Die verborgenen Risiken von ChatGPT & Co. für Produktivität und Kompetenzentwicklung

ChatGPT & Co. ver­spre­chen eine Revo­lu­ti­on der Büro­ar­beit. Doch birgt die schein­ba­re Effi­zi­enz­stei­ge­rung durch gene­ra­ti­ve KI auch uner­war­te­te Gefah­ren für unse­re Pro­duk­ti­vi­tät. Ein Blick zurück auf die Ein­füh­rung des PCs zeigt über­ra­schen­de Par­al­le­len und warnt vor einer neu­en „PC-Fal­le“.

Der Effekt von gene­ra­ti­ver künst­li­cher Intel­li­genz wie ChatGPT & Co. auf die Arbeits­welt könn­te deut­lich weni­ger posi­tiv sein als dies im All­ge­mei­nen pos­tu­liert wird. Es ist nicht zu bestrei­ten, dass die­se Tech­no­lo­gie, sobald sie flä­chen­de­ckend und naht­los in die Office-Soft­ware inte­griert wur­de, hel­fen wird, all­täg­li­che Auf­ga­ben schnel­ler zu erle­di­gen. Einen Bericht zusam­men­fas­sen, eine E‑Mail auf­set­zen, einen Work­shop ent­wer­fen und vie­les ande­re mehr geht damit im Hand­um­dre­hen. Um zu ver­ste­hen, wie genau das auch einen nega­ti­ven Effekt auf die Pro­duk­ti­vi­tät haben kann, müs­sen wir eini­ge Jahr­zehn­te zurück­ge­hen, als eine ande­re Tech­no­lo­gie Ein­zug in unse­re Büros hielt: der PC.

Ich selbst habe die­se Zeit nicht mehr erlebt. In mei­nem Stu­den­ten- und dann Arbeits­le­ben war es schon selbst­ver­ständ­lich, einen PC zu haben und mit Office-Pro­gram­men Tex­te, Prä­sen­ta­tio­nen und vor allem die Kom­mu­ni­ka­ti­on zu bewäl­ti­gen. Vor die­ser Zeit hieß die Kom­mu­ni­ka­ti­on aber noch Schrift­ver­kehr und die Tex­te Schrift­gut. Die Fach­kraft tipp­te nicht, sie dach­te und dik­tier­te. Die Schreib­kraft ste­no­gra­fier­te und tipp­te danach alles auf einer Schreib­ma­schi­ne, wie auf dem Titel­bild die­ses Arti­kels aus dem Jahr 1952, auf­ge­nom­men in der Ver­wal­tung einer aus­tra­li­schen Landmaschinenfabrik.

Mit dem Ein­zug des PCs auf jeden Schreib­tisch ging die­se Arbeits­tei­lung ver­lo­ren und all­mäh­lich brauch­te es kei­ne Schreib­kräf­te mehr, weil das die Fach­kräf­te jetzt selbst erle­di­gen konn­ten. Auf den ers­ten Blick scheint es ein kla­rer Gewinn an Effi­zi­enz, Schreib­kräf­te durch Tech­no­lo­gie zu erset­zen und ein­fach direkt zu tip­pen anstatt umständ­lich zu dik­tie­ren und das Dik­tier­te zu über­tra­gen. Erst auf den zwei­ten Blick offen­ba­ren sich die nega­ti­ven Effek­te auf die Pro­duk­ti­vi­tät wenn die Fach­kräf­ten zuneh­mend von ihrer eigent­li­chen Arbeit abge­lenkt sind: Laut einer Stu­die von Res­cue­Time aus dem Jahr 2018 prüft der durch­schnitt­li­che Wis­sens­ar­bei­ter sei­ne E‑Mails oder Chat Nach­rich­ten alle 6(!) Minu­ten und als Kon­se­quenz dar­aus schaf­fen 40 % der Wis­sens­ar­bei­ter weni­ger als 30 Minu­ten kon­zen­trier­ter Arbeit am Stück.

