Wenn von der Veränderung der Arbeitswelt insbesondere im Zuge der Digitalisierung die Rede ist (nicht zuletzt auch hier im Blog) darf der Begriff der Augenhöhe nicht fehlen. Einerseits wegen des gleichnamigen, sehr sehenswerten Films und andererseits, weil Augenhöhe tatsächlich kurz und prägnant das Ideal der Zusammenarbeit im Zeitalter der Wissensarbeit beschreibt. Grund genug den Gedanken der Zusammenarbeit auf Augenhöhe, der so neu gar nicht ist wie die beinahe inflationäre Verwendung des Begriffs in letzter Zeit glauben lässt, ein wenig genauer zu betrachten.
Der amerikanische Psychiater Eric Berne beschreibt in seinem Buch „Spiele der Erwachsenen“ (Amazon Affiliate-Link) schon 1964 im Rahmen der von ihm erfundenen Transaktionsanalyse drei verschiedene „Ich-Zusände“:
- Jedes Individuum hat Eltern (oder Eltern-Stellvertreter) gehabt, und es besitzt in seinem Innern eine Gruppe von Ich-Zuständen, die die Ich-Zustände seiner Eltern (so wie er sie aufnahm) wiedergeben; diese Eltern-Ich-Zustände lassen sich unter gewissen Voraussetzungen aktivieren (exteropsychische Funktion). Umgangssprachlich ausgedrückt: „Jeder trägt in seinem Innern seine Eltern mit sich herum.“
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Jedes Individuum (einschließlich der Kinder, der geistig Zurückgebliebenen und Schizophrenen) hat die Fähigkeit zur objektiven Übermittlung von Informationen, wenn der angemessene Ich-Zustand sich aktivieren läßt (neopsychische Funktion). Umgangssprachlich: „Jeder hat ein Erwachsenen-Ich.“
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Jedes Individuum war früher einmal jünger als zum gegenwärtigen Zeitpunkt, und es besitzt in seinem Innern fixierte Relikte aus früherer Zeit; diese werden unter bestimmten Voraussetzungen wirksam (archäopsychische Funktion). Umgangssprachlich: „Jeder trägt in seinem Innern einen kleinen Jungen bzw. ein kleines Mädchen mit sich herum.“
Kommunikation läuft meist unbewusst zwischen diesen Zuständen ab und lässt sich über die Analyse der beteiligten Ich-Zustände besser verstehen. Zum Beispiel kommunizieren wir im Eltern-Ich gerne bevormundend („Wo haben Sie denn die Präsentation schon wieder versteckt?“) oder auch bemutternd oder fürsorglich („Wenn die andere Abteilung nicht spurt, kommen Sie ruhig zu mir, ich kümmere mich drum.“). Die Reaktion darauf erfolgt dann meist wie in der Kindheit erlernt aus dem Kind-Ich entweder rebellisch („Die Präsentation ist da wo sie hingehört!“) oder angepasst („Tut mir leid, Chef, ich suche die Präsentation sofort und schicke sie Ihnen.“). In einer solchen Transaktion kommt also auch immer eine Stellung der Kommunizierenden zueinander zum Ausdruck, weshalb sich diese Kommunikationsmuster auch im Unternehmensalltag großer Beliebtheit erfreuen. Die Kommunikation aus dem Erwachsenen-Ich entspricht dem, was heute Augenhöhe genannt wird: der Andere wird als gleichwertig und respektvoll behandelt. Oder mit den Worten von Reinhard K. Sprenger: „Hört auf, Mitarbeiter wie Kinder zu behandeln!“
Knowledge workers cannot be managed as subordinates; they are associates. They are seniors or juniors but not superiors and subordinates.
Peter F. Drucker, Management’s New Paradigm, 1998
Im Zuge seiner Arbeiten zur Wissensarbeit und zur Führung von Wissensarbeitern sieht Peter F. Drucker also auch die Zusammenarbeit auf Augenhöhe als die einzig angemessene. Viele Unternehmen und Unternehmer sind mittlerweile diesem Weg auch ein Stück weit gefolgt, wie die Beispiele im Buch „Reinventing Organizations“ von Frederic Laloux (Amazon Affiliate-Link) und im Film Augenhöhe eindruckvoll zeigen, viel mehr verharren aber in den bekannten Strukturen und Mustern des Industriezeitalters, wie Reinhard K. Sprenger in seinem neuesten Buch „Das anständige Unternehmen“ (Amazon Affiliate-Link) zu Recht anprangert. Vielen fällt es schwer, die einstudierten und verlässlichen, aber mittlerweile ineffektiven Muster zu verlassen. Zu groß ist die Angst vor Kontroll- und Machtverlust, der in Summe zwar weniger ein Verlust als eine Umverteilung von Kontrolle und Macht ist, sich im einzelnen aber natürlich trotzdem so anfühlt.
When trust is extended, it breeds responsibility in return. Emulation and peer pressure regulates the system better than hierarchy ever could.
Frederic Laloux, Reinventing Organizations