Unboss statt Egomanen an der Spitze

Zeiten der Ver­än­de­rung sind Zei­ten der Ver­un­si­che­rung. Ein Reak­ti­ons­mus­ter auf die­se Ver­un­si­che­rung ist der Ruf nach Hel­den und star­ken Füh­rern, die Ord­nung ins Cha­os brin­gen und den Weg wei­sen. Auf gesell­schaft­li­cher und poli­ti­scher Ebe­ne erle­ben wir des­halb ein Erstar­ken von natio­na­lis­ti­schen Ten­den­zen und zuneh­men­de Popu­la­ri­tät von Poli­ti­kern, deren Bei­trag im Wesent­li­chen dar­in besteht, die Kom­ple­xi­tät der Welt unzu­läs­sig zu ver­ein­fa­chen durch Ein­tei­lung in schwarz und weiß, gut und falsch, wir und die und ande­re fal­sche Dicho­to­mien. In Zei­ten digi­ta­ler Dis­rup­ti­on wächst auch in Unter­neh­men die Angst. Und wäh­rend man sich vie­ler­orts dann eben den star­ken Füh­rer her­bei­wünscht, machen wirk­lich star­ke Füh­rungs­per­sön­lich­kei­ten wie Vas Nara­sim­han bei Nov­ar­tis das Gegen­teil: „Unboss your Company!“

Der Ruf nach Hel­den (man beach­te auch den „Alpha-Mann“ in der Bild­un­ter­schrift) in Zei­ten der Unsi­cher­heit. Jeden­falls laut dem Mana­ger Maga­zin.

Die­se Schlag­zei­le aus dem Mana­ger Maga­zin anläss­lich der Ankün­di­gung von Harald Krü­ger, nicht mehr für eine zwei­te Amts­zeit als Vor­stands­vor­sit­zen­der von BMW zur Ver­fü­gung zu ste­hen, illus­triert sehr schön die­ses Reak­ti­ons­mus­ter. Unbe­strit­ten befin­det sich die Auto­mo­bil­in­dus­trie am Anfang einer noch län­ger dau­ern­den Umbruch­pha­se. Ob es dafür aller­dings wie­der einen „Alpha-Mann“ braucht, wie die Bild­un­ter­schrift das so selbst­ver­ständ­lich dar­stellt, bezweif­le ich ganz grund­sätz­lich (und ver­wei­se auf das Mani­fest für mensch­li­che Füh­rung) und ins­be­son­de­re in die­sem kon­kre­ten Fall. Und eigent­lich hat Ger­hard Woh­l­and dazu auch schon alles gesagt: 

Solan­ge man Hel­den oder Schul­di­ge braucht, um eine Situa­ti­on plau­si­bel zu erklä­ren, hat man sie noch nicht verstanden.

Ger­hard Wohland

Egomanen an der Spitze sind Gift

Quel­le: Bilanz

Der Phar­ma­kon­zern Nov­ar­tis ist mit mehr als 100.000 Mit­ar­bei­tern ähn­lich groß und auch ähn­lich glo­bal wie BMW. Und auch in der noch beque­men Phar­ma­bra­che macht sich Ver­än­de­rung breit. Das bis­he­ri­ge Block­bus­ter-Modell, in dem eine klei­ne Zahl von Block­bus­ter-Medi­ka­men­ten die Haupt­ein­nah­me­quel­le dar­stel­len, wird bedroht von per­so­na­li­sier­ter Medi­zin einer­seits und durch die zuneh­men­de Sen­si­bi­li­tät der Öffent­lich­keit und Poli­tik für über­höh­te Medi­ka­men­ten­prei­se ande­rer­seits. Um die­sen Umbruch zu meis­tern, leis­tet sich Nov­ar­tis den größt­mög­li­chen Kul­tur­schock mit dem 42 Jah­re jun­gen Vas Nara­sim­han als CEO, der ähn­lich wie Satya Nadel­la bei Micro­soft der Gegen­ent­wurf zum Alpha-Mann ist und mehr als Gärt­ner denn als Schach­meis­ter agiert. 

Die Manage­ment-Theo­rie beginnt erst mit Hen­ry Ford vor 100 Jah­ren, die Theo­rie des Ser­vant Lea­ders ist dage­gen bereits 2500 Jah­re alt.