Mit gene­ra­ti­ver KI dro­hen wir in eine ähn­li­che Fal­le zu tap­pen. Wozu es ges­tern noch rela­tiv uner­fah­re­ne Mit­ar­bei­ten­de oder Aus­zu­bil­den­de brauch­te, die dadurch das Hand­werk ler­nen und Erfah­rung auf­bau­en, reicht heu­te der rich­ti­ge Prompt gepaart mit aus­rei­chen­der Beur­tei­lungs­kom­pe­tenz. Der erfah­re­ne, den­ken­de und krea­ti­ve Mensch wird durch die Tech­no­lo­gie nicht ver­drängt, wohl aber die Men­schen die mit eher unter­stüt­zen­den, vor- oder nach­be­rei­ten­den Tätig­kei­ten beschäf­tigt sind. Das wird Juni­or Con­sul­tants tref­fen aber auch Assis­ten­ten von Füh­rungs­kräf­ten, so wie die Sekre­tä­rin­nen vor­her dem PC zum Opfer fie­len. Je weni­ger Erfah­rung und Beur­tei­lungs­kom­pe­tenz, des­to eher ersetzbar.

Stellt sich frei­lich die Fra­ge, wie künf­tig noch Erfah­rung auf­ge­baut wer­den kann, wenn es die­se Stel­len für (noch) uner­fah­re­ne Mit­ar­bei­ten­de nicht mehr gibt. Oder jeden­falls nicht im sel­ben Maße gibt wie heu­te. Wir lau­fen hier Gefahr, die­se Lern­pha­se zu über­sprin­gen oder dras­tisch zu ver­kür­zen und sich mit ein paar Prompts und rudi­men­tä­rem Ver­ständ­nis gleich als Exper­te zu füh­len, weil das Ergeb­nis der KI so über­zeu­gend aus­sieht. Ein klas­si­scher Fall des soge­nann­ten „Dun­ning-Kru­ger-Effekts“ (Dun­ning & Kru­ger, 1999) wonach wir dazu nei­gen, unse­re Fähig­kei­ten auf­grund von einem ers­ten grund­le­gen­den Ver­ständ­nis dra­ma­tisch zu über­schät­zen. Wir bräuch­ten so etwas wie einen KI-Füh­rer­schein, der sicher­stellt, dass jeder Nut­zer wirk­lich in der Lage ist das maschi­nel­le Ergeb­nis zu beur­tei­len und dazu benö­tigt er nach Dave Dun­ning (Mor­ris, 2010) die Fähig­keit das kor­rek­te Ergeb­nis selbst zu erstellen: 

Wenn Sie inkom­pe­tent sind, sind die Fähig­kei­ten, die Sie brau­chen, um eine kor­rek­te Ant­wort zu geben, genau die Fähig­kei­ten, die Sie brau­chen, um zu erken­nen, was eine kor­rek­te Ant­wort ist.

Literatur

Jus­tin Kru­ger und David Dun­ning, »Unskil­led and una­wa­re of it: How dif­fi­cul­ties in reco­gni­zing one’s own incom­pe­tence lead to infla­ted self-assess­ments.«, Jour­nal of Per­so­na­li­ty and Social Psy­cho­lo­gy 77, Nr. 6 (1999): 1121 – 34, https://doi.org/10.1037/0022 – 3514.77.6.1121.

Errol Mor­ris, »The Anosognosic’s Dilem­ma: Something’s Wrong but You’ll Never Know What It Is (Part 1)«, Opi­ni­ona­tor (blog), 20. Juni 2010, https://opinionator.blogs.nytimes.com/2010/06/20/the-anosognosics-dilemma‑1/.

Über Füh­rung zu lesen ist das Eine, etwas voll­kom­men ande­res und deut­lich schwie­ri­ger ist es jedoch, dei­nen indi­vi­du­el­len Füh­rungs­stil zu fin­den und die­sen im hek­ti­schen Füh­rungs­all­tag kon­se­quent umzu­set­zen.

