Für alle die nicht das Glück oder die Zeit hatten, das großartige IF-Forum „Mensch und Management“ am 11.04.11 live oder wenigstens im Live-Stream zu verfolgen, stellen Helmut Kiermeier und ich unseren Vortrag „Verwalten Sie noch oder führen Sie schon?“ hier zum Nachlesen zur Verfügung.
Sind IT-Projekte „overmanaged“ und „underled“? Die Popularität von Scrum und Co. könnte darauf hindeuten: Der Projektleiter, „degradiert” zum Scrummaster, gestaltet nur noch Rahmenbedingungen und beseitigt Hindernisse; das Team organisiert sich selbst. Agil oder nicht, Projektmanagement heißt Führung von hochqualifizierten Wissensarbeitern unter schwersten Bedingungen: Termin- und Kostendruck, Instabilität von Team und Anforderungen, Ressourcenknappheit, Neuartigkeit von Technologie und Umfeld, u.v.m. Gefragt sind echte Führungskräfte, die Sinn stiften, ein förderliches Umfeld schaffen, Vertrauen in die Mitarbeiter haben, Fehler zulassen und daraus lernen. Ein Plädoyer für mehr Führung und weniger Verwaltung.
Verwaltung vs. Führung
Zunächst ein kleiner Ausflug zu den Anfängen des Managements. Das Zitat von Frederick Winslow Taylor bringt sehr plakativ das grundlegende Paradigma, die Grundhaltung, zum Ausdruck (siehe auch hier):
Einen intelligenten Gorilla könnte man so abrichten, dass er ein mindestens ebenso tüchtiger und praktischer Verlader würde als irgendein Mensch. Und doch liegt im richtigen Aufheben und Wegschaffen von Roheisen eine solche Summe von weiser Gesetzmäßigkeit, eine derartige Wissenschaft, dass es auch für die fähigsten Arbeiter unmöglich ist, ohne die Hilfe eines Gebildeteren die Grundbegriffe dieser Wissenschaft zu verstehen oder auch nur nach ihnen zu arbeiten. (Frederick Winslow Taylor)
Das Paradigma des Industriezeitalters
Taylor ist offenbar überzeugt, dass es eine unüberwindliche Kluft zwischen dummen Arbeiter einerseits und gebildeten Manager andererseits gibt. Das daraus resultierende Paradigma im Management von Menschen lautet also:
Der Arbeiter wird als austauschbar und abhängig gesehen, eine schier unerschöpfliche Ressource – letztendlich ein Kostenfaktor, den es zu optimieren gilt. Das Paradigma des Industriezeitalters lautet also: Menschen werden wie Dinge behandelt.
Der Erfolg scheint Taylor sogar recht zu geben: Immerhin gelang es mit dieser Grundhaltung die Produktivität der Industriearbeit im 20. Jahrhundert um das fünfzigfache zu steigern. Wo ist also das Problem?
Für das Industriezeitalter mag diese entwürdigende Reduktion des Menschen auf seine bloße Arbeitskraft noch einigermaßen passend gewesen sein. Und für rein manuelle Tätigkeiten ist es vielleicht sogar heute noch ein geeignetes Paradigma – wenngleich immer noch entwürdigend. Nur gibt es immer weniger rein manuelle Tätigkeiten. Die Arbeitswelt in Summe hat sich seither radikal verändert: Immer mehr Menschen arbeiten mehr mit Ihrem Kopf, ihrem Wissen, ihrer Erfahrung.
Und für diese Wissensarbeiter passt das Paradigma des Industriezeitalters ganz und gar nicht. Wir brauchen einen Paradigmenwechsel.
Führung von Wissensarbeitern
Bei der Führung von Wissensarbeitern sollte man von der Annahme ausgehen, dass die Organisation sie mehr braucht als sie die Organisation. (…) Das bedeutet, dass man sie führen sollte als wären sie ehrenamtlich tätig. (Peter F. Drucker, Management Rev Ed. S. 56)
Wir haben also den dressierten Gorilla einerseits und den ehrenamtlich tätigen Wissensarbeiter andererseits.
