Im Projektmagazin war neulich die Überschrift und provokante These »Projektmanager brauchen keine Branchenkenntnis!« zu lesen. Vermutlich diskutiert der Artikel die Aussage differenzierter (leider ist er nicht öffentlich zugänglich und deshalb hier nicht verlinkt), denn so plakativ ist das natürlich grober Unfug. Ebenso wie das andere Extrem: Der beste Fachexperte ist automatisch der geeignete Projektleiter. Wie immer kommt es auf das rechte Maß an.
Dosis sola venenum facit.
Paracelsus
Letztes Jahr haben wir ein Einfamilienhaus von einem Bauträger bauen lassen. Verglichen mit den meisten meiner Softwareprojekte würde ich den Hausbau als nicht sehr komplex ansehen. Trotzdem würde ich mir die Projektleitung für ein Einfamilienhaus nicht zutrauen. Damals nicht und auch heute nicht nach einmaligem Miterleben. Meiner Meinung nach reicht meine Fachkompetenz dafür einfach nicht aus. Für mich gibt es also definitiv so etwas wie zu wenig Fachkompetenz oder Branchenkenntnis.
Umgekehrt gibt es aber auch ein Zuviel an Fachkompetenz und darauf zielt der Artikel im Projektmagazin scheinbar auch ab. Leider ist es oft Unsitte, den fachlich besten Mitarbeiter zum Projektleiter für sein Thema zu ernennen. Inhaltlich kann dieser Projektleiter dann bis ins Detail mitreden und mitarbeiten. Was wie ein unschätzbarer Vorteil klingt wird schnell zum Nachteil: dieser Projektleiter und Fachexperte wird die Arbeitsebene selten und ungern verlassen und die wichtigen Führungs- und Managementaufgaben somit nicht besetzen. Ein Projektcoach kann hierbei helfen und den Blick auf die wichtigen Aufgaben lenken.
Provozieren lässt sich dieses Versagen übrigens sehr zuverlässig dadurch, dass man den Fachexperten mit einer Doppelrolle ins Projekt schickt, er also nur zu einem Teil seiner Zeit Projektleitung machen soll und darf und ansonsten als Experte mitarbeiten soll. Was wie eine sinnvolle Stufe in der Entwicklung vom Fachexperten zum Projektleiter klingt führt in der Realität nicht selten zur genervten Abkehr vom Projektmanagement, weil es als unnütze Zusatzaufgabe empfunden wird, etwas das man am Freitag Abend noch schnell machen muss, damit der Form Genüge getan wird.
Stellt sich die Frage nach dem gesunden Mittelmaß: Wie viel Experte darf oder muss ein Projektleiter sein? Wie viel Branchenkenntnis braucht ein Projektleiter? Das hängt sicherlich von der jeweiligen Fachdomäne ab. Ich finde es für mich in Softwareprojekten wichtig einen guten Überblick über die Fachdomäne Softwarengineering und einen groben Überblick über den Anwendungsfall oder Fachprozess zu haben. Ich bin in den allerwenigsten Fällen ein Experte in der jeweiligen Technologie, Programmiersprache, Framework, etc., aber ich bin in der Lage, auf einem gewissen Abstraktionsniveau Zusammenhänge und Abhängigkeiten zu verstehen, zu beurteilen und letztlich Entscheidungen zu treffen.
Für mich funktioniert das. Und für euch? Ich freue mich über Kommentare.
(Bildnachweis: Das Artikelbild wurde von Seattle Municipal Archives unter dem Titel „Engineering Department employees, 1962“ auf Flickr unter einer Creative Commons Lizenz (CC BY 2.0) veröffentlicht.)
11 Kommentare
bei uns auf dem bau heißt es lieber Universaldilettant als Fachidiot
das Problem ist die Verzahnung bei der Planung wie mein Chef immer sagte
Den merke ich mir!
Ebenfalls: notiert.
Ich glaube, dass die „Doppelrolle“ die Schlüsselaussage ist. Meine sogar, dass aus der Doppelrolle eine „Dreifach-“ oder „Mehrfachrolle“ werden kann und vielleicht sogar muss. Gerade bei nicht so großen (SW-)Projekten ist es nach meiner Meinung gut, wenn jeder ein wenig PM (Projektmanager), QM (Qualitätsmanager), KM (Konfiguration Manager) ist.
Beschränken wir uns z.B. auf 10 Mitarbeiter, würde es mir genügen wenn jeder im Durchschnitt mit je 10 % PM, QM und KM und den verbleibenden 70 % fachlich mitwirkt. Ich würde aber keinen haben wollen, dessen fachliche Mitwirkung auf unter 50 % sinkt.
Das alles aber bitte nur modellhaft. Wahrscheinlich kann man noch mehr sinnvolle Rollen finden und meine Prozentzahlen sind auch nur beispielhaft gemeint. Auch auf die 70 : 30 würde ich mich nicht festlegen wollen.
