Dieses Blog begann ich 2010, zeitgleich mit meiner Registrierung bei Twitter. Meine Motivation dafür war eine Mischung aus Bewunderung für erfolgreiche Blogger und Influencer, wie das heute heißen würde, und der Notwendigkeit für unsere damals frisch gegründete Beratungsfirma Content-Marketing zu betreiben.
Das ist jedenfalls die Geschichte, die ich mir und anderen stets erzählt habe; mein kläglicher Versuch, meinen eitlen Umgang mit den sozialen Medien zu rationalisieren.
Im Laufe der Jahre haben sich die Dinge recht erfreulich entwickelt. Nach und nach bekam ich mehr Seitenaufrufe, mehr Kommentare, mehr Likes und mehr Retweets. Ich baute mir meine eigene ansehnliche Blase an Lesern auf und holte mir darin Woche für Woche mal mehr mal weniger Beifall ab. Vereinzelt gab es auch kritische Anmerkungen, aber überwiegend erhielt ich viel Zuspruch. Es fühlte sich gut an.
Ich schrieb, um meine Gedanken zu strukturieren. Sagte ich jedenfalls; wieder so ein Versuch der Rationalisierung. Die Zustimmung von Lesern sollte nur Bestätigung und Feedback sein, ob und wie gut ich Gedanken auf den Punkt bringen konnte. Schließlich kann man nur steuern, was man messen kann.
Je mehr Bestätigung ich aber erhielt, desto mehr Drang verspürte ich jede Woche wieder einen Artikel zu veröffentlichen. Ich bin es meinen Lesern schuldig, dachte ich mir. Ich schrieb am Wochenende und ich schrieb teils auf dem iPhone während ich neben unseren Kindern wartete, dass sie endlich einschliefen.
Jeder neue Artikel war aufregend – weniger das Schreiben an sich, sondern der Moment als ich endlich auf „Veröffentlichen“ klicken konnte und sodann die frohe Botschaft auf Twitter und LinkedIn posten konnte. Wieviele Likes, Retweets und Kommentare würde ich bekommen? Wie viele Seitenaufrufe? Wie viele neue Follower und wie viele Abonnenten meines Newsletters? Nach und nach hatte ich mir ein Universum an Kennzahlen meiner Eitelkeit geschaffen. Es fühlte sich gut an.
Diese Kennzahlen wurden zum Selbstzweck. Ich schrieb nicht mehr, weil mir ein Thema wichtig war oder weil ich meine Gedanken ordnen wollte, sondern weil ich mich auf den Zuspruch freute und die wöchentliche Bestätigung meiner Wichtigkeit und Existenz benötigte.
Lange war mir das nicht bewusst. Erst als der Zuspruch ausblieb und sogar in Ablehnung umschlug, begann ich mich für diesen Suchtmechanismus zu interessieren. Ohne den Dopaminkick für jedes Like, empfand ich Social-Media zunehmend als Belastung und die Diskussionen nur noch anstrengend. Ich las Deep Work und Digital Minimalism von Cal Newport und Indistractable von Nir Eyal (und aktuell Stolen Focus von Johann Haris). Ich verabschiedete mich von Social Media, löschte die Apps auf meinem iPhone, kam doch zurück, verabschiedete mich wieder und kam wieder zurück.
The modern devil is cheap dopamine.
Naval Ravikant
Zwei Jahre Corona und insbesondere zwei Jahre Coronapolitik gingen auch an mir nicht spurlos vorüber. Vielleicht hätte ich einfach schweigen sollen. Vielleicht hätte auch ich mich auf meinem Profilbild auf Twitter gleich zu Beginn der Pandemie mit einer Maske schmücken sollen, harten Lockdown oder gar #NoCovid fordern und dann die Verfügbarkeit neuer Impfstoffe als Erlösung feiern sollen und natürlich meinen Twitternamen entsprechend mit zwei bis drei Spritzen schmücken sollen.
Aber ich hatte Fragen. Der Fokus auf ein einziges Problem schien mir zu eng. Die Lösungsversuche schienen mir der Komplexität nicht angemessen und ihre Wirkung schien mir nie richtig überprüft zu werden. Ich nahm blinden Aktionismus wahr. Viel hilft viel und andere machen es auch so. Die Kollateralschäden und Nebenwirkungen schienen mir zu stark ausgeblendet zu werden.
Vor allem aber hatte ich Sorge um die Auswirkungen dieser Krise auf die Gesellschaft und unsere Demokratie, insbesondere weil selbst Experten mit kritischen Argumenten von Beginn an nicht gehört, angegriffen, ausgegrenzt und diffamiert wurden (ich denke da an Streeck, Lütge, Pürner in Deutschland oder die Autoren der Great Barrington Declaration und die Reaktion auf Schwedens Sonderweg auf internationaler Ebene).
Im Manifest für menschliche Führung heißt es Diversität und Dissens mehr als Konformität und Konsens, weil wir nur durch die Vielfalt der Blickwinkel und einen offenen Diskurs über unterschiedliche Ansichten angemessene Lösungen für komplexe Probleme finden. Übersimplifizierte, eindimensionale Lösungsversuche erzeugen immer mehr Probleme als sie lösen.
Explanations exist; they have existed for all time; there is always a well-known solution to every human problem — neat, plausible, and wrong.
H.L. Mencken
Ich fasste meine Sorge schon im April 2020 in ein dystopisches Romanfragment inspiriert von Kafka und Orwell, zwei Autoren, die ich beide sehr schätze und die beide ihre „Freude“ an der Absurdität dieser Pandemie gehabt hätten. Dass Markus Söder seinen Bürgern mit einsamen Weihnachten drohte, wie man kleinen ungezogenen Kindern mit Fernsehverbot droht, konnte ich auch nicht einfach stehen lassen: Eigenverantwortung statt Gehorsam schien mir das bessere und nachhaltigere Konzept (rückblickend kann man feststellen, dass Schweden damit nicht schlecht gefahren ist). Ich schrieb über die Komplexität der Pandemie und Ende letzten Jahres schließlich über die Mechanismen der Angst, welche die Politik systematisch einsetzte und immer noch einsetzt. Aus dieser Angst wurde Hetze und Spaltung und ich bin nicht bereit, diese Spaltung zu tolerieren. Und auch mein kleines Romanfragment bekam eine Fortsetzung, um zu verdeutlichen, wohin die weithin akzeptierte Logik der Teilhabe am öffentlichen Leben nur nach offiziell anerkanntem Nachweis der Ungefährlichkeit führen kann.
Anders als für meine Artikel die Jahre zuvor erntete ich dafür jeweils viel Kritik und Vorwürfe, die sich irgendwo zwischen Häresie und Defätismus bewegten. Das war ich nicht gewohnt, insbesondere nicht in der Härte und Verbissenheit. Die Seichtigkeit dieses Diskurses angeheizt von den Algorithmen der sozialen Medien missfiel mir zunehmend. Ich stand in der Kritik, verlor Follower und Abonnenten, mancher blockte mich auf Twitter und einige distanzierten sich öffentlich von mir für ein „falsches“ Like oder einen „falschen“ Retweet meinerseits.
Ich will mich aber nicht beklagen. Ohne diese Erfahrungen hätte ich einfach weitergemacht. Ich hätte nie mein Verhältnis zu den sozialen Medien hinterfragt, ihnen zeitweise den Rücken gekehrt und einen besseren Umgang mit ihnen erlernt. Ich hätte mich weiter an den Likes meiner Filterblase erfreut, mich weiter über „die anderen“ empört und über den Zuspruch meiner Follower zu dieser Empörung gefreut. Und ich hätte nie meine Motivation zum Schreiben hinterfragt und erkannt, dass ich mittlerweile hauptsächlich für den Beifall schrieb und nicht mehr wegen der Freude am Schreiben und den Themen, die mich bewegen.
Ich werde weiter schreiben, weil ich gerne schreibe und weil es meine Gedanken tatsächlich ordnet. Hoffentlich im Laufe des Jahres weniger über politische Themen und hoffentlich weniger über diese Pandemie und unseren Umgang damit. Mein Selbstwertgefühl hängt aber nach diesen Erfahrungen nicht mehr so sehr vom Zuspruch ab. Darum wird es vielleicht auch nicht jede Woche einen Artikel geben, sondern immer dann, wenn ich Muße finde und mir ein Thema wichtig ist.
Photo von Kelly Sikkema auf Unsplash
5 Kommentare
Lieber Marcus,
was mir in den Sinn kommt ist der Punkt, dass es immer ums Lernen und besser Machen geht. Wir sind Wesen, die miteinander kommunizieren (müssen) in dieser komplexen Welt. Machen wir sie besser, indem wir uns mitteilen.
Danke :-)
Vielen Dank lieber Marcus für deine immer wieder offenen und so reflektierten Gedanken. Das resoniert alles sehr stark in mir. Und du hast meinen tiefen Respekt, dass du damit diesen steinigen Weg gegangen bist. Bin dir vorher gefolgt und tue es weiter :-)
Gott sei Dank gibt es im Leben immer wieder Momente, die helfen, aus den Selbstlügen und damit einher gehenden Automatismen, aufzuwachen und für sich richtige Schlüsse zu ziehen. Vielleicht auch deshalb, weil diese Momente in ihrem Moment manchmal derart Kräfte von einem abverlangen, das einem das wirklich Wichtige wieder wichtig werden kann, gar muss. Lieber Marcus, herzlichen Dank für auch diesen Impuls
Lieber Marcus, ich glaube, dass Du einfach die Gabe hast das zu schreiben, was Deinen Gedanken entspringt und es sind am Ende Deine Gedanken. Ich respektiere Deine Worte sehr und als Coach und gleichermaßen Kollege kann ich Deinen Weg sehr gut nachvollziehen. Es zeigt sich doch so sehr, was auch in Deinem Manifest beschrieben ist. Führung beginnt bei mir selbst
Hi Marcus, danke.
In einigen Hinsichten ging es mir ähnlich: Wissen wollen, wie die Dinge funktionieren.
Der Lerneffekt stellte sich bald ein.
Wenn ich auf meine Weise schreibe,
gibt es nun mal nur sehr wenige likes.
Erfahrungen auf ähnlichen Plattformen konnte ich mir ersparen.
Hier mein Résumé zu Facebook:
https://philosophischereplik.home.blog/2020/07/09/vernetzende-medien/