Wissen und Erfahrung ist nicht einfach nur eine andere Form von Arbeitskraft, die aber im Übrigen genauso „gemanaged“ werden kann wie bisher. Vom „gebildeteren“ Manager wie bei Taylor kann schon lang keine Rede mehr sein, höchstens vom anders gebildeten.
- Die Wissensarbeiter sind Experten ihrer jeweiligen Disziplin, sie sind eher einzigartig als austauschbar.
- Sie sind unabhängig und fühlen sich in erster Linie ihrer Disziplin zugehörig und erst dann der Organisation.
- Sie stellen ihr Kapital – ihr Wissen und ihre Erfahrung – freiwillig zur Verfügung.
Das neue Paradigma muss also lauten: Menschen kann man nicht managen. Die Aufgabe ist es Menschen zu führen.
IT-Projekte und IT-Projektmanagement
Beginnen wir mit einem grandios gescheiterten IT-Projekt: Das Bild zeigt den Mars Climate Orbiter, der 1999 beim Anflug auf den Mars aufgrund eines Navigationsfehlers verloren ging. Kostenpunkt 160 Mio. US $.
Die Ursache dieses Navigationsfehlers war ebenfalls schnell klar: Während die NASA Impulse im international gebräuchlichen SI-System mit der Einheit Newton mal Sekunde berechnete, wurde die Navigationssoftware des MCO vom Hersteller Lockheed Martin für das imperiale System mit der Impulseinheit Pound-force mal Sekunde ausgelegt, also um den Faktor 4,45 größer.
Dabei ist weniger erstaunlich, dass verschiedene Einheiten benutzt wurden, sondern vielmehr, dass der Fehler so lange unentdeckt blieb. Als Ursachen werden im Untersuchungsbericht genannt: schlechte Abstimmung, zu wenig Erfahrung, Überlastung. Ein erfahreneres, besser eingespieltes und weniger belastetes Bodenteam hätte diesen Fehler auch während des Flugs noch korrigieren können.
Diese drei Trends sehe ich in Bezug auf IT-Projekte und IT-Projektmanagement: IT-Projekte werden größer und komplexer. Der Projekterfolg wichtiger und kritischer denn je. Projektteams bestehen zunehmend aus Mitarbeitern verschiedener Unternehmen, verteilt auf verschiedene Standorte und sozialisiert in unterschiedlichen Kulturen. Vor diesem Hintergrund, heißt die Herausforderung im Management von IT-Projekten ganz klar: Führung von Wissensarbeitern unter extremen Bedingungen (im Detail nachzulesen hier).
Führung von Wissensarbeitern
Motivation von Wissensarbeitern
Beginnen wir zunächst damit was Wissensarbeiter NICHT motiviert: Geld oder Incentives. Warum erklärt Dan Pink sehr schön in folgendem Vortrag.
Wissensarbeiter treiben drei Motive an:
- Selbstbestimmung (autonomy)
- Herausforderung des Könnens (mastery)
- Sinn des eigenen Beitrags (purpose)
Prinzipien der Führung von Wissensarbeitern
Die Führung von Wissensarbeitern bedarf eines Umdenkens, eines Paradigmenwechsels, in viererlei Hinsicht.
Vertrauen vor Kontrolle
Wissensarbeiter reagieren sehr positiv auf ein Umfeld, in dem Vertrauen auch spürbar gelebt wird (Motiv eins: Selbstbestimmung). Die typischen Szenarien in Projekt- oder Reporting-Meetings, in denen die Führungskraft versucht, durch intensives Hinterfragen die Details, z.B. der Planung oder der Umsetzung einer Aufgabe zu ergründen, empfinden Wissensarbeiter als Einschränkung bis hin zur Gängelung. Dabei entsteht beim Mitarbeiter leicht die Empfindung, dass er kontrolliert und nicht geführt wird und er interpretiert dies als Misstrauen.
Führungskräfte sollten die Grenzen für die selbstbestimmte Umsetzung der beauftragten Aufgabe nicht zu eng setzen und sich bewusst zurück nehmen, indem sie lediglich das gewünschte Ergebnis klar definieren, nicht jedoch den Weg dahin vorgeben oder zu sehr einschränken.
