine Leerlauf wird sofort gefüllt mit dem nie endenden Strom an Nachrichten und Neuigkeiten. Archimedes könnte heute gar nicht zu seiner Einsicht kommen, weil er damit beschäftigt wäre, ein Selfie von sich in der Badewanne auf Instagram zu posten oder sich auf Twitter zu zu empören, dass sein Wasser übergelaufen ist und im übrigen viel zu kalt war.