Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust. Als Agile Coach liegt mir echtes Teamwork natürlich sehr am Herzen. In den Prinzipien zum Manifest für agile Softwareentwicklung wird zu Recht betont, dass Fachexperten und Entwickler täglich zusammenarbeiten müssen und dass die effizienteste und effektivste Methode, Informationen an und innerhalb eines Entwicklungsteams zu übermitteln, das Gespräch von Angesicht zu Angesicht ist. Vertrauensvolle Zusammenarbeit im Team benötigt Nähe, Begegnung und Austausch.
Als Informatiker weiß ich aber auch den Wert von ungestörter konzentrierter Arbeit – was Cal Newport treffend im gleichnamigen Buch als Deep Work bezeichnet – zu schätzen. Oft habe ich mich gewundert, wie Menschen in Großraumbüros konzentrierte Arbeit vollbringen können und mir noch öfter eine ruhige Bibliothek wie damals an der Uni gewünscht.
Menschen sind unterschiedlich. Es gibt tatsächlich Exemplare, die in Gesellschaft anderer Menschen am besten an Ideen arbeiten können. Mein Doktorvater kam immer gerne in unser kleines Zweierbüro, um an unserem Whiteboard die eine oder andere Idee zu diskutieren. Sicherlich konnten wir Doktoranden auch die eine oder andere intelligente Frage dazu stellen oder sogar etwas Sinnvolles beitragen, oft verstanden wir aber nicht wirklich viel davon. Das mussten wir auch nicht, denn im Wesentlichen diente sein Besuch der „allmählichen Verfertigung der Gedanken beim Reden“, wie Heinrich von Kleist das nannte. Anschließend brauchte er aber auch wieder Ruhe, um die neuen Ideen zu verarbeiten und zu Papier zu bringen.
Gute Wissensarbeit benötigt eine gute Balance zwischen ungestörter Konzentration einerseits und Interaktion und Inspiration mit anderen Menschen andererseits. Selbst Henry David Thoreau lebte in seiner Hütte in Walden nicht in völliger Isolation. Er erfreute sich zahlreicher Besucher und hatte deshalb auch immer drei zusätzliche Stühle in seiner Hütte. Außerdem besuchte er mehrmals pro Woche das nahegelegene Städtchen Concord, um sich dort nicht nur mit Lebensmitteln, sondern auch mit dem neuesten Klatsch und Tratsch zu versorgen.
Wir alle haben diese zwei Seelen in unserer Brust, das Verlangen nach ungestörter und konzentrierter Arbeit und das Verlangen nach inspirierender Gesellschaft und Kommunikation. Das Verhältnis dieser zwei Bedürfnisse fällt allerdings sehr individuell aus, je nachdem ob jemand eher introvertiert oder extrovertiert ist. Ich genieße den Austausch mit anderen auf Konferenzen und ich spreche auch gerne vor vielen Menschen, aber nach einem halben Tag spätestens steigt mein Bedürfnis nach Ruhe und Einsamkeit. Es soll aber auch Menschen geben, die nach einem ganzen Tag Workshop zur Entspannung mit den Kollegen an der Hotelbar abhängen, statt in Ruhe ein Buch zu lesen.
Die hohe Kunst des produktiven Miteinanders im Team liegt also darin, die für alle bestmögliche Balance zwischen diesen beiden Polen zu finden. Das beginnt mit der Gestaltung der Arbeitsumgebung eines Teams, die eben dann kein klassisches Großraumbüro sein darf, sondern eher das was Stewart Brand als „Caves and Commons“ beschreibt:
Each office worker has a private office, often small, which opens into a generous open area surrounded by many other private offices. The open area has a kitchen, some couches, sometimes tables for sitting around informally, and sometimes a working library, or at least a rack of current periodicals. You can shut the door of your cave and concentrate, or you can leave your door open and keep an eye and ear on who’s coming and going in the commons, and whether the meeting or presentation going on there might be worth leaning in on.
Jeder Büroangestellte hat ein privates, oft sehr kleines Büro, das sich zu einem großzügigen offenen Bereich hin öffnet, der von vielen anderen privaten Büros umgeben ist. Der offene Bereich verfügt über eine Küche, einige Sofas, manchmal Tische, an denen man zwanglos zusammensitzen kann, und manchmal eine Arbeitsbibliothek oder zumindest ein Regal mit aktuellen Zeitschriften. Man kann die Tür zu seiner Höhle schließen und sich konzentrieren, oder man kann die Tür offen lassen und beobachten, wer im Gemeinschaftsraum kommt und geht und ob es sich lohnt, bei der dort stattfindenden Besprechung oder Präsentation vorbeizuschauen.
Stewart Brand, How Buildings Learn: What happens to them after they’re built. Penguin, 1995.
Jede Umgebung funktioniert aber nur mit expliziten oder impliziten Regeln. Bei „Caves and Commons“ gibt es die implizite Annahme, dass die Höhle heilig ist und jemand, der sich dorthin zurückzieht nicht gestört werden darf. Solche Signale lassen sich natürlich auch anders senden. Die einen tragen deswegen überdimensionierte und damit nicht zu übersehende Noise-Cancelling-Kopfhörer. Andere stellen Stop-Schilder oder Ampeln auf ihre Schreibtische. Und wieder andere vereinbaren Zeiten ungestörten Arbeitens für das ganze Team.
Die optimale Mischung aus Kommunikation und Konzentration zu finden war nie einfach. Das zunehmend verteilte Arbeiten während und in Folge der Corona-Pandemie verkompliziert dieses schwierige Unterfangen aber nur scheinbar. Tatsächlich überwiegt der aufrüttelnde Effekt, sodass nun die Mischung aus gemeinsamer Präsenz im Büro zum Austausch und zur Inspiration und konzentrierter Arbeit (im Homeoffice oder wo auch immer) gemeinsam neu verhandelt werden kann und muss.
Die Einschränkungen in der engen physischen Zusammenarbeit einerseits und die daraus entstandenen neuen Freiheitsgrade in Bezug auf den Arbeitsort werfen die alte Frage nach dem optimalen Set-up für ein Team erneut und mit neuen Lösungsmöglichkeiten auf. Die beteiligten Mitarbeiter in einem mehr oder weniger hübschen Büro zusammenzupferchen, reichte jedenfalls nie und verbittet sich mittlerweile zum Glück.
Titelbild von Aaron Burden auf Unsplash.
2 Kommentare
Hieß früher mal Kombibüro :)
Ja, und das machte viel Sinn.