Empowerment als Herz der agilen Transformation

Die oft­mals hit­zig geführ­te Dis­kus­si­on um die rich­ti­ge agi­le Metho­de oder das rich­ti­ge Frame­work zur Ska­lie­rung ver­stellt den Blick auf das eigent­lich Wesent­li­che: das Empower­ment der Mit­ar­bei­ter zur Selbstorganisation. 

Das ‚e‘ in Agi­le und Lean steht für Empower­ment. Lei­der wur­den und wer­den bei­de – mit­ein­an­der ver­wand­ten und auf­ein­an­der auf­bau­en­den – Phi­lo­so­phien häu­fig redu­ziert auf die sicht­ba­ren Prak­ti­ken, Metho­den und Werk­zeu­ge. Wer die­se aber ein­führt, ohne gleich­zei­tig am Fun­da­ment des Men­schen­bilds und der Füh­rungs­hal­tung zu arbei­ten, baut auf Sand. Das Ergeb­nis die­ser Reduk­ti­on beschreibt Richard Feyn­man tref­fend als Car­go-Kult: die form­schö­ne Imi­ta­ti­on (in sei­nem Fall von wis­sen­schaft­li­chen Arbei­ten) ohne des tie­fe­ren Ver­ständ­nis­ses des Zwecks und die Ein­ord­nung in das Gesamtbild:

In the South Seas the­re is a car­go cult of peo­p­le. During the war they saw air­planes land with lots of good mate­ri­als, and they want the same thing to hap­pen now. So they’ve arran­ged to imi­ta­te things like run­ways, to put fires along the sides of the run­ways, to make a woo­den hut for a man to sit in, with two woo­den pie­ces on his head like head­pho­nes and bars of bam­boo sti­cking out like anten­nas — he’s the con­trol­ler — and they wait for the air­planes to land. They’re doing ever­y­thing right. The form is per­fect. It looks exact­ly the way it loo­ked befo­re. But it doesn’t work. No air­planes land. So I call the­se things car­go cult sci­ence, becau­se they fol­low all the appa­rent pre­cepts and forms of sci­en­ti­fic inves­ti­ga­ti­on, but they’re miss­ing some­thing essen­ti­al, becau­se the pla­nes don’t land.

Richard Feyn­man, 1974

Eine Säu­le des Toyo­ta-Pro­duk­ti­ons-Sys­tems – und damit des Lean Manage­ments als sei­ne Ver­all­ge­mei­ne­rung – war und ist bis zum heu­ti­gen Tag Respekt für den Men­schen („respect for the peo­p­le“). Infol­ge­des­sen wur­den die ursprüng­lich sie­ben Arten der Ver­schwen­dung spä­ter um eine ach­te Art ergänzt: das unge­nutz­te mensch­li­che Poten­zi­al. Ein ganz ent­schei­den­der Bei­trag von Tai­i­chi Ohno war die Erkennt­nis, dass die vor­mals „ein­fa­chen“ Arbei­ter mit­tels Trai­ning und Coa­ching imstan­de waren, ihre Arbeits­wei­se und ihre Pro­zes­se selbst­stän­dig und kon­ti­nu­ier­lich zu ver­bes­sern. Im bis dahin vor­herr­schen­den tay­lo­ris­ti­schen Welt­bild war das klar die Auf­ga­be des Manage­ments und die Abläu­fe daher nur so gut, wie es Fähig­keit und Kapa­zi­tät des jewei­li­gen Mana­gers zulie­ßen. Durch das Empower­ment der Arbei­ter, ihre Abläu­fe selbst in die Hand zu neh­men, mach­te sich Tai­i­chi Ohno die­se unge­nutz­te Krea­ti­vi­tät zunut­ze und stei­ger­te damit gleich­zei­tig die Bin­dung des Mitarbeiters. 

Im Zen­trum von Agi­le steht das selbst­or­ga­ni­sier­te Team. Es wird expli­zit in den Prin­zi­pi­en hin­ter dem Mani­fest für agi­le Soft­ware­ent­wick­lung ein­ge­for­dert: „Die bes­ten Archi­tek­tu­ren, Anfor­de­run­gen und Ent­wür­fe ent­ste­hen durch selbst­or­ga­ni­sier­te Teams.“ Und damit kei­ne Zwei­fel an der damit ein­her­ge­hen­den Füh­rungs­hal­tung auf­kom­men, heißt es wei­ter: „Errich­te Pro­jek­te rund um moti­vier­te Indi­vi­du­en. Gib ihnen das Umfeld und die Unter­stüt­zung, die sie benö­ti­gen und ver­traue dar­auf, dass sie die Auf­ga­be erle­di­gen.“ Agi­le ohne Selbst­or­ga­ni­sa­ti­on und Empower­ment gibt es nicht, auch wenn Frame­works oder Blau­pau­sen mus­ter­gül­tig kopiert und aus­ge­rollt wur­den und die Abläu­fe per­fekt zele­briert wer­den. Solan­ge Agi­le der­art von außen – oder bes­ser gesagt: von oben – über die Men­schen gestülpt wird, ohne das nöti­ge Empower­ment und ohne die damit ein­her­ge­hen­de Ände­rung der Füh­rungs­hal­tung vom Schach­meis­ter zum Gärt­ner, bleibt es see­len­lo­ser Cargo-Kult. 

Der Schlüs­sel zu einer erfolg­rei­chen agi­len Trans­for­ma­ti­on liegt somit weni­ger an den für Mana­ger und Bera­ter so reiz­vol­len Fra­gen rund um die rich­ti­gen Frame­works, Abläu­fe, Metho­den oder Tools, son­dern im Empower­ment und der Selbst­or­ga­ni­sa­ti­on. Die Mit­ar­bei­ter müs­sen zu aktiv gestal­ten­den Sub­jek­ten der Trans­for­ma­ti­on und ihrer Orga­ni­sa­ti­on wer­den, statt zu pas­si­ven Objek­te und blo­ßen Ziel­grup­pen von Maß­nah­men des Chan­ge Manage­ments ent­wür­digt zu werden.

Peo­p­le don’t resist chan­ge – they resist being changed.

Peter Sen­ge

Titel­bild von Tim Mar­shall auf Uns­plash


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Von Marcus Raitner

Hi, ich bin Marcus. Ich bin der festen Überzeugung, dass Elefanten tanzen können. Daher begleite ich Organisationen auf ihrem Weg zu mehr Agilität. Über die Themen Führung, Digitalisierung, Neue Arbeit, Agilität und vieles mehr schreibe ich seit 2010 in diesem Blog. Mehr über mich.

2 Kommentare

Die­ser Arti­kel hat vie­le mei­ner Fra­gen zu Empower­ment als Herz der agi­len Trans­for­ma­ti­on beant­wor­tet. Ich habe den Arti­kel sehr ger­ne gele­sen und inter­es­san­te Ideen dar­aus schöp­fen kön­nen. Ich wün­sche https://raitner.de/ wei­ter­hin viel Erfolg.

Eine wirk­lich gute Beschrei­bung. Wenn man die Betei­lig­ten nicht befä­higt, ist es oft nur ein gro­ßes und teu­res Thea­ter. Das Bei­spiel von Richard Feyn­man ist großartig.

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