Mit mei­nem Online-Coa­ching, auf­bau­end auf The­sen und Prin­zi­pi­en mei­nes „Mani­fests für mensch­li­che Füh­rung“, unter­stüt­ze ich dich fle­xi­bel, unkom­pli­ziert und mit mei­ner gan­zen Erfah­rung dabei, dei­ne Füh­rungs­phi­lo­so­phie zu schär­fen und die­ser in der täg­li­chen Hek­tik treu zu bleiben.

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Von Marcus Raitner

Hi, ich bin Marcus. Ich bin der festen Überzeugung, dass Elefanten tanzen können. Daher begleite ich Organisationen auf ihrem Weg zu mehr Agilität. Über die Themen Führung, Digitalisierung, Neue Arbeit, Agilität und vieles mehr schreibe ich seit 2010 in diesem Blog. Mehr über mich.

3 Kommentare

Ich ten­die­re inzwi­schen eben­so dazu die Nut­zung von LLMs kri­tisch zu betrach­ten. Auf der einen Sei­te nut­ze ich LLMs ger­ne um zB mei­ne Text noch­mals einer Recht­schreib­kon­trol­le zu unter­zie­hen (ich habe ein Copy­rihgt auf Tipp­fäh­ler) und viel­leicht auch mal eine kom­pli­zier­ten Sät­ze etwas schlei­fen zu lassen.
Ich habe LLMs auch schon genutzt um mir kom­plet­te Epi­cs erstel­len zu las­sen – um dann fest­zu­stel­len, dass ich anfan­ge auf­zu­hö­ren zu denken!
Ich glau­be wir soll­ten uns als Gesell­schaft genau damit beschäf­ti­gen, dass durch den Ver­lust des krea­ti­ven Pro­zes­ses sich mit einem The­ma aus­ein­an­der­zu­set­zen, dem täg­li­chen trai­nie­ren des „Denk­mus­kels“ und auch der Abwe­sen­heit von Feh­lern – und damit die feh­len­de Mög­lich­keit aus die­sem Pro­zess zu ler­nen, wir eher lang­fris­tig einen Nach­teil erlangen.

Eine wich­ti­ge Ergän­zung, lie­ber Oli. Die Ver­nach­läs­si­gung des Denk­mus­kels sehe ich tat­säch­lich auch als Pro­blem. Und nach und nach geht die Beur­tei­lungs­kom­pe­tenz damit auch ver­lo­ren und man winkt ein­fach durch, was die Maschi­ne aus­spuckt, weil es irgend­wie ganz plau­si­bel und gut klingt.

Ich den­ke, es kommt dar­auf an, wie wir die KI nut­zen. Zwei mei­ner Töch­ter haben sich ChatGPT run­ter­ge­la­den und expe­ri­men­tie­ren mit der KI in der Wei­se, dass sie sich Vor­schlä­ge für gera­de anfal­len­de klei­ne Pro­jek­te in der Fami­lie zu geben. Dar­auf­hin ent­wi­ckeln sie wei­te­re eige­nen Idee, die sie mit der KI wie­der tei­len, und die­se Ideen mit ihr fort­zu­ent­wi­ckeln. Das erin­nert mich an das, was ich seit Jah­ren mit dem Soft­ware-Ent­wick­lungs­team wäh­rend der Refi­ne­ments von User Sto­ries machen. Hier wird eine Idee vom Team bespro­chen. Durch die unter­schied­li­chen Exper­ti­sen der Team­mit­glie­der kom­men unter­schied­li­che wei­te­ren Ideen für eine Lösung dazu. D.h. jedes Team-Mit­glied trai­niert hier sei­nen Denkmuskel.
Nach Gesprä­chen mit mei­nen Töch­tern über ihre gewon­nen Erfah­run­gen mit der KI sind sie sich sicher, dass sie eher Denk­mus­kel­nut­zung-för­der­lich sind, wenn sie so ein­ge­setzt werden.

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