Erfüllt statt gefüllt

Ein erfüll­ter Arbeits­tag geht für mich ein­her mit einem mög­lichst lee­ren Kalen­der. Ganz leer sind die Tage ohne­hin nie und müs­sen sie auch nicht sein, aber unun­ter­bro­che­ne Blö­cke von nicht ver­plan­ter Zeit moti­vie­ren mich. Sie geben mir das gute Gefühl, heu­te wirk­lich etwas erle­di­gen zu kön­nen. Und das nicht irgend­wie, son­dern sorg­fäl­tig. Nicht gehetzt und abge­lenkt durch E‑Mails und Nach­rich­ten, son­dern kon­zen­triert. Mei­ne Zufrie­den­heit am Abend kor­re­liert rela­tiv gut mit der Men­ge an „Deep Work“ (New­port, 2016).

Mir wird oft erst in der Feri­en­zeit bewusst, wie stark gefüllt und frag­men­tiert mein Kalen­der in „nor­ma­len“ Wochen ist. Und wie befrie­di­gend es doch sein kann, den Din­gen die nöti­ge Zeit zu geben. Die weni­gen Bespre­chun­gen, die eigent­lich nicht wenig sind, son­dern aus­nahms­wei­se sinn­voll vie­le, kön­nen vor­be­rei­tet wer­den und im Anschluss die Resul­ta­te geord­net auf­be­rei­tet wer­den. Das alles ohne Druck der bün­dig geplan­ten nächs­ten Bespre­chung und der mitt­ler­wei­le auf­ge­lau­fe­nen Nach­rich­ten in Teams.

Fried­rich Nietz­sche hat­te in vie­len Punk­ten recht und ganz beson­ders in die­sem: „Wer von sei­nem Tag nicht zwei Drit­tel für sich selbst hat, ist ein Skla­ve.“ Ich wür­de es sogar wei­ter gehen und sagen: Wer von sei­nem Arbeits­tag nicht zwei Drit­tel für sich selbst hat, ist ein Skla­ve. Die­ses Gefühl der Fremd­be­stim­mung baut sich wie bei dem gekoch­ten Frosch im immer wär­me­ren Was­ser, Ter­min­zu­sa­ge für Ter­min­zu­sa­ge auf und fällt mir erst dann bewusst auf, wenn der dadurch ver­ur­sach­te Schmerz in den Feri­en­zei­ten plötz­lich fehlt. Arbeit muss also nicht zwangs­läu­fig der ver­zwei­fel­te Ver­such sein, durch Mul­ti­tas­king der Situa­ti­on irgend­wie Herr zu wer­den. Denn Mul­ti­tas­king heißt am Ende nur, vie­le Din­ge gleich­zei­tig zu ver­mas­seln, wie der Schwei­zer Jour­na­list und Publi­zist Erwin Koch nüch­tern feststellte.

Ganz ohne Kom­mu­ni­ka­ti­on und Bespre­chun­gen geht es natür­lich nicht. Die Dosis macht aber das Gift. Im Kern hat­te Peter F. Dru­cker des­halb schon recht: „Bespre­chun­gen sind defi­ni­ti­ons­ge­mäß ein Zuge­ständ­nis an einen Man­gel an Orga­ni­sa­ti­on. Denn ent­we­der man bespricht sich oder man arbei­tet.“ Und mehr Bespre­chun­gen kom­pen­sie­ren nur die man­gel­haf­ten Abläu­fe. Und dann ist man schnell bei dem hyper­ak­ti­ven Schwarm­be­wusst­sein, wel­ches Cal New­port als wenig pro­duk­ti­ves und das Indi­vi­du­um erschöp­fen­de End­sta­di­um einer auf Zuruf basier­ten Arbeits­or­ga­ni­sa­ti­on so tref­fend beschreibt (New­port, 2021). 

Der prag­ma­ti­sche Rat­schlag von Cal New­port zum Umgang mit Bespre­chun­gen hat also durch­aus Charme (New­port, 2024): „Immer wenn du eine Bespre­chung zu dei­nem Kalen­der hin­zu­fügst, buche eine gleich lan­ge Zeit (am sel­ben Tag) für dich“. Durch die­se Regel ist der Füll­grad des Kalen­ders stets begrenzt auf 50 %. Damit bin ich zwar nicht ganz bei Nietz­sches For­de­rung, aber es fühlt sich doch sehr viel nach­hal­ti­ger, gesün­der und erfüllter.

Wie gehst du mit dei­ner Zeit und dei­nen Ter­mi­nen um?

Literatur

New­port, C. (2016). Deep work: Rules for focu­sed suc­cess in a dis­trac­ted world (First Edi­ti­on). Grand Cen­tral Publishing.

New­port, C. (2021). A World Wit­hout Email Reim­agi­ning Work in an Age of Com­mu­ni­ca­ti­on Over­load. Pen­gu­in Publi­shing Group.

New­port, C. (2024). Slow pro­duc­ti­vi­ty: The lost art of accom­plish­ment wit­hout burn­out. Portfolio/Penguin.

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Von Marcus Raitner

Hi, ich bin Marcus. Ich bin der festen Überzeugung, dass Elefanten tanzen können. Daher begleite ich Organisationen auf ihrem Weg zu mehr Agilität. Über die Themen Führung, Digitalisierung, Neue Arbeit, Agilität und vieles mehr schreibe ich seit 2010 in diesem Blog. Mehr über mich.

2 Kommentare

Abge­se­hen von der Tat­sa­che, dass man die Ergeb­nis­se aus einem Ter­min ja auch mal ver­ar­bei­ten muss (Doku­men­tie­ren, nach­be­ar­bei­ten, wei­ter kom­mu­ni­zie­ren etc.) ist es die Men­ge und Fre­quenz an Ter­mi­nen die einen zum Wahn­sinn trei­ben kann. Wenn der Tag mit 3 – 4 gro­ßen Ter­mi­nen voll ist, dann ist das wenig för­der­lich. Wenn der Tag mit 12 – 14 Halb­stun­den-Ter­mi­nen voll ist, dann will man eigent­lich im Bett bleiben. 

In der Tat, Oli. Tage mit die­sen vie­len klei­nen Ter­mi­nen ohne Zeit zur Vor- und Nach­be­rei­tung sind für mich der wirst-case.

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