Das Wechselspiel zwischen Konzentration und Kommunikation

Die hohe Kunst des pro­duk­ti­ven Mit­ein­an­ders im Team liegt dar­in, die für alle best­mög­li­che Balan­ce zwi­schen inspi­rie­ren­dem Mit­ein­an­der und unge­stör­ter indi­vi­du­el­ler Kon­zen­tra­ti­on zu fin­den. Das zuneh­mend ver­teil­te Arbei­ten wäh­rend und in Fol­ge der Coro­na-Pan­de­mie wirft die­se alte Fra­ge nach dem opti­ma­len Set-up der Zusam­men­ar­beit erneut und mit neu­en Lösungs­mög­lich­kei­ten auf.

Zwei See­len woh­nen, ach! in mei­ner Brust. Als Agi­le Coach liegt mir ech­tes Team­work natür­lich sehr am Her­zen. In den Prin­zi­pi­en zum Mani­fest für agi­le Soft­ware­ent­wick­lung wird zu Recht betont, dass Fach­ex­per­ten und Ent­wick­ler täg­lich zusam­men­ar­bei­ten müs­sen und dass die effi­zi­en­tes­te und effek­tivs­te Metho­de, Infor­ma­tio­nen an und inner­halb eines Ent­wick­lungs­teams zu über­mit­teln, das Gespräch von Ange­sicht zu Ange­sicht ist. Ver­trau­ens­vol­le Zusam­men­ar­beit im Team benö­tigt Nähe, Begeg­nung und Austausch.

Als Infor­ma­ti­ker weiß ich aber auch den Wert von unge­stör­ter kon­zen­trier­ter Arbeit – was Cal New­port tref­fend im gleich­na­mi­gen Buch als Deep Work bezeich­net – zu schät­zen. Oft habe ich mich gewun­dert, wie Men­schen in Groß­raum­bü­ros kon­zen­trier­te Arbeit voll­brin­gen kön­nen und mir noch öfter eine ruhi­ge Biblio­thek wie damals an der Uni gewünscht.

Men­schen sind unter­schied­lich. Es gibt tat­säch­lich Exem­pla­re, die in Gesell­schaft ande­rer Men­schen am bes­ten an Ideen arbei­ten kön­nen. Mein Dok­tor­va­ter kam immer ger­ne in unser klei­nes Zwei­er­bü­ro, um an unse­rem White­board die eine oder ande­re Idee zu dis­ku­tie­ren. Sicher­lich konn­ten wir Dok­to­ran­den auch die eine oder ande­re intel­li­gen­te Fra­ge dazu stel­len oder sogar etwas Sinn­vol­les bei­tra­gen, oft ver­stan­den wir aber nicht wirk­lich viel davon. Das muss­ten wir auch nicht, denn im Wesent­li­chen dien­te sein Besuch der „all­mäh­li­chen Ver­fer­ti­gung der Gedan­ken beim Reden“, wie Hein­rich von Kleist das nann­te. Anschlie­ßend brauch­te er aber auch wie­der Ruhe, um die neu­en Ideen zu ver­ar­bei­ten und zu Papier zu bringen.

Gute Wis­sens­ar­beit benö­tigt eine gute Balan­ce zwi­schen unge­stör­ter Kon­zen­tra­ti­on einer­seits und Inter­ak­ti­on und Inspi­ra­ti­on mit ande­ren Men­schen ande­rer­seits. Selbst Hen­ry David Tho­reau leb­te in sei­ner Hüt­te in Wal­den nicht in völ­li­ger Iso­la­ti­on. Er erfreu­te sich zahl­rei­cher Besu­cher und hat­te des­halb auch immer drei zusätz­li­che Stüh­le in sei­ner Hüt­te. Außer­dem besuch­te er mehr­mals pro Woche das nahe­ge­le­ge­ne Städt­chen Con­cord, um sich dort nicht nur mit Lebens­mit­teln, son­dern auch mit dem neu­es­ten Klatsch und Tratsch zu versorgen.

Wir alle haben die­se zwei See­len in unse­rer Brust, das Ver­lan­gen nach unge­stör­ter und kon­zen­trier­ter Arbeit und das Ver­lan­gen nach inspi­rie­ren­der Gesell­schaft und Kom­mu­ni­ka­ti­on. Das Ver­hält­nis die­ser zwei Bedürf­nis­se fällt aller­dings sehr indi­vi­du­ell aus, je nach­dem ob jemand eher intro­ver­tiert oder extro­ver­tiert ist. Ich genie­ße den Aus­tausch mit ande­ren auf Kon­fe­ren­zen und ich spre­che auch ger­ne vor vie­len Men­schen, aber nach einem hal­ben Tag spä­tes­tens steigt mein Bedürf­nis nach Ruhe und Ein­sam­keit. Es soll aber auch Men­schen geben, die nach einem gan­zen Tag Work­shop zur Ent­span­nung mit den Kol­le­gen an der Hotel­bar abhän­gen, statt in Ruhe ein Buch zu lesen.

