Slow Productivity: Langsam ist besser

Cal New­port ist es gelun­gen, mit sei­nem neu­en Buch „Slow Pro­duc­ti­vi­ty“ (New­port, 2024) an sei­nen Klas­si­ker „Deep Work“ (New­port, 2016) anzu­knüp­fen. Treff­si­cher ana­ly­siert er, wie es zu dem bekla­gens­wer­ten Man­gel an ech­ter kon­zen­trier­ter Arbeit für die meis­ten Wis­sens­ar­bei­ter im 21. Jahr­hun­dert kom­men konn­te und wie die plötz­li­che Ver­la­ge­rung der Arbeit ins Home­of­fice wäh­rend der Coro­na­pan­de­mie das Fass zum Über­lau­fen brachte.

Im Zen­trum die­ser Her­lei­tung steht der Begriff der „Pseu­do-Pro­duk­ti­vi­tät“, den New­port so defi­niert: „Die Nut­zung von sicht­ba­rer Akti­vi­tät als pri­mä­res Hilfs­mit­tel zur Schät­zung der tat­säch­li­chen Pro­duk­ti­vi­tät.“ Anders als in der Land­wirt­schaft, wo ein­fach der Ertrag pro Hekt­ar gewo­gen wer­den kann und anders als in der Mas­sen­fer­ti­gung, wo ein­fach der Aus­stoß der Fabrik bestimmt wer­den kann, fehlt für Wis­sens­ar­beit eine ver­läss­li­che Metho­de, um Pro­duk­ti­vi­tät zu mes­sen. Als Annä­he­rung dient dann, was leicht gemes­sen wer­den kann: Stun­den im Büro, schnell beant­wor­te­te E‑Mails etc.

Nur lei­der kor­re­lie­ren die­se mess­ba­ren Indi­ka­to­ren nicht mit guter Wis­sens­ar­beit. Aber da sie gemes­sen wer­den, rich­tet sich die Arbeit danach aus. Das führt dazu, dass wir unse­re Arbeits­ta­ge in zu vie­len Bespre­chun­gen ver­brin­gen, wäh­rend wir dazwi­schen und teil­wei­se auch gleich­zei­tig ver­geb­lich ver­su­chen, der Nach­rich­ten­flut Herr zu wer­den. An „Deep Work“ ist unter die­sen Umstän­den nicht zu den­ken. Die­se Ent­wick­lung war vor 2020 schon bis an den Rand des gera­de noch Erträg­li­chen eska­liert, aber die Ver­la­ge­rung der Arbeit ins Home­of­fice und in end­lo­se Video­kon­fe­ren­zen war der Kipp­punkt, der schließ­lich in Phä­no­me­ne wie „Die gro­ße Kün­di­gungs­wel­le“ („The Gre­at Resi­gna­ti­on“) oder „Stil­les Kün­di­gen“ („Quiet Quit­ting“) resultierte.

Den Kern von Cal New­ports Phi­lo­so­phie „Slow-Pro­duc­ti­vi­ty“ bil­den die fol­gen­den drei Prin­zi­pi­en, im Buch gekonnt illus­triert mit vie­len inspi­rie­ren­den Anek­do­ten und ergänzt um kon­kre­te und bis­wei­len durch­aus sub­ver­si­ve Emp­feh­lun­gen zur Umsetzung.

Weniger Dinge (gleichzeitig) tun

Da schlägt mein Herz als Ver­fech­ter agi­ler Metho­den natür­lich höher. Wer an zu vie­len Din­gen gleich­zei­tig arbei­tet, ver­stopft das Sys­tem und pro­du­ziert am Ende mehr Rei­bungs­hit­ze als ech­te Ergeb­nis­se. Das Haupt­ar­gu­ment von Cal New­port ist hier­bei, dass jedes lau­fen­de Pro­jekt immer mit nicht wert­schöp­fen­den Auf­wän­den zur Koor­di­na­ti­on ein­her­geht. Wenn zu vie­le gleich­zei­tig in Arbeit sind, wird schnell nur noch Arbeit koor­di­niert und nicht mehr gear­bei­tet. Hier gilt also, was schon im Zen­trum von Kan­ban steht: An weni­ger Din­gen gleich­zei­tig arbei­ten. Das mag sich zwar weni­ger beschäf­tigt anfüh­len, erhöht aber den Durch­satz und damit die Pro­duk­ti­vi­tät enorm. 