Vas Nara­sim­han (Bilanz)

Vas Nara­sim­han sieht sich selbst als „ewi­ger Stu­dent in Sachen Lea­der­ship“ (Bilanz). Ihm ist klar, dass lang­fris­tig erfolg­rei­che Chefs sich zurück­neh­men müs­sen und für ihn sind des­halb Ego­ma­nen an der Spit­ze Gift. Statt­des­sen setzt er kon­se­quent dar­auf, die Orga­ni­sa­ti­on radi­kal neu zu den­ken und dadurch das unge­nutz­te Poten­ti­al der vie­len Mit­ar­bei­ter frei­zu­le­gen. Er ver­spricht sich davon nicht nur klei­ne Effi­zi­enz­stei­ge­run­gen, son­dern ganz unbe­schei­den „Durch­brü­che, die 50 oder 100 Pro­zent mehr Leis­tung mög­lich machen.“ (Bilanz) Mit dem Buch „Unboss“ (Ama­zon Affi­lia­te Link), das Jacob Bøt­ter und Lars Kolind schon vor sechs Jah­ren ver­öf­fent­lich­ten und das bis dahin nur wenig beach­tet wur­de, fand er sei­nen Leit­fa­den dafür.

The unboss is more ser­vant than mas­ter. The unboss is some­bo­dy who makes things pos­si­ble ins­tead of issuing orders. A lea­der rather than a boss. A desi­gner rather than a producer.

Jacob Bøt­ter und Lars Kolind: Unboss 

Unboss: Die 10 Prinzipien

Das lesens­wer­te Buch von Jacob Bøt­ter und Lars Kolind wur­de bei Nov­ar­tis auf die­se 10 Prin­zi­pi­en ver­dich­tet (sie fin­den sich so expli­zit als Lis­te nicht im Buch, son­dern stel­len die Essenz aus den ein­zel­nen Kapi­teln dar):

  1. Fokus­siert euch auf Pur­po­se statt Profit.
  2. Löst die alte Hier­ar­chie auf und ermu­tigt jeden zur Zusammenarbeit.
  3. Baut das Geschäft zu einem sozia­len Netz­werk um.
  4. Wer­det als Arbeit­ge­ber so attrak­tiv, dass ihr die bes­ten Leu­te anzieht.
  5. Tre­tet zur Sei­te und lasst die Mit­ar­bei­ter die Füh­rung übernehmen.
  6. Macht die Kun­den zu Part­nern und Anwäl­ten eurer Mission.
  7. Ver­zich­tet auf rigi­de Bezahl­struk­tu­ren und strik­te Bonus-Sys­te­me – und Mit­ar­bei­ter, denen so etwas wich­tig ist.
  8. Invol­viert Per­so­nen aus­ser­halb der Fir­ma, auch in For­schung und Entwicklung.
  9. Tole­riert Feh­ler und redet offen darüber.
  10. Stärkt den Dia­log inner­halb der Fir­ma durch die Nut­zung von Social Media.

Bis zu die­sem Bericht über Nov­ar­tis im Schwei­zer Wirt­schafts­ma­ga­zin Bilanz hat­te ich weder von die­sem Buch noch von „Unboss“ im wei­te­ren Sin­ne gehört oder gele­sen. Umso schö­ner fin­de ich es, dass sich die The­sen des Mani­fests für mensch­li­che Füh­rung dar­in wie­der­fin­den, das unab­hän­gig davon deut­lich spä­ter (2018) entstand. 

Das beginnt bei der Grund­hal­tung, den Men­schen als intrin­sisch moti­viert zu sehen und ihn eben nicht durch finan­zel­le Anrei­ze extrin­sich moti­vie­ren zu wol­len (7.), was nach­weis­lich nicht funk­tio­niert. Die The­sen selbst zei­gen sich teil­wei­se sehr deut­lich wie „Sinn und Ver­trau­en mehr als Anwei­sung und Kon­trol­le“ inkl. der Ergän­zung dass Pro­fit kein Selbst­zweck son­dern die Fol­ge des rich­ti­gen Pur­po­se ist. Ande­re schei­nen impli­zit durch, wie „Ent­fal­tung mensch­li­chen Poten­ti­als mehr als Ein­satz mensch­li­cher Res­sour­cen“, das für mich essen­ti­ell ist, um als Arbeit­ge­ber attrak­tiv zu sein (4.), und „Diver­si­tät und Dis­sens mehr als Kon­for­mi­tät und Kon­trol­le“, das wie­der­um ent­schei­dend ist für einen offe­nen Dia­log (9. und 10.). 