Also ein kleiner Appell für „verteiltes“ und stark „vernetztes“ Projekt, Qualitäts, Konfiguration uns sonstiges Management.
Zu den Dilettanten: Oft sind Dilettanten Menschen, die die Dinge aus Liebhaberei tun und es so oft besser wissen als die vermeintlichen “Spezialisten”. Das hängt dann mit dem Interesse an den Themen und der Bereitschaft zur Weiterbildung zusammen, die übrigens in der Regel nicht unwesentlich in der sogenannten Freizeit stattfindet.
Da kann ich Dir nur zustimmen: jeder muss diese Rollen zu einem kleinen Teil wahrnehmen in dem Sinne, dass diese Funktionen jeden angehen und es nur richtig gut wird, wenn sich alle dafür verantwortlich fühlen. Ich habe auch nichts prinzipielles gegen Doppel- oder Mehrfachrollen, aber es wird eben schwieriger wenn man mehr Hüte trägt. Damit muss man umgehen lernen. Und wenn jemand eben zuerst Fachexperte war und dann Projektleiter wird, geht die Verschiebung der Verteilung oft leider schief.
Ich schließe mich an, die Doppelrolle ist Fakt und es gibt gute Gründe dafür.
Dies bedeutet dann konsequenterweise aber auch, dass die Selbstbeobachtung und der Blick der Organisation auf das Thema „Rolle“ zunehmen muss. Viele Doppelrollen- PM bedienen nämlich nicht beide Rollen, sondern tendieren (oft unbewusst) zum Experten und machen als „oberster Sachbearbeiter“ zu viel am Projektgegenstand und vergessen den Führungs- und Managementteil. Andere wiederum geben sich als „Übervater“ und machen den Job des Auftraggebers gleich mit!
Wer aber die Rollendynamik Experte-Führungskraft im Projekt im Blick hat, hat gute Voraussetzungen das Projekt in der Doppelrolle zum Erfolg zu führen.
http://www.hinz-wirkt.de/downloads/effektive_Rollen_im_Projekt_MQ.pdf
Überväter und oberster Sachbearbeiter: danke Olaf – wieder einmal – für diese tollen und griffigen Bilder.
„Lieber Universaldilettant als Fachidiot“ gefällt mir ebenfalls sehr gut!
Viele Projektleiter arbeiten zu viel am Gegenstand und das eigentliche Managen drückt in den Hintergrund. Gerne würde ich den Originalartikel dazu lesen.
was zu Universaldilettant
habe in langen Jahren auf dem Bau gelernt das es auf die gewerke übergreifende Organisation ankommt. z.b. nach großartigen sitzungen mit Fachplanern Ingenieuren und Architekten landet das ganze meistens bei den Truppführern der verschiedenen Gewerke die das ganze dann unter sich nach den regeln der einzel Gewerke ausmachen .Bei Einbeziehung derselben währe die Bausitzung meistens sehr produktiver ausgefallen.
Wenn die Truppführer die Infos von Oben bekommen werden diese erstmal auf Reibungspunkte untersucht dann folgt erstmal eine Behinderungs bzw. mehrkostenanzeige an die Bauleitung nach Oben dann erfolgt eine Weitergabe der Meldung an die Fachplaner ‚Architekten etc. das kann man solange machen bis die Ausführung und die Meldung sich zeitlich aufheben.Das sogenannte Anzeige ‑Ping-Pong. Was folgt ist die Anfragenach unten wie der Termin denn überhaupt zu schaffen ist.Dann folgt eine Bausitzung mit Fachplanern,Architekten .….….….….…..
hallo Marcus, mein Kommentar liegt schon lange auf meinem Schreitisch, jetzt will ich ihn endlich absenden:
Wir sind uns sicher einig, dass die Extreme zu vermeiden sind:
– den besten Experten zum Projektleiter für ein komplexes Projekt zu machen, ist meist nicht erfolgreich, der Experte wird in der Regel nicht teamfreundlich arbeiten, alles an sich reißen und mit seinem Team darum rivalisieren, wer der beste Experte ist. Das habe ich leier mehrfach erleben „dürfen“.
– ein komplett branchenfremder Projektleiter, der gar nichts von der Technik und organisatorischen Zwängen der Branche versteht, läuft auch Gefahr das Projekt an die Wand fahren. Das führen uns Politiker in Deutschland und Österreich immer wieder bei Großprojekten vor, beispielweise Flughafen Berlin-Bran-denburg, Stuttgart 21 und Skylink, das neue Terminal des Flughafens Wien-Schwechat. Man könnte fast glauben, die Politiker hätten in ihrer Selbstüber-schätzung und Ignoranz die ironisch gemeinten Anweisungen des Buches „Anleitung für Projektvernichter“ * akribisch und konsequent umgesetzt.