In natürlichem Tempo arbeiten

Nur Pro­jekt-Mana­ger glau­ben, dass neun Frau­en ein Baby in einem Monat aus­tra­gen kön­nen. Cal New­port geht es bei die­sem Prin­zip dar­um, den Din­gen die nöti­ge Zeit zur Ent­fal­tung und Rei­fe zu geben. Er setzt damit ganz bewusst einen Gegen­punkt zur oft in sozia­len Medi­en stolz zur Schau getra­ge­nen „Hust­le-Cul­tu­re“. Lang­sam ist bes­ser: „Slow is smooth, smooth is fast“ lau­tet daher ein Grund­satz der Navy Seals. Neben die­ser offen­sicht­li­chen Aus­prä­gung die­ses Prin­zips stellt er den weit­aus inter­es­san­te­ren Gedan­ken der Sai­so­na­li­tät zur Dis­kus­si­on. Die ganz­jäh­rig gleich inten­si­ve Arbeits­be­las­tung ist ein unna­tür­li­cher Zustand. Es hat für New­port, der im Haupt­be­ruf als Infor­ma­tik-Pro­fes­sor eine sai­so­nal wech­seln­de Arbeit an einer Uni sehr zu schät­zen weiß, einen gro­ßen Wert, wenn sich Pha­sen mit hoher Inten­si­tät mit weni­ger belas­ten­den Pha­sen abwechseln.

Auf Qualität achten

Cal New­port defi­niert die­ses Prin­zip, das für ihn die Klam­mer um die ande­ren bei­den bil­det, im Buch so: „Ach­ten Sie auf die Qua­li­tät Ihrer Ergeb­nis­se, auch wenn dies bedeu­tet, dass Sie kurz­fris­tig Chan­cen ver­pas­sen. Nut­zen Sie den Wert die­ser Ergeb­nis­se, um lang­fris­tig mehr und mehr Frei­heit in Ihren Bemü­hun­gen zu gewin­nen.“ Es geht ihm nicht um Per­fek­tio­nis­mus, son­dern dar­um, das auf­zu­bau­en, was er viel frü­her (New­port, 2012) schon „Kar­rie­re­ka­pi­tal“ (care­er capi­tal) genannt hat: sel­te­ne und wert­vol­le Fähig­kei­ten. Die damit ein­her­ge­hen­de Repu­ta­ti­on kann dann genutzt wer­den, um die eige­nen Hand­lungs­op­tio­nen zu erhö­hen und etwa weni­ger zu arbei­ten oder an einem Ort der Wahl zu arbei­ten oder an den inter­es­san­tes­ten Pro­jek­ten. Wer etwas anzu­bie­ten hat, kann For­de­run­gen stel­len. Und hier zählt eben nicht die auf Pseu­do-Pro­duk­ti­vi­tät opti­mier­ten Fähig­keit beson­ders schnell E‑Mail Ping­pong zu spie­len, hier zählt ein­zig die Qua­li­tät der Ergebnisse.

Fazit

Cal New­port plä­diert mit sei­ner Phi­lo­so­phie „Slow Pro­duc­ti­vi­ty“ für eine Abkehr vor vor­der­grün­di­ger Pseu­do-Pro­duk­ti­vi­tät und für eine Rück­be­sin­nung auf hand­werk­lich gute Wis­sens­ar­beit. Er ana­ly­siert dabei die sys­te­mi­schen Rah­men­be­din­gun­gen in Orga­ni­sa­tio­nen, genau­so wie die Ein­flüs­se moder­ner Kom­mu­ni­ka­ti­ons­tech­no­lo­gie. Und er hält zahl­rei­che Rat­schlä­ge bereit, wie es dem Wis­sens­ar­bei­ter im 21. Jahr­hun­dert trotz­dem gelin­gen kann, nach die­sen Prin­zi­pi­en sei­ner Phi­lo­so­phie zu arbeiten. 

Literatur

New­port, C. (2012). So good they can’t igno­re you: Why skills trump pas­si­on in the quest for work you love (1st ed). Busi­ness Plus.

New­port, C. (2016). Deep work: Rules for focu­sed suc­cess in a dis­trac­ted world (First Edi­ti­on). Grand Cen­tral Publishing.

New­port, C. (2024). Slow pro­duc­ti­vi­ty: The lost art of accom­plish­ment wit­hout burn­out. Portfolio/Penguin.

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2 Kommentare

oli 4. Juni 2024 Antworten

Es soll Arbeit­ge­ber geben, die der Mei­nung sind, dass man an 4 Arbeits­ta­gen mit 9h Arbeits­zeit „Res­sour­cen“ effi­zi­en­ter nutzt als an 5 Arbeits­ta­gen mit 8h Arbeitszeit.
Ich hal­te das ja für eine Fake Idee.
Ich wer­de es für euch herausfinden.

Marcus Raitner 6. Juni 2024 Antworten

Lie­ber Oli, allein der Begriff „Nut­zung von Res­sour­cen“ klingt in dem Zusam­men­hang schreck­lich falsch. Ich kann mir aber durch­aus vor­stel­len, dass durch die Beschrän­kung der ver­füg­ba­ren Arbeits­zeit der Par­kin­son-Effekt durch­aus für mehr Pro­duk­ti­vi­tät sor­gen könn­te durch die stär­ke­re Beschrän­kung auf das Wesent­li­che. Aber 4 x 9h klingt für mich nicht nach einem Ansatz.

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