Die Auf­for­de­rung zur Sei­te zu tre­ten und die Mit­ar­bei­ter die Füh­rung über­neh­men zu las­sen (5.) fin­det sich im Mani­fest als „Anfüh­rer her­vor­brin­gen mehr als Anhän­ger anfüh­ren“. Und „Mutig das Neue erkun­den mehr als effi­zi­ent das Bekann­te aus­schöp­fen“ braucht natür­lich die in 9. gefor­der­te Lern­kul­tur. Beson­ders prä­sent in den Prin­zi­pi­en von Unboss ist das Span­nungs­feld von Hier­ar­chie und Netz­werk mit der Ten­denz weg von der Hier­ar­chie hin zum sozia­len Netz­werk, die sich sogar in meh­re­ren Punk­ten (2. und 3.) fin­det und über die Gren­zen der Orga­ni­sa­ti­on hin­aus­geht (6., 8. und 10.). Ent­spre­chend ist das auch der Kern von Unboss: 

Unboss thin­king rede­fi­nes the com­pa­ny as a social net­work or com­mu­ni­ty with a pur­po­se – in other words, a movement.

Jacob Bøt­ter und Lars Kolind: Unboss 

Die Zei­ten der Alpha-Män­ner, wie sie das Mana­ger Maga­zin for­dert, ist defi­ni­tiv vor­bei, nur haben es noch nicht alle bemerkt (was im Fal­le des Mana­ger Maga­zins auch damit zu tun haben mag, dass sie einen Teil des Pro­blems schon im Namen tra­gen). Satya Nadel­la hat bei Micro­soft die Schlag­kraft des Gegen­ent­wurfs zu die­sem über­kom­me­nen Füh­rungs­mo­dell bereits unter Beweis gestellt und ich hof­fe, dass das auch Vas Nara­sim­han bei Nov­ar­tis gelingt. 

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Von Marcus Raitner

Hi, ich bin Marcus. Ich bin der festen Überzeugung, dass Elefanten tanzen können. Daher begleite ich Organisationen auf ihrem Weg zu mehr Agilität. Über die Themen Führung, Digitalisierung, Neue Arbeit, Agilität und vieles mehr schreibe ich seit 2010 in diesem Blog. Mehr über mich.

6 Kommentare

Hal­lo Marcus,

Ganz vie­len Dank für die­sen Arti­kel. Das Buch Unboss habe ich gekauft und bin sehr froh, davon hier Kennt­nis erlangt zu haben. Aktu­ell lese ich das Buch Hit Refresh von Satya Nadel­la und Unbox wäre das nächste.

Dan­ke und ich freue mich sehr auf wei­te­re Inspirationen.

André.

Ja … so ein Unter­neh­men wie Nov­ar­tis hat man doch ger­ne als Hel­den-Vor­bild … beson­ders bei ethi­schen Fra­gen und Füh­rungs­leit­li­ni­en set­zen die sich Hel­den­haft für ihre Aktio­nä­re ein.

Zum The­ma Ethik:
Hat Nov­ar­tis Impf­stoff an Obdach­lo­sen getes­tet; natür­lich ohne den Tes­tern zu sagen was da eigent­lich getes­tet wurde.
https://www.20min.ch/panorama/news/story/Hat-Novartis-Impfstoff-an-Obdachlosen-getestet – 28568747

Zum The­ma Füh­rung und Verantwortung:
Nur Behand­lung bringt Geld. Hei­lung ist kein lang­fris­ti­ges Ziel.
Aber wer geheilt wer­den will soll halt zah­len. In die­sem Bei­spiel ca. 2 Mio. Dollar.
https://www.tagesschau.de/ausland/novartis-arznei-101.html

Abso­lut rich­tig, die­se Ver­feh­lun­gen sind zu ver­ur­tei­len. Den­noch ent­wer­ten sie den gezeig­ten Ansatz nicht. Dei­ne Argu­men­ta­ti­on ist ein schö­nes Bei­spiel für Whataboutism.

Lie­ber Marcus,
ganz herz­li­chen Dank für die­sen Arti­kel! Den Kul­tur­wan­del bei Nov­ar­tis ver­fol­ge ich eben­falls mit Span­nung, zumal die­ses Unter­neh­men bis­her rela­tiv patri­ar­cha­lisch und sehr hier­ar­chisch geführt wur­de. Mei­ne Kun­den set­zen im Rah­men des „skan­di­na­vi­schen Wegs der Füh­rung“, den wir dort eta­blie­ren, eben­falls auf eini­ge der Unboss-Prin­zi­pi­en – den Link zu Dei­nem Arti­kel und natür­lich Dein Mani­fest für mensch­li­che Füh­rung habe ich direkt in die Lese­emp­feh­lun­gen mit aufgenommen.
Vie­le Grüße
Birgit

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