Was ist denn nun richtig, wie sieht das gesunde Mittelmaß aus? Meiner Erfahrung und Meinung nach, hängt das von zwei Grundfaktoren ab:
1. der Bedeutung und Komplexität des Projektes,
2. der Umgebung, in der und mit der das Projekt „leben“ muss und dem Management, das das Projekt in Auftrag gibt.
Zu Punkt 1:
In einfachen Projekten mit geringem Arbeitsumfang und nur kleinen Teams, muss der Projektleiter immer einen großen Teil des Auftrages selbst erledigen, hier ist der Spezialist gefragt, die Projektleitungstätigkeit ist meist eher gering.
Je größer und komplexer und wichtiger das Projekt für die Organisation bzw. das Unternehmen ist, umso wichtiger wird eine erfahrene und professionelle Projektleitung. Bei den sehr großen und politisch wichtigen Projekten braucht es in der Regel sogar ein Projekt-Management-Office (PMO). Das heißt aus meiner Sicht:
Spezialisten müssen sich entscheiden, ob sie primär Fachleute („Fachidioten“) bleiben wollen, dann sollten sie besser nicht als Projektleiter in komplexen Projekten arbeiten. Andernfalls müssen sie sich vom reinen Spezialisten zum „Projekt-Generalisten“ mit einem guten fachlichen Hintergrundwissen entwickeln und all das lernen, was für eine erfolgreiche und professionelle Projektleitung erforderlich ist.
Meine persönliche Erfahrung aus komplexen „Feuerwehrprojekten“ ist:
Der Projektleiter braucht immer den „Stallgeruch“ der Branche, damit der von den Stakeholdern akzeptiert wird und ein profundes technisches Backgroundwissen, damit er Prozesse und kritische Zusammenhänge im Projekt beurteilen kann und auch rechtzeitig merkt, wenn Spezialisten aus seinem Team ihn „vorführen“ wollen. Persönlich bin ich immer gut damit gefahren, meine Auftraggeber und mein Team in die Verantwortung zu nehmen, ihnen aber auch immer einen Vertrauensvorschuss einzuräumen und gleichzeitig mit gesunder Skepsis Hintergründe und Zusammenhänge zu erfragen.
Meine Spezialisten haben mich nie im Stich gelassen und wir konnten die Feuer-wehrprojekte, für die ich verantwortlich war, immer erfolgreich abschließen.
Zu Punkt 2:
Gute Projektleiter wachsen nicht auf den Bäumen, sie fallen auch nicht vom Himmel. Es ist die Aufgabe von Führung, Management und Vorgesetzten, potentielle Projektleiter zu finden und sie zu entwickeln. Das geht aus meiner Erfahrung nur mit einer Mischung aus Training, Coaching und „Lernen auf die harte Tour“ in realen Projekten. Zertifizierungen reichen nicht aus, aus einer „Berechtigung“ muss durch die Bewährung in der Praxis eine wirkliche „Befähigung“ werden.
Nur so kann erreicht werden, dass sie über die Kernthemen – Organisation und Ma-nagement, Führung und Kommunikation – nicht nur theoretisches Wissen haben oder damit einigermaßen umgehen können, sondern die für ihre Projekte essentiellen Tools und Skills wirklich beherrschen. Ziel ist es immer, einen Pool guter Projektleiter für die Organisation, das Unternehmen zu schaffen.
* Horst W. Kötting, Anleitung für Projektvernichter, 2007, ISBN: 978 – 3‑8334 – 6884‑1
Projekte brauchen eine projektförderliche und projektfreundliche Umgebung. Wenn Führung, Management oder Vorgesetzte nicht für die notwendige Führungs- und Kommunikations-Kultur sorgen können oder wollen, dann hat es jeder Projektleiter schwer und der Erfolge der Projekte bleibt häufig aus. In Organisationen und Unter-nehmen, für die der Erfolg ihre Projekte wichtig ist, sollten mächtige „Projektsponsoren“ ihre schützende Hand über Projekte und Projektkultur halten. Aber das ist ein anderes Thema, das den Rahmen dieser Diskussion sprengt.
Hallo Klaus, vielen Dank für Deinen ausführlichen Kommentar. Aus ihm spricht Deine langjährige Erfahrung. Ich habe dem nichts hinzuzufügen. Wie immer macht die Dosis erst das Gift: ein guter Projektleiter muss das richtige Maß an Expertise mitbringen und darüber hinaus die Erfahrung und die Übersicht, seine Führungsaufgabe nicht zu vergessen. Das alles lernt man nicht einfach so und noch weniger wird es zertifiziert, das sind Erfahrungen die man sammeln muss. Dass das möglich ist und in Unternehmen gefördert wird ist eine wesentliche Aufgabe dort. Leider aber allzu oft nicht ausreichend erkannt und praktiziert.