Minimal-invasive Führung

Gemein­hin wird Füh­rung als har­te Arbeit gese­hen. Das Bild des stän­dig erreich­ba­ren, dyna­mi­schen und gestress­ten Mana­gers wird von den Medi­en all­zu ger­ne genutzt und hat sich uns ein­ge­prägt. Irgend­wie, so die Denk­wei­se, müs­sen die üppi­gen Mana­ger­ge­häl­ter ja gerecht­fer­tigt wer­den. Ein Argu­ment das übri­gens alle Betei­lig­ten ger­ne nut­zen: aus Sicht der gerin­ger ent­lohn­ten Nicht-Mana­ger ist der Stress die wohl­ver­dien­te Stra­fe und aus Sicht der Mana­ger dient er der Recht­fer­ti­gung. Gera­de in den ers­ten Jah­ren als Füh­rungs­kraft hat man oft das Gefühl sei­ne Mit­ar­bei­ter im Stich zu las­sen, wenn man nicht min­des­tens genau­so schwitzt. Ein gefähr­li­cher Trug­schluss, der ver­hin­dert sich auf die wesent­li­chen Füh­rungs­auf­ga­ben zu kon­zen­trie­ren. Mini­mal-inva­si­ve Füh­rung statt hek­ti­schem Kommandieren.

Doch Druck – von außen oder selbst­ge­macht – ver­bes­sert Arbeits­er­geb­nis­se nicht, denn „Men­schen unter Druck den­ken nicht schnel­ler“, wie Tom deMar­co in sei­nem lesens­wer­ten Buch „Spiel­räu­me. Pro­jekt­ma­nage­ment jen­seits von Burn-out, Stress und Effi­zi­enz­wahn“ (Ama­zon Affi­lia­te Link)schreibt. Füh­rung wird nicht bes­ser, wenn der Mana­ger unter Druck steht: im Gegen­teil. Zwar zei­gen sich die Aus­wir­kun­gen gestress­ter Füh­rung nur indi­rekt in den Ergeb­nis­sen, dafür aber mit ent­spre­chen­der Hebelwirkung.

Dabei sind vie­le der zeit­rau­ben­den Füh­rungs­auf­ga­ben schnell ent­larvt als ent­mün­di­gen­de Kon­troll­ver­su­che: das täg­li­che Miss­trau­ens­vo­tum gegen­über ansons­ten mün­di­gen Bür­gern. Die herr­schen­de Grund­an­nah­me ist, dass die Mit­ar­bei­ter ohne den sie Füh­ren­den ihre Arbeit nicht oder nur unzu­rei­chend aus­füh­ren wür­den. Tat­säch­lich kann die­se Annah­me zu einem bestimm­ten Zeit­punkt zutref­fend sein, ist dann aber immer auch die Fol­ge einer falsch ver­stan­de­nen und zu engen Füh­rung: natür­lich sind die Mit­ar­bei­ter unselb­stän­dig und ent­schei­den nicht selbst, wenn sie es bis­her nicht durf­ten oder mussten.

It’s easier to ask for­gi­ve­ness than it is to get permission.
(Grace Hop­per)

Die Füh­rung eines kom­ple­xen Sys­tem, ob es nun Team, Abtei­lung, Pro­jekt, etc. heißt, soll­te mit Augen­maß und Weit­sicht gesche­hen. Jeder Ein­griff hat prin­zi­pi­ell uner­wünsch­te Neben­wir­kun­gen. Gute Füh­rung ist daher immer mini­mal-inva­siv. Die Kunst ist es zunächst zu erken­nen, ob und wann ein Ein­griff not­wen­dig ist oder ob sich das Sys­tem selbst hei­len kann und dann gestärkt und immu­ni­siert aus der Kri­se her­vor­geht. Getreu dem Mot­to anti­ker Heil­kunst: „Medi­cus curat, natu­ra sanat“ (Der Arzt behan­delt, die Natur heilt). Manch­mal reicht schon die Besei­tung von ungüns­ti­gen Rah­men­be­di­nun­gen zur deut­li­chen Bes­se­rung. Wenn Ein­grif­fe gebo­ten schei­nen, dann gezielt am größ­ten Eng­pass unter Abwä­gung und Mini­mie­rung der Nebenwirkungen.

