Komplex oder kompliziert?

Der nai­ve und intui­ti­ve Sprach­ge­brauch ver­mischt und über­la­gert zuwei­len, was bes­ser sau­ber unter­schie­den wer­den soll­te. Beliebt bei Lek­to­ren sind da bei­spiels­wei­se die Begrif­fe anschei­nend und schein­bar. Ers­te­rer bedeu­tet, dass etwas allem Anschein nach auch so ist, wäh­rend mit schein­bar zum Aus­druck gebracht wird, dass etwas nur so zu sein scheint, aber in Wirk­lich­keit anders ist. Schein­bar (sic!) genau­so spitz­fin­dig ist die Unter­schei­dung zwi­schen den Begrif­fen kom­pli­ziert und kom­plex. In der Pra­xis wer­den sie oft syn­onym ver­wen­det oder allen­falls wird kom­plex als Stei­ge­rung für kom­pli­ziert benutzt. Die Unter­schei­dung die­ser bei­den Begrif­fe macht aber einen ent­schei­de­nen Unterschied.

Der Duden ist lei­der auch nicht mehr das, was er mal war. Weder in sei­ner phy­si­schen Erschei­nung als dickes Buch, das ich aus mei­ner Jugend noch ken­ne, noch in sei­nen Inhal­ten. Der Begriff kom­plex wird dort erklärt als viel­schich­tig und als Bei­spiel genannt: „Die Medi­zin ist ein sehr kom­ple­xes Gebiet.“ Die Medi­zin als wis­sen­schaft­li­ches Fach­ge­biet ist zwar viel­schich­tig und schwie­rig und damit kom­pli­ziert zu ver­ste­hen und vie­les ist auch noch nicht ver­stan­den, aber sie ist nicht kom­plex. Als zwei­te Bedeu­tung nennt der Duden all­sei­tig oder umfas­send und dort wird die Ver­wechs­lung noch deut­li­cher mit dem Bei­spiel einer kom­ple­xen Repa­ra­tur. Die­se Repa­ra­tur mag für den Lai­en unver­ständ­lich und damit kom­pli­ziert sein und viel­leicht muss auch der Pro­fi erst nach der Ursa­che suchen, aber kom­plex ist sie sicher nicht.

Ein Uhr­werk ist für mich kom­pli­ziert, ein Auto auch und ein Flug­zeug sowie­so und die Repa­ra­tur die­ser Din­ge dann eben auch. Das liegt aber nicht in der Natur die­ser Din­ge, son­dern in ers­ter Linie an mir und mei­nem feh­len­den Wis­sen über sie. Für einen Uhr­ma­cher ist das Uhr­werk nicht kom­pli­ziert. Umge­kehrt sind für mich als Infor­ma­ti­ker Com­pu­ter und Com­pu­ter­pro­gram­me nicht so kom­pli­ziert wie für jemand der nicht Infor­ma­tik stu­diert hat. Kom­pli­ziert ist also kei­ne inhä­ren­te Eigen­schaft von etwas, son­dern beschreibt nur wie ich bzw. mein Wis­sen sich in Bezug dar­auf ver­hält. Kom­pli­ziert­heit kann ich also durch den Erwerb von ent­spre­chen­dem Wis­sen reduzieren.

Und Kom­pli­ziert­heit lässt sich mana­gen. Genau das haben Fre­de­rick Win­slow Tay­lor und dann Hen­ry Ford vor­ge­führt. Autos zu bau­en ist kom­pli­ziert und war es beson­ders in den dama­li­gen Manu­fak­tu­ren. Die­se Kom­pli­ziert­heit kann man aber mit ent­spre­chen­der Orga­ni­sa­ti­on der Arbeit in klei­ne sehr ein­fa­che Arbeits­schrit­te für den ein­zel­nen Arbei­ter redu­zie­ren und aus Sicht des Mana­gers beherr­schen und steu­ern. Beson­ders gut gelingt das dann, wenn die­se Arbei­ter das, was sie zum Men­schen und damit die Situa­ti­on und Orga­ni­sa­ti­on kom­plex macht, näm­lich ihr Den­ken und ihre frei­en Ent­schei­dun­gen, an der Pfor­te abge­ben und ein­fach nur die vor­ge­schrie­be­nen Arbeits­schrit­te aus­füh­ren. Das ist die Logik des Tay­lo­ris­mus, nach der noch heu­te Unter­neh­men wie kom­pli­zier­te Maschi­nen betrie­ben wer­den in denen die Men­schen als see­len­lo­se Zahn­räd­chen drehen. 