Konstruktive Fehlerkultur vor Fehlervermeidung
Der positive Umgang mit Fehlern ist ein weiteres wichtiges Prinzip, die Motivation bzgl. der Selbstbestimmung des Wissensarbeiters zu unterstützen. Dies ist nicht damit zu verwechseln, dass der Anspruch schon sein muss, fehlerfrei Produkte herzustellen und eine möglichst geringe Fehlerquote anzustreben. Gemeint ist hierbei die Frage, wie mit tatsächlich aufgetretenen Fehlern durch die Führungskräfte umgegangen wird. In vielen Unternehmen wird eine Kultur gelebt, in der Fehler nicht Gegenstand von Betrachtungen sind oder sein dürfen. Fehler werden kleingeredet, verschwiegen und möglichst nicht in der Hierarchie nach oben berichtet. Meist ist die Angst vor den negativen Konsequenzen die Ursache dafür.
Es bedarf einer grundsätzlich anderen Auffassung bzgl. des Umgangs mit Fehlern, um eine Kultur zu entwickeln, in denen Mitarbeiter animiert werden, Fehler möglichst früh und möglichst laut kundzutun. Dies eröffnet der Organisation die Chance, sich Optionen zur künftigen Vermeidung und jetzigen Beseitigung von Fehlern zu erarbeiten. Fehler müssen als etwas Positives behandelt werden, bieten Sie doch die Chance, die Dinge zu verbessern.
Faszination durch Sinn vor Befehlsgewalt
Den Sinn der eigenen Arbeit im Gesamtzusammenhang zu erklären, zu vermitteln und begreiflich zu machen muss zentrale Aufgabe der Führungskraft von Wissensarbeitern sein. Es genügt nicht, das Ziel und den Weg zum Ziel zu beschreiben und zu erläutern. Viel wichtiger als das „Wohin“ ist die Erläuterung des „Warum“ und des „Warum ich“.
Sich für der Beantwortung dieser Frage deutlich mehr Zeit im Führungsalltag zu nehmen, lohnt sich unserer Auffassung nach besonders für Führungskräfte, die Wissensarbeiter führen.
Vernetzung vor Hierarchie
Der klassische Manager hatte einen Wissens- oder wenigstens einen Informationsvorsprung. Daher konnte er und nur er die Richtung vorgeben. Der Wissensvorsprung existiert nicht mehr in der Führung von Wissensarbeitern und der Informationsvorsprung wird allenfalls künstlich erzeugt durch Geheimniskrämerei. Frei nach dem Terminator-Motto „Ich gebe Ihnen gar nicht genug Informationen, dass es sich für Sie lohnt zu denken!“. Gefährlich wo heute ganze Märkte zusammenbrechen oder sich radikal verändern (z.B. Musik oder Printmedien). Wenige Führungskraft, und seien sie noch so intelligent und informiert, können diesen bahnbrechenden Veränderungen nicht Herr werden. Die Kunst liegt in der oft bemühten Weisheit der vielen, in der Gestaltung eines Netzwerkes anstatt einer Hierarchie. Gestaltung jedoch nur im Sinne von Rahmenbedingungen zur Selbstorganisation schaffen. Die Führungskraft kümmert bringt Menschen zusammen und sorgt für regen Informationsfluss und Austausch, ist das was Tom deMarco so treffend „katalytische Persönlichkeit“ nennt.
Eigentlich sind diese Gedanken alle so neu nicht, wie das Zitat von Laotse aus dem 6. Jahrhundert v. Chr. zeigt:
Der beste Führer ist der, dessen Existenz gar nicht bemerkt wird, der zweitbeste der, welcher geehrt und gepriesen wird, der nächstbeste der, den man fürchtet und der schlechteste der, den man hasst. Wenn die Arbeit des besten Führers getan ist, sagen die Leute: „Das haben wir selbst getan“
Bildnachweis
Die Fotos des IF-Forums wurden uns von Rolo Zollner zur Verfügung gestellt. Herzlichen Dank.