Die hohe Kunst des pro­duk­ti­ven Mit­ein­an­ders im Team liegt also dar­in, die für alle best­mög­li­che Balan­ce zwi­schen die­sen bei­den Polen zu fin­den. Das beginnt mit der Gestal­tung der Arbeits­um­ge­bung eines Teams, die eben dann kein klas­si­sches Groß­raum­bü­ro sein darf, son­dern eher das was Ste­wart Brand als „Caves and Com­mons“ beschreibt:

Each office worker has a pri­va­te office, often small, which opens into a gene­rous open area sur­roun­ded by many other pri­va­te offices. The open area has a kit­chen, some cou­ch­es, some­ti­mes tables for sit­ting around infor­mal­ly, and some­ti­mes a working libra­ry, or at least a rack of cur­rent peri­odi­cals. You can shut the door of your cave and con­cen­tra­te, or you can lea­ve your door open and keep an eye and ear on who’s coming and going in the com­mons, and whe­ther the mee­ting or pre­sen­ta­ti­on going on the­re might be worth lea­ning in on.

Jeder Büro­an­ge­stell­te hat ein pri­va­tes, oft sehr klei­nes Büro, das sich zu einem groß­zü­gi­gen offe­nen Bereich hin öff­net, der von vie­len ande­ren pri­va­ten Büros umge­ben ist. Der offe­ne Bereich ver­fügt über eine Küche, eini­ge Sofas, manch­mal Tische, an denen man zwang­los zusam­men­sit­zen kann, und manch­mal eine Arbeits­bi­blio­thek oder zumin­dest ein Regal mit aktu­el­len Zeit­schrif­ten. Man kann die Tür zu sei­ner Höh­le schlie­ßen und sich kon­zen­trie­ren, oder man kann die Tür offen las­sen und beob­ach­ten, wer im Gemein­schafts­raum kommt und geht und ob es sich lohnt, bei der dort statt­fin­den­den Bespre­chung oder Prä­sen­ta­ti­on vorbeizuschauen.

Ste­wart Brand, How Buil­dings Learn: What hap­pens to them after they’­re built. Pen­gu­in, 1995.

Jede Umge­bung funk­tio­niert aber nur mit expli­zi­ten oder impli­zi­ten Regeln. Bei „Caves and Com­mons“ gibt es die impli­zi­te Annah­me, dass die Höh­le hei­lig ist und jemand, der sich dort­hin zurück­zieht nicht gestört wer­den darf. Sol­che Signa­le las­sen sich natür­lich auch anders sen­den. Die einen tra­gen des­we­gen über­di­men­sio­nier­te und damit nicht zu über­se­hen­de Noi­se-Can­cel­ling-Kopf­hö­rer. Ande­re stel­len Stop-Schil­der oder Ampeln auf ihre Schreib­ti­sche. Und wie­der ande­re ver­ein­ba­ren Zei­ten unge­stör­ten Arbei­tens für das gan­ze Team.

Die opti­ma­le Mischung aus Kom­mu­ni­ka­ti­on und Kon­zen­tra­ti­on zu fin­den war nie ein­fach. Das zuneh­mend ver­teil­te Arbei­ten wäh­rend und in Fol­ge der Coro­na-Pan­de­mie ver­kom­pli­ziert die­ses schwie­ri­ge Unter­fan­gen aber nur schein­bar. Tat­säch­lich über­wiegt der auf­rüt­teln­de Effekt, sodass nun die Mischung aus gemein­sa­mer Prä­senz im Büro zum Aus­tausch und zur Inspi­ra­ti­on und kon­zen­trier­ter Arbeit (im Home­of­fice oder wo auch immer) gemein­sam neu ver­han­delt wer­den kann und muss.

Die Ein­schrän­kun­gen in der engen phy­si­schen Zusam­men­ar­beit einer­seits und die dar­aus ent­stan­de­nen neu­en Frei­heits­gra­de in Bezug auf den Arbeits­ort wer­fen die alte Fra­ge nach dem opti­ma­len Set-up für ein Team erneut und mit neu­en Lösungs­mög­lich­kei­ten auf. Die betei­lig­ten Mit­ar­bei­ter in einem mehr oder weni­ger hüb­schen Büro zusam­men­zu­pfer­chen, reich­te jeden­falls nie und ver­bit­tet sich mitt­ler­wei­le zum Glück.

Titel­bild von Aaron Bur­den auf Uns­plash.



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Von Marcus Raitner

Hi, ich bin Marcus. Ich bin der festen Überzeugung, dass Elefanten tanzen können. Daher begleite ich Organisationen auf ihrem Weg zu mehr Agilität. Über die Themen Führung, Digitalisierung, Neue Arbeit, Agilität und vieles mehr schreibe ich seit 2010 in diesem Blog. Mehr über mich.

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