Why is it every time I ask for a pair of hands, they come with a brain attached? 

Hen­ry Ford

So kom­pli­ziert etwas aber auch sein mag, es ist den­noch tot in dem Sin­ne, dass es für den genü­gend Wis­sen­den kei­ner­lei Über­ra­schung bereit­hält (vgl. Ger­hard Woh­l­and). Ein Uhr­werk wird sich immer wie ein Uhr­werk ver­hal­ten und wenn es das nicht tut, liegt ein Defekt vor, der durch Ana­ly­se ent­deckt und beho­ben wer­den kann. Erst Kom­ple­xi­tät sorgt für Über­ra­schun­gen und Leben­dig­keit und das trotz Kennt­nis und Ver­ständ­nis der Kom­po­nen­ten und ihrer Interaktionen. 

To mana­ge a sys­tem effec­tively, you might focus on the inter­ac­tions of the parts rather than their beha­vi­or taken separately.

Rus­sel Ackoff

Kom­ple­xi­tät ist also eine Eigen­schaft eines Sys­tems. Unser Gehirn ist ein kom­pli­zier­tes Geflecht aus Neu­ro­nen und die bio­che­mi­schen Vor­gän­ge zwi­schen ihnen las­sen sich durch­aus für den Exper­ten ver­ste­hen. Was in die­sem Geflecht aber von mir gedacht wird, die­ser Text hier und kurz dar­auf der Gedan­ke an den nächs­ten Ter­min oder das Abend­essen und dann der drin­gen­de Wunsch nach einem Mit­tags­snack und so fort (ja, ich war schon mal fokus­sier­ter!), all das ist nicht vor­her­sag­bar und damit eine Über­ra­schung. Kom­ple­xe Sys­te­me sind nicht nur die Sum­me ihrer Tei­le, son­dern das nicht vor­her­sag­ba­re Pro­dukt ihrer Interaktionen.

Ent­spre­chend über­ra­schend und damit kom­plex wird es über­all dort, wo meh­re­re oder sogar vie­le Men­schen sich tref­fen. Auf der Stra­ße etwa, wo klei­ne Stö­run­gen gro­ße Staus zur Fol­ge haben oder eben in Orga­ni­sa­tio­nen. Als tay­lo­ris­ti­scher Mana­ger kann man die­se Kom­ple­xi­tät ganz im Sin­ne von Hen­ry Ford natür­lich ver­su­chen zu igno­rie­ren, aber sie ver­schwin­det dadurch nie ganz. Und das ist auch gut so, denn auch Orga­ni­sa­tio­nen agie­ren immer mehr in immer kom­ple­xe­ren Umfel­dern und wer­den immer mehr über­rascht. Oder sie über­ra­schen selbst ihre Kon­kur­ren­ten. Je nach­dem wie gut sie es ver­ste­hen, eine Umge­bung zu schaf­fen, in der die­se kom­ple­xen Antei­le, das mensch­li­che Poten­ti­al oder ein­fach das Leben­di­ge schnel­ler bes­se­re Ideen her­vor­brin­gen als die Kon­kur­renz das kann. Das ist nicht zuletzt eine Fra­ge der Füh­rung und das Mani­fest für mensch­li­che Füh­rung zeigt dafür geeig­ne­te Lösungs­räu­me auf.



Share This Post

Schreibe einen Kommentar