Genau für die­se Art der Füh­rung müs­sen Mana­ger Zeit und Muße haben, die sie lei­der viel zu oft mit der Ver­wal­tung des insti­tu­tio­na­li­sier­ten Miss­trau­ens gegen­über den Mit­ar­bei­tern ver­schwen­den (müs­sen).

Act wit­hout doing; work wit­hout effort.
(Tao Te Ching)

 

Bildnachweis

Das Arti­kel­bild wur­de von RC Desi­gner unter dem Titel „Zen Gar­den“ auf Flickr unter einer Crea­ti­ve Com­mons Lizenz (CC BY 2.0) ver­öf­fent­licht.



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3 Kommentare

Dr. Andreas Zeuch 30. Juli 2011 Antworten

Hi Mar­cus,

Wenn wir das noch mit noma­di­scher Füh­rung kom­bi­nie­ren, wird es rich­tig gut – denn das mini­mal inva­si­ve Kon­zept ist einer­seits sicher sinn­voll, aber noch kei­ne Lösung für die Pro­ble­me, die ent­ste­hen, wenn Füh­rung for­mal hier­ar­chisch ist, also eine FK nicht auf­grund der je Projekt/Situation erfor­der­li­chen Kom­pe­tenz über­zeugt, son­dern qua fest­ge­schrie­be­ner Posi­ti­on. Und die­se For­ma­li­tät erzeugt mikro­po­li­ti­sche Spie­le, um auf dem Chef­ses­sel zu blei­ben, respek­ti­ve die nächs­te Stu­fe zu erklimmen…

HGA

Martin Bartonitz 31. Juli 2011 Antworten

Wir haben bei SAPERION sehr gute Erfah­rung mit der SCRUM Metho­de­ik bei der Ent­wick­lung von Soft­ware gemacht. Hier steu­ert sich das Ent­wick­ler­team inner­halb eines Zeit­raum von 4 Wochen kom­plett selbst.
Zu Beginn gibt es ein Kom­mit­ment, wel­che Funk­tio­nen bis zum Ende der Zeit­dau­er fer­tig­ge­stellt wer­den wird. Am Ende wird prä­sen­tiert. Das Team ent­schei­det selbst, wer wel­che der anste­hen­den Auf­ga­ben übernimmt.
Das Team trifft sich dann täg­lich in Stan­dup-Mee­tings über weni­ge Minu­ten. Hier wird berich­tet, was jeder tags­zu­vor fert­gi­ge­stellt hat und wor­an er an die­sem Tag arbei­ten will und ob er Hil­fe braucht.
Wenn es grö­ße­re Pro­blem gibt, küm­mert sich ein SCRUM Mas­ter dar­um, dass sie aus­ge­räumt wer­den. z.B: eine bis­her unbe­rück­sich­tig­te Funk­ti­on, eine feh­len­de Soft­ware oder auch Hardware.
Ich kann nur jedem emp­feh­len, die­se Metho­dik aus­zu­pro­bie­ren. Die Ent­wick­ler sind viel ver­ant­wor­tungs­vol­ler in ihrem Arbei­ten und auch viel koope­ra­ti­ver im Umgang mit­ein­an­der. Erfolg: Unse­re Kun­den haben uns nach 2 Jah­ren im ECM-Markt von Platz 10 auf 2 in der Kun­de­zu­frie­den­heit gehoben.
http://www.saperionblog.com/tag/SCRUM

Marcus Raitner 31. Juli 2011 Antworten

SCRUM ist tat­säch­lich ein gutes Bei­spiel für die­se Art der Füh­rung. Im Klei­nen jeden­falls. Im Gro­ßen fin­de ich die Ansät­ze von Ricar­do Sem­ler von Sem­co sehr beein­dru­ckend; viel­leicht sehr radi­kal, aber es zeigt doch, dass Unter­neh­mens­füh­rung auch ganz anders funk­tio­nie­ren kann.

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