Für mich war 2019 ein Jahr im Fluss. Vieles hat sich verändert und einiges hat sich einfach ergeben, entstanden aus der Situation und den vorhandenen Möglichkeiten. Aus dem Manifest für menschliche Führung wurde ungeplant ein Buch und ich damit Autor durch Zufall. Die Nachfrage nach dem Buch befeuerte das Interesse an den Themen unserer agilen Transformation und umgekehrt. Und daraus ergaben sich mehr Vorträge, Workshops, Diskussionen und neue Kontakte denn je. Für all das bin ich rückblickend sehr dankbar.
Autor durch Zufall
Alles begann vor fast zwei Jahren mit diesem Tweet. Dem vorausgegangen war ein Workshop in der BMW Group IT, in dem vier Hierarchieebenen darüber nachdachten, wie sich Führung durch den Wandel hin zu mehr Agilität, Selbstorganisation und Subsidiartität verändern muss. Am Ende dieses Workshops stand irgendwie die Idee im Raum, unsere unfertigen Überlegungen zu Führung im Stile des Manifests für agile Softwareentwicklung zusammenzufassen. Genau das tat ich dann zunächst auf Twitter und LinkedIn und dann im Februar 2018 in Form des Manifest für menschliche Führung hier im Blog.
Als der erste Jahrestag des Manifests im Februar dieses Jahres näher rückte, wollte ich eigentlich zunächst nur eine Aktualisierung des Manifests machen und beispielsweise „Fragen stellen mehr als Antworten geben“ ergänzen. Irgendwie stolperte ich dann aber über Leanpub und beschloss, das Manifest mit allen dazugehörigen Artikeln als E‑Book zu veröffentlichen.
Die positive Resonanz auf das E‑Book brachte mich auf die Idee, dass ein gedrucktes Buch auch sehr schön wäre, nicht zuletzt weil man das jemandem im wahrsten Sinne des Wortes an die Hand geben kann. Also entstaubte ich meine seit meiner Promotion vergessenen LaTeX-Kenntnisse (wie das Fahrradfahren scheint man auch das nicht wirklich zu verlernen) und überarbeitete das E‑Book nochmals komplett zu einem Taschenbuch, das seit 10.4.2019 bei Amazon (nur in der deutschen Fassung … bisher jedenfalls) erhältlich ist.
Schon die ersten 100 verkauften Exemplare machten mich sehr stolz, genauso wie die ersten fünf Sterne bei Amazon. Nie hätte ich aber mit den derzeit fast 3.000 verkauften Exemplaren und 51 Sternebewertungen mit einem Durchschnitt von 4,7 bei Amazon gerechnet. Und am allerwenigsten hätte ich mit so talentierten Lesern wie Sabina Lammert gerechnet, die uns allen dieses großartige Poster zum Buch zum Geschenk gemacht hat. Ihr findet es übrigens als A0-Druckvorlage in Deutsch, Englisch und Spanisch auf Sabinas Seite.

Agile Transformation und neue Führung

Zum anhaltend hohen Interesse an unserer agilen Transformation, die ich schon 2018 auf verschiedenen Veranstaltungen präsentieren und diskutieren durfte, kam dieses Jahr noch ein verstärktes Interesse am Manifest für menschliche Führung. Entsprechend hatten meine vielen Vorträge und Workshops dieses Jahr immer die beiden Schwerpunkte agile Transformation und neue Führung, wie zum Beispiel in diesem Video.
Apropos Workshops: Das Manifest für menschliche Führung eignet sich nicht nur zum Selbststudium sondern insbesondere als Rahmen, um in einem Workshop gemeinsam über Führungsprinzipien und Führungsverhalten nachzudenken. Als kleine Inspiration habe ich zwei entsprechende Formate frei zur Verfügung gestellt: Einmal für mehrere kleinere Gruppen und einmal für eine größere Gruppe.
Anfragen für 2020 gerne per E‑Mail oder Threema (ID: F9KX44FS)
Die Top‑5 Artikel 2019
Im zehnten Jahr betreibe ich nun in diesem Blog die Kunst der allmählichen Verfertigung der Gedanken beim Schreiben (in Anlehnung an „Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden“ von Heinrich von Kleist). Und so entstanden auch 2019 wieder 50 Artikel jeweils in deutscher und englischer Sprache. Und diese führten in 2019 (zusammen mit allen anderen Artikeln der letzten Jahre) zu deutlich über 200.000 Seitenaufrufen bei mehr als 130.000 Besuchen, also beinahe einer Verdopplung der Zugriffszahlen gegenüber dem Vorjahr. Die meistgelesenen Artikel waren dabei die folgenden fünf.
Irrwege der agilen Transformation
Nicht überall, wo Transformation in Leuchtbuchstaben draufsteht, ist auch Transformation drin. Es beginnt mit der irrigen Annahme, mit Agilität ließe sich die Mitarbeiterleistung wie mit Kraftfutter steigern. Fehlgeleitet von diesem Versprechen von mehr Effizienz, wird die Transformation dann aber umso überzeugter von oben angeordnet und bewährte Blaupausen (Spotify und Co.) ausgerollt. Das führt schließlich dazu, dass die bestehenden verkrusteten Strukturen und Abläufe „agilisiert“ werden ohne sie konsequent zu hinterfragen. Am Ende bleibt kaum Transformation sondern nur agiler Etikettenschwindel: Same same but different.
Die fünf Prinzipien des Lean Managements als Grundlage des agilen Manifests

