Der Wanderer und das Kleinkind

Jede Rei­se beginnt mit einem ers­ten Schritt. Den­noch gibt es einen Unter­schied, zwi­schen dem ers­ten Schritt eines vor­be­rei­te­ten und erfah­re­nen Wan­de­rers und dem eines Klein­kinds. Der Wan­de­rer hat ein Ziel und einen Plan und ver­steht es, mit Kar­te und Kom­pass umzu­ge­hen, wäh­rend das Klein­kind erst dem Ball, dann der süßen Kat­ze und den lus­ti­gen Tau­ben folgt, um schließ­lich vor dem Eis­stand zum Ste­hen zu kommen.

Orga­ni­sa­tio­nen auf ihrer agi­len Rei­se glei­chen lei­der oft mehr dem Klein­kind als dem erfah­re­nen Wan­de­rer. Ein wenig Spo­ti­fy hier, eine Pri­se SAFe dort und das alles gar­niert mit bemüht locke­rem Kul­tur­wan­del (wei­ße Snea­k­er und das erzwun­ge­ne unge­zwun­ge­ne Duzen!) und dem obli­ga­to­ri­schen agi­len Mind­set. Agil heißt schließ­lich fle­xi­bel, da kann es doch nicht ver­kehrt sein, die Prin­zi­pi­en erst mal sehr frei auszulegen.

Doch kann es. Agil heißt nicht belie­big. Und agil bedeu­tet nicht Anar­chie. Im Gegen­teil, Scrum lie­fert bei­spiels­wei­se einen sehr kla­ren und engen Rah­men, wie die Zusam­men­ar­beit gut orga­ni­siert wird. Das ist nur schein­bar ein Wider­spruch. Scrum ist als Pro­zess sehr starr, damit das Team in der eigent­li­chen Arbeit am Pro­dukt fle­xi­bel sein kann. Scrum sei Agi­li­tät mit Stütz­rä­dern, heißt es daher manchmal.

Es ist wenig erfolg­ver­spre­chend gleich zu Beginn, agi­le Metho­den zu ver­wäs­sern. Die Moti­va­ti­on dahin­ter ist abso­lut ver­ständ­lich. Zu fremd sind die agi­len Metho­den im ers­ten Augen­blick. Daher ist es ver­lo­ckend, zunächst nur das zu über­neh­men, was nicht ganz so fremd ist. Und auch das weni­ge so anzu­pas­sen, dass es zum wenig agi­len Sta­tus Quo passt. Aus dem Dai­ly Scrum wird dann eine klei­ne Sta­tus­run­de mit dem Abtei­lungs­lei­ter im Ste­hen, wo die Abhän­gig­kei­ten zu den ande­ren Abtei­lun­gen bespro­chen wer­den. Dass die Wert­schöp­fung gera­de durch die Abtei­lun­gen viel­fach unter­teilt ist und es viel bes­ser wäre inter­dis­zi­pli­nä­re Teams über die Silogren­zen hin­weg zu for­men, bemerkt dabei nie­mand. Auch nicht das bemit­lei­dens­wer­te Team­mit­glied, das zum Scrum Mas­ter bestimmt wur­de und nun leid­lich die Zere­mo­nien zelebriert.

Nur wer sein Ziel kennt, fin­det den Weg.

Lao­zi

Aller Anfang ist schwer und es ist noch kein Meis­ter vom Him­mel gefal­len. Und so könn­te man argu­men­tie­ren, dass es doch bes­ser sei, irgend­wie und irgend­wo zu star­ten als gar nicht. Das ist rich­tig, wenn es ein kla­res Ziel und dann nach die­sem ers­ten Schritt noch einen zwei­ten gibt. Und dann noch einen drit­ten. Oder anders gesagt: wenn es eine kon­ti­nu­ier­li­che Ver­bes­se­rung und kon­ti­nu­ier­li­che Annä­he­rung an die agi­len Prin­zi­pi­en und Wer­te (nicht an ein von Bera­tern aus­ge­wähl­tes Frame­work!) gibt. Lei­der ist genau das sehr unwahrscheinlich.

Dazu wer­den die ers­ten Schrit­te zu sehr gefei­ert. Es fehlt meist die visio­nä­re Weit­sicht auf das eigent­lich Ziel und die beschei­de­ne Ein­sicht, dass es dort­hin noch ein wei­ter Weg ist. Die allent­hal­ben zu beob­ach­ten­de Fixie­rung auf schnel­le Erfol­ge gibt den Men­schen nicht die nöti­ge Zeit zum Umler­nen. Und so endet die in schil­lern­den Far­ben gefei­er­te agi­le Trans­for­ma­ti­on als mit­tel­graue Assi­mi­la­ti­on, wie bei den Borg in Star Trek, jenen kyber­ne­ti­schen Orga­nis­men, die sich Tech­no­lo­gien und Wis­sen ande­rer Spe­zi­es durch den Pro­zess der Assi­mi­la­ti­on ein­ver­lei­ben. Was nicht passt, wird pas­send gemacht. Wider­stand ist zwecklos.



Share This Post

2 Kommentare

mw 26. August 2024 Antworten

Mar­cus, frü­her habe ich Dei­ne Arti­kel ger­ne gele­sen, aber lei­der fin­de ich die Qua­li­tät nicht mehr so gut. Hat da eine Anpas­sung ans Geschäft statt­ge­fun­den? Scrum als agil zu bezeich­nen ist an sich schon gewagt. Das agi­le Mani­fest weist Pro­zes­sen aus­drück­lich eine unter­ge­ord­ne­te Rol­le zu und Scrum ist Pro­zess Hard­core und in vie­len Fäl­len so gestal­tet, daß es mehr scha­det als nützt. Es wird viel­fach wie eine Reli­gi­on gelebt. Selbst das agi­le Mani­fest hat eini­ge mas­si­ve Pro­ble­me, so wird die Doku­men­ta­ti­on viel­fach ver­nach­läs­sigt, was bei der War­tung oder der Erfül­lung regu­la­to­ri­scher Auf­la­gen dann Pro­ble­me berei­tet. Man muß sich immer vor Augen hal­ten, das agi­le in der Web­ent­wick­lung erfun­den wur­de und nicht unbe­dingt sinn­voll in ande­re Dis­zi­pli­nen 1:1 über­tra­gen wer­den kann.

Marcus Raitner 26. August 2024 Antworten

Dan­ke für dein ehr­li­ches Feed­back, Mark. Nur so kann ich (wie­der) bes­ser wer­den. Inhalt­lich stim­me ich dir ja zu und habe im Arti­kel ja selbst dar­auf hin­ge­wie­sen, dass Scrum Agi­li­tät mit Stütz­rä­dern ist und ein sehr star­rer Pro­zess. Scrum war für mich in dem Arti­kel nur ein pro­mi­nen­tes Bei­spiel. Es ging mir dar­um, dass ohne das rich­ti­ge Ziel und den lan­gen Atem, ein­fach mal los­le­gen nicht viel brin­gen wird.

Schreibe einen Kommentar