Um Agilität historisch richtig einordnen zu können, muss man bis zu den Prinzipien des Lean Managements zurückzugehen. Agilität im Sinne des agilen Manifests von 2001 kann so als Anwendung der fünf Lean Prinzipien auf Softwareentwicklung verstanden werden. Der Fokus von Agilität liegt auf der schnellen Lieferung von Kundenwert durch funktionierende Software. Und der optimale Fluss dafür entsteht im interdisziplinären selbstorganisierten Team, das den kompletten Wertstrom von der Idee bis zum Betrieb der Software abdeckt.
Anpassungsschmerzen im Großkonzern

Mehr als einmal wurde ich 2015 nach meinem Wechsel von dem kleinen, aber feinen Startup esc Solutions zur BMW Group IT gefragt, ob das wirklich mein Ernst sei. Und ehrlich gesagt fragte ich mich das im ersten Halbjahr 2015 auch mehr als einmal. Eine kurze bilderreiche Geschichte über Anpassungsschmerzen im Großkonzern und wie ich dadurch meine Rolle als Organisationsrebell und Hofnarr fand.
Kultur folgt Struktur oder der unverstandene Scrum-Master

Aus seiner jahrzehntelangen Erfahrung mit der agilen Transformation von Organisationen und insbesondere mit der Einführung des von Bas Vodde und ihm entwickelte Modell LeSS hat Craig Larman mehrere Beobachtungen als „Larman’s Laws of Organizational Behavior“ zusammengefasst. Diese „Gesetzmäßigkeiten“ beschreiben sehr schön in verschiedenen Facetten das Beharrungsvermögen hierarchischer Strukturen, die implizit immer danach streben, den Status quo des mittleren und des Top-Managements und generell von etablierten Machtstrukturen unangetastet zu lassen. Besonders hart trifft das die unverstandene und unterschätzte Rolle des Scrum-Masters.
Unboss statt Egomanen an der Spitze

Zeiten der Veränderung sind Zeiten der Verunsicherung. Ein Reaktionsmuster auf diese Verunsicherung ist der Ruf nach Helden und starken Führern, die Ordnung ins Chaos bringen und den Weg weisen. Auf gesellschaftlicher und politischer Ebene erleben wir deshalb ein Erstarken von nationalistischen Tendenzen und zunehmende Popularität von Politikern, deren Beitrag im Wesentlichen darin besteht, die Komplexität der Welt unzulässig zu vereinfachen durch Einteilung in schwarz und weiß, gut und falsch, wir und die und andere falsche Dichotomien. In Zeiten digitaler Disruption wächst auch in Unternehmen die Angst. Und während man sich vielerorts dann eben den starken Führer herbeiwünscht, machen wirklich starke Führungspersönlichkeiten wie Vas Narasimhan bei Novartis das Gegenteil: „Unboss your Company!“
Wie geht es weiter?
Ganz ehrlich: Ich weiß es nicht. Es wird sich zeigen im Sinne des Wu wei (無為). So lautet der zentrale Begriff des Daoismus. Erstmals erwähnt wird er im Daodejing, das der Legende nach auf den Weisen Laozi (ca. 6. Jahrhundert v. Chr.) zurückgeht. Wörtlich übersetzt bedeutet „Wu“ einfach „Nicht“, also eine Negation, und „Wei“ bedeutet Tun, Handeln oder Anstrengung. Wörtlich übersetzt heißt Wu Wei also Nicht-Handeln. Gemeint ist damit aber nicht Untätigkeit oder Faulheit, sondern die „Enthaltung eines gegen die Natur gerichteten Handelns“ (Wikipedia) oder „Handeln ohne zu erzwingen“.
Act without doing;
Daodejing
work without effort.
Think of the small as large
and the few as many.
Confront the difficult
while it is still easy;
accomplish the great task
by a series of small acts.
Wu wei meint also – ganz im Sinn der Agilität – das Erkennen und Nutzen der Möglichkeiten im Hier und Jetzt und daraus dann das Lernen Schritt für Schritt. So entsteht ungeplant und ohne Zwang im Fluss der Dinge aus kleinen Schritten Großes. So wird es auch 2020 sein und ich werde auch 2020 rückblickend die Punkte wieder sinnvoll verbinden können, auch wenn ich hier und heute nicht weiß, welche das konkret sein werden. In diesem Sinne wünsche ich allen Lesern erholsame Feiertage und eine guten Start in das Jahr 2020!
You can’t connect the dots looking forward; you can only connect them looking backwards. So you have to trust that the dots will somehow connect in your future. You have to trust in something – your gut, destiny, life, karma, whatever. This approach has never let me down, and it has made all the difference in my life.
Steve Jobs
2 Kommentare
Hallo Marcus
Ich bin fleissiger Leser deines Blogs und warte jeweils gespannt auf den nächsten. Deine Beiträge enthalten viele Denkanstösse und lösen Diskussionen aus. Genau das was wir für eine Transformation brauchen.
Deshalb möchte ich mich bei dir ganz herzlich bedanken und hoffe, dass du weiterhin so fleissig schreibst!
Auch ich wünsche dir frohe Festtage und einen guten Start ins neue Jahr
Freundliche Grüsse
Kurt
Vielen Dank, lieber Kurt! Das Feedback freut mich